Efeu - Die Kulturrundschau

Insider und Outsider

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
08.10.2015. In der Zeit hält Adonis fest: Ich bin ein radikaler Gegner jeder institutionalisierten Religion. Die NZZ betrachtet die körperliche Kunst in der konkreten und umgekehrt. Warum soll Fritz Bauers Homosexualität nicht erwähnt werden, fragt die taz. Außerdem lobt sie sich das Zaudern und Zweifeln der neuen Fehlfarben.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 08.10.2015 finden Sie hier

Literatur

Der syrische Dichter Adonis antwortet im Interview mit der Zeit denjenigen, die seine Auszeichnung mit dem Erich-Maria-Remarque-Friedenspreis der Stadt Osnabrück kritisiert haben. Er ein Freund von Assad? Unsinn, meint Adonis: "Ich habe Syrien 1956 verlassen. Als ich aus dem syrischen Schriftstellerverband ausgeschlossen wurde, waren meine Angreifer alle da, und niemand hat etwas gesagt. Es war die Baath-Partei, die mich ausgeschlossen hat." In seinem Buch "Printemps arabes, religion et révolution" (Éditions de la Différence, Paris, 2014) habe er Assads Regime deutlich kritisiert, weil es "auf einen politischen und kulturellen Monotheismus hinausläuft, der nichts als eine Verlängerung des religiösen Monotheismus ist. Und ich bin ein radikaler Gegner jeder institutionalisierten Religion."

Weitere Artikel: Die Welt veröffentlicht den letzten Text aus dem Tagebuch, das Henning Mankell für die Zeitung Göteborgs Posten über seine Krebserkrankung schrieb. Für ZeitOnline liest Björn Hayer die literarischen Debüts von Kat Kaufmann und Mirna Funk, die sich um Fragen der jüdischen Identität der nachwachsenden Generation drehen. Cara Wuchold besucht für den Freitag eine der Konkreten Poesie von Eugen Gomringer gewidmete Ausstellung im Bielefelder Kunstverein. In ihrer Tagtigall-Kolumne für den Perlentaucher liest Marie Luise Knott Gedichte von Bernard Réquichot, dem das Schreibheft aktuell ein Dossier gewidmet hat. Boualem Sansal steht mit seinem neuen Roman "2084" über eine islamistische Zukunftsgesellschaft auf sämtlichen Favoritenlisten in Frankreich an, meldet Jürg Altwegg in der FAZ. Und Kerstin Holm berichtet ebendort vom Internationalen Literaturfestival in Odessa.

Besprochen werden u.a. María Sonia Cristoffs "Lasst mich da raus" (Freitag), Navid Kermanis Band "Ungläubiges Staunen" (NZZ). Die Zeit erscheint heute mit ihrer Buchmessenbeilage.
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Bühne

Besprochen werden das Game-Theater "Toxik" mit machina eX und dem Spielentwickler Martin Ganteföhr im Berliner Hau (nachtkritik), David Böschs Wiener Inszenierung von Werner Schwabs "Die Präsidentinnen" (FAZ) und Hermann Schmidt-Rahmers "Ich habe nichts zu verbergen - Mein Leben mit Big Data" in Essen (SZ).
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Kunst


Peter Phillips, Bubbles III, 2009

Im Zürcher Helmhaus hat Michael Hiltbrunner für die Ausstellung "Das Dreieck der Liebe" Werke einer körperlichen Kunst der konkreten gegenübergestellt. In Zürich offenbar ein starker Gegensatz, wenn auch manchmal nur theoretisch, wie Philipp Meier in der NZZ festhält: "So vollführt Manon (geb. 1949), eine Ikone der Zürcher Performance-Kunst der siebziger Jahre, mit ihrem Partner ein minimalistisches Ballett vor geometrischen Mustern. Der F+F-Schüler Ruedi Bechtler (geb. 1942) verstand ganz im Geiste seines Lehrers Serge Stauffer Körper und Sexualität als Forschungsobjekt: In seiner abstrakt anmutenden Fotoserie "Streichelbilder" hat er etwa fotografisch festgehalten, wie er seine Geliebte mit dem Lichtstrahl einer Taschenlampe liebkost."

Interessant, aber auch fragwürdig findet der Kunstwissenschaftler Jörg Scheller in der Zeit die Ausstellung "Im Schatten der Avantgarde" im Folkwang Museum Essen, die "Insider"- und "Outsider"-Kunst zusammenstellt: "Nimmt man den Gedanken ernst, dass für viele Outsider Künstler keine rigide Trennung zwischen Kunst und Handwerk besteht, sind sie in der Tat Propheten unserer Ära des Hybriden und Diffusen, in der sich Künstler-Forscher wie Julius von Bismarck Bildmaschinen patentieren lassen oder transdisziplinäre Künstler wie Koen Vanmechelen sich als Hühnerzüchter betätigen. Ähnlich wie Massimiliano Gioni in seiner Ausstellung "The Encyclopedic Palace" auf der Venedig Biennale 2013 wirft somit auch die Essener Ausstellung die Frage auf, wo denn eigentlich die Grenzen zwischen Innen und Außen verlaufen."

