Efeu - Die Kulturrundschau

Kunst auf der eigenen Haut

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01.08.2015. In der taz fragt Philipp Ruch vom Zentrum für Politische Schönheit: Wer malt bessere Staatsstempel? Thomas de Maizière oder André Breton? Die SZ stürzt sich mit Sepp Werkmeister ins kodacolor-schrille New York der sechziger Jahre. In der Welt steigt Clemens Meyer noch einmal mit Ulrich Ziegler in die Tiefe der Literaturbrunnens. Der Standard huldigt dem Tätowiermeister Mircea Cartarescu. Die Zeit fragt, wann die Neue Musik diszipliniert wurde. Außerdem bekommt Ai Weiwei jetzt doch sein Visum.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 01.08.2015 finden Sie hier

Kunst


Münchner Stadtmuseum: New York 60s - Sepp Werkmeister. Theater District, 1967 Copyright: Kulturkontor / S. Werkmeister.

Auf ins Münchner Stadtmuseum, ruft uns Alex Rühle aus der SZ entgegen, denn dort gibt es einen bislang verborgenen Schatz zu entdecken: Die Fotografien, die der Grafikmeister Sepp Werkmeister im New York der 60er Jahre eher beiläufig schoss: Zu sehen gibt es "Abfall, der sich häuft, Prospekte, Hauswurfsendungen, zerschlissene Sessel auf einer Straße in Harlem, Autogaragen, aber vor allem die Menschen dieser Stadt, die Obdachlosen in den Hauseingängen, die Farbigen in ihren kodacolor-schrillen Outfits, die reichen Snobs, deren arrogante Gesichter oft wie chromverspiegelt wirken. Bilder, die so schön sind, so melancholisch und witzig, so einprägsam in der Komposition und soziologisch so scharfsichtig, dass man gar nicht glauben will, dass all diese Schätze bislang in einem Münchner Keller herumlagen. ... Der Wahnsinn. Was für Schätze."

Im großen taz-Gespräch mit Martin Kaul zeigt sich Philipp Ruch, Gründer des für seine Aktionen im Spannungsfeld zwischen Theater, Kunst und öffentlichter Agitation bekannten Zentrums für politische Schönheit, um keine Moral verlegen: Er fühlt sich geradezu verpflichtet, Rechte bis zum Anschlag auszureizen. Denn: "Vor achtzig Jahren mussten Menschen wie wir aus Europa flüchten. Mir fällt kein Grund ein, warum ich mich in achtzig Jahren von meinen Enkelkindern fragen lassen sollte: "Opa, warum hast du, als du alle verfassungsmäßigen Rechte hattest zur Kunstfreiheit, eigentlich nur Blumen gemalt?" Als die Kunst vor achtzig Jahren von der Vernichtung bedroht war, haben die Surrealisten keine Bilder mehr gemalt, sondern Pässe für Juden gefälscht. Was glauben Sie, wer den besseren Staatsstempel malen kann? Thomas de Maizière oder André Breton?"

In der FAZ berichtet Marc J. Masurovsky über die nach den Massakern in Neunzigern wieder auflebende Kunstszene in Ruanda: "Die meisten ruandischen Maler und Bildhauer sind Autodidakten. Bis vor wenigen Jahren pflegten die Menschen hier vor allem traditionelles Kunsthandwerk. ... Aus unerklärlichen Gründen haben die Nachwirkungen des Genozids von 1994 zu einem bemerkenswerten Kreativitätsschub im Land geführt."

Weiteres: ZeitOnline meldet, dass Ai Weiwei nun doch für sechs Monate nach Großbritannien einreisen darf. In der SZ-Reihe "Spurensuche" über Spuren aktueller Debatten in historischen Werken widmet sich Kia Vahland anlässlich der Kontroversen um in der Öffentlichkeit stillende Mütter Ambrogio Lorenzettis Bild von der stillenden Madonna. Besprochen wird eine Ausstellung "InterAktion - Brasilien in Sacrow" im Schloss Sacrow in Potsdam (Tagesspiegel).
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Musik

Um die Komponisten aus der Neuen Musik ist es ruhig geworden, stellen Isabel Mundry, Sarah Nemtsov, Moritz Eggert und Johannes Maria Staud im großen Zeit-Dialog fest. Anders als Literaten und andere Künstler stehen Komponisten ihres Schlags weniger oft im Rampenlicht auch der politischen Debatten. "Im Moment herrscht eher ein Klima der politischen Korrektheit", stellt Moritz Eggert fest, "alle haben Angst: Wie lange gibt"s noch die Donaueschinger Musiktage, wie lange noch Rundfunksender, die uns finanzieren: Lasst uns nicht zu viel streiten, lieber ein bisschen mehr Anpassung, lieber Solidarität! Ein leidenschaftlicher Streit ist gar nicht erwünscht."

Nach Klaus Walter im Freitag zeigt sich auch Jonas Engelmann in der Jungle World einigermaßen entsetzt von Klaus Farins entlastendem Fazit seiner Studie über die Band Freiwild, die er als "konservative Antifaschisten" einschätzt. Engelmann sieht in der Band den "Soundtrack für die Lügenpresse-Schreier, die unverkrampften Patrioten und völkischen Wurzeldenker, die heimatliebenden Stehpisser, die Authentizitätshuber und Geschichtsrelativierer. So klingt die neue Mitte."
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