Besprochen werden eine Ausstellung des italienischen Konzeptkünstlers Maurizio Nannucci im Museion Bozen mit einhundert Gegenstände aus der Sammlung des von ihm 1967 in Florenz gegründeten Zona-Archivs (NZZ), eine Edvard-Munch-Ausstellung in der Wiener Albertina (Standard), die Edition Giorgio Vasari (Tagesspiegel) und die Ausstellung "Goya - The Portraits" in der National Gallery in London (SZ).

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Film

Jan Feddersen ärgert sich in der taz darüber, dass Adam Soboczynski Lars Kraumes Film "Der Staat gegen Fritz Bauer" in der letzten Zeit vorwarf, Bauers Homosexualität anzusprechen und damit angeblich dessen Intimsphäre zu entblößen. Feddersen entgegnet: "Nichts erfahren wir - und das ist auch gut so - von erotischen Vorlieben Bauers. Dass er als ziemlich einsamer Held im postnazistischen Justizapparat der Bundesrepublik aber an den Möglichkeiten eines Liebeslebens schon im Hinblick auf Strafparagrafen scheitern musste, liegt auf der Hand - und enthüllt nur, dass es ein demokratisches Deutschland gab, das Homosexuelle verfolgte wie die Nazis (minus KZ, klar, aber inklusive Gefängnisstrafen, Verfolgungsandrohung und Erpressungspotenzialen)."


Szene aus David Wnendts "Er ist wieder da"

Mit großer Skepsis sieht tazler Andreas Busche David Wnendts über weite Strecken im "Borat"-Stil gedrehte Hitlerkomödie "Er ist wieder da" nach Timur Vermes" gleichnamigem Roman: "Wnendt zieht keine nennenswerten Rückschlüsse über einen möglichen Zusammenhang zwischen der Hitler-Faszination des deutschen Kinos und der Sehnsucht vieler Pegida-Deutscher nach einem autoritären Staatslenker." Gunda Bartels mag es im Tagesspiegel dem Regisseur wohl abnehmen, dass dieser mit dem Film "tief in Volkes Seele" blicken wollte, hält den Film aber dennoch für "Hitler-Kuschelpop". Harald Jähner von der Berliner Zeitung beschleicht "das Gefühl, der Regisseur wollte es möglichst vielen recht machen und die, die über Hitler lachen, mit denen versöhnen, die das nicht zum Lachen finden."

Weitere Artikel: In der taz empfiehlt Carolin Weidner die Retrospektive Nils Malmros im Berliner Kino Arsenal. In der SZ schreibt Fritz Göttler zum heutigen Start des Münchner Underdox-Festivals. Wenke Husmann trifft sich für ZeitOnline mit Ridley Scott zum Gespräch über dessen neuen Science-Fiction-Film "Der Marsianer".

Besprochen werden Pedro Costas "Horse Money" (taz), Kurt Langbeins Doku "Landraub" (taz), Stephen Frears" "The Program"(taz, Tagesspiegel), ein Buch über das Staatliche Filmarchiv der DDR (Freitag), Ridley Scotts "Der Marsianer" und Miroslav Slaboshpytskiys "The Tribe", ein Film über ein Internat für Gehörlose, der, wie Thomas Groh im Perlentaucher schreibt, "von einer individuellen Verrohung in jenen wirtschaftlich peripheren Nischen [erzählt], in denen gesellschaftliche Zivilisierung porös geworden ist und durch eine gemeinschaftliche Einschwörung auf die Horde ersetzt wird - eine quasi-postapokalyptische Geschichte der Entindividuierung, vom Einzelnen zum Stamm".
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Musik

Das neue Fehlfarben-Album "Über...Menschen" hält Aram Lintzel in der taz zwar für eine Spur überproduziert. Dennoch kann er dem Werk einiges abgewinnen: "Ein Zaudern und Zweifeln zieht sich durch das Album, textlich wie musikalisch. Texter und Sänger Peter Hein (...) repräsentiert viele der Zweifel und Widersprüche, die das Älterwerden des Popsozialisierten prägen. Man fällt aus der Zeit und versucht doch irgendwie dranzubleiben. Weil es diese Ambivalenz auf den Punkt bringt, ist das neue Fehlfarben-Album ein grundsympathisches Werk. Und die sogenannten jungen Leute können hier sicher mehr über Körper und Geist im Kapitalismus erfahren als etwa in den Liedern der Neosexisten von Wanda." Hier das aktuelle Video:



Außerdem: Christine Käppeler legt sich im Freitag mit Max Richters neuer, achtstündiger Komposition "Sleep" ins Bett. In der Welt sucht sich Michael Pilz zu erklären, was Rammstein und Amerika verbindet. Und Jonathan Fisher porträtiert in der SZ den Polit-Rapper und Aktivisten Smockey aus Burkina Faso.

Besprochen werden ein Konzert von Ivo Pogorelich mit Werken von Brahms und Balakirew in Wien (Presse), Helmut Lachenmanns Oper "Das Mädchen mit den Schwefelhölzern" in Frankfurt (Standard), ein Jubiläumskonzert des Amar-Quartetts mit Werken von Hindemith und David Philip Hefti in Zürich (NZZ), das neue Album des Pianisten Michael Wollny (Tagesspiegel) und das Berliner Konzert von Acid Mothers Temple (taz).
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