Efeu - Die Kulturrundschau

Spasmodisch in freier Liebe

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
16.06.2015. Frank Gehry verleiht der Barenboim-Said Akademie Flügel, freut sich der Tagesspiegel. Die NZZ führt einen verheißungsvollen sudanesischen Dialog mit Marinetti. Karl Ove Knausgard erklärt in New York, welchen Einfluss Lars von Trier auf ihn hatte. Zeit online, NYT und der New Yorker bewundern die große Albert-Oehlen-Retrospektive in New York. 3sat widmet sich dem zweitdreckigsten Geschäft nach dem internationalen Drogenhandel.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 16.06.2015 finden Sie hier

Kunst


Albert Oehlen: "Heilige und Kämpfer" (1997). Courtesy the artist and Galerie Max Hetzler, Berlin

Das New Museum in New York widmet derzeit Albert Oehlen eine Retrospektive. Ulrich Rüdenauer hat sie für ZeitOnline besucht und ist vor allem beeindruckt von Oehlens in den Neunzigern am Computer entstandenen und dann übermalten Pixelbildern: Sie "stellen das heimliche Zentrum der Schau dar. Es sind Collagen, die von einer naiven Neugier zeugen. Sie nutzen den damaligen technischen State of the Art und machen ihn zugleich als etwas Vergängliches kenntlich. ... Tatsächlich gehen diese monumentalen Bilder auf gewisse Weise an eine Grenze, indem sie das Malerische in Technik aufzulösen scheinen, um dann doch wieder ihr Gemaltsein auszustellen." (Besprechungen gibt"s außerdem in der New York Times und im New Yorker.)


Szenenbild: 3sat

In der 3sat-Mediathek ist noch in dieser Woche eine sehr beachtliche vierteilige Dokumentation über Kunst und Verbrechen zu sehen. Aus dem Ankündigungstext des Senders: "USA Today nennt den Kunstmarkt kurzerhand das zweitdreckigste Geschäft nach dem internationalen Drogenhandel. Ist die Kunst also nicht nur ehrwürdige Museumsluft atmendes Musenspiel? Ist sie wirklich auch zu einer Art Schattenwährung für das organisierte Verbrechen geworden, wie der für Versicherungen, Museen und Polizei tätige Kunstjäger Dick Ellis behauptet?"

In Peking besucht Johnny Erling für die Welt Ai Weiwei, der plötzlich auch in China wieder ausstellen darf: "Die Erlaubnis, im Inland ausstellen zu dürfen, lässt eine weitere Hürde vor seiner vollständigen Rehabilitierung fallen. Ai glaubt, dass ihm die Behörden bald seinen seit 2011 beschlagnahmten Reisepass wiedergeben werden. "Es ist mein Grundrecht, einen Pass zu besitzen." Sobald er ihn zurück hat, werde er nach Deutschland und Berlin fahren, sagte er im Gespräch mit der Welt."

Weitere Artikel: Sarah Alberti spricht in der taz mit dem Künstler Fabian Reimann über den Utopisten Christian Gottlieb Priber, dem eine Ausstellung in Weimar gewidmet ist (die taz steht heute nur mit der Ausgabe von gestern online, darum heute keine Links). Anna Lena Mösken reist für die Berliner Zeitung in die Lausitz zum Kunstfestival Aquamediale und macht dort die Bekanntschaft mit einer Konditorei-Fachverkäuferin, die sich gut mit Himbeermarmelade auskennt.

Besprochen werden die Ausstellung "Verzauberte Zeit - Meisterwerke aus der Sammlung Arthur und Hedy Hahnloser-Bühler" in der Hamburger Kunsthalle (NZZ), die Ausstellung "Quo Vadis, Mater?" im Verborgenen Museum in Berlin (Tagesspiegel) und eine Ausstellung über die Sammlerin Karoline Luise Markgräfin von Baden in der Kunsthalle Karlsruhe (FAZ).
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Architektur

In Berlin ist Richtfest-Saison. Nach den Festivitäten rund ums Stadtschloss feiert man nun bei der von Frank Gehry konzipierten Barenboim-Said Akademie in der Französischen Straße. Im Tagesspiegel findet Christiane Peitz den Bau sehr imposant: "Zwei übereinander liegende, leicht gewellte, aus der Achse verschobene Ellipsen sind es geworden, der Saal und der Rang darüber. Selbst beim Richtfest am Montag, noch roh im Beton und mit provisorischem Holzgeländer versehen, ahnt man: Das wird eine feine, schwingende, schwebende, den Sinnen Flügel verleihende Frank-Gehry-Architektur. Schon schade, dass Gehry in Berlin immer nur Innenräume gestalten darf." Außerdem lässt der Tagesspiegel zur Feier des Tages auch den Direktor der Akademie, Michael Naumann, zu Wort kommen.
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Literatur

Der Futurist Filippo Tommaso Marinetti liebte nicht nur "die Ohrfeige und den Faustschlag", sondern auch den Sex. Jetzt ist ertmals auf Deutsch sein Handbuch "Wie man die Frauen verführt" von 1917 erschienen. Matthias Hennig ist in seiner - leider viel zu kurzen - Kritik für die NZZ hin und weg: "Bei möglichst abgedimmtem Licht vibrieren die Körperteile "spasmodisch" in freier Liebe, umschlingen sich die Beine von Mann und Frau ungesehen unterm Tisch zu einem verheißungsvollen "sudanesischen Dialog" oder wandern die Hände des Verführers "leicht, zerstreut, scheinbar vom Leib abgetrennt" lustsinnig an den nachgiebigen Hüften der Begehrten entlang."

In New York hat Karl Ove Knausgard Lars von Triers Film "Idioten" präsentiert. In der darauf folgenden, von der Film Society of Lincoln online gestellten Diskussion spricht der Schriftsteller über den Einfluss, den dieser Film auf sein eigenes Schaffen gehabt hat:



Für die taz spricht Ralph Trommer mit dem Comicautor Marcelino Truong über dessen autobiografischen Comic "Ein schöner kleiner Krieg, Saigon 1961-1963". Gerrit Bartels (Tagesspiegel) gratuliert dem Schriftsteller Dieter Forte zum Achtzigsten.

Besprochen werden ein Erzählband von Lorrie Moore (NZZ), Michael Schultes "Kühe im Mondschein" (taz), Julia Wolfs "Alles ist jetzt" (FR), Angela Krauß" "Eine Wiege" (Tagesspiegel) und Neuübersetzung der ersten beiden Romane Haruki Murakamis (SZ).
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Film

Dirk Peitz resümiert auf ZeitOnline die neue "Game of Thrones"-Episode. Besprochen werden Hubertus Siegerts Dokumentarfilm "Beyond Punishment" (FAZ, Perlentaucher) und Anne Fletchers Komödie "Miss Bodyguard" mit Reese Witherspoon (SZ).
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Bühne


Ariadne auf Naxos. Bild: Staatsoper Berlin

Die Staatsoper gibt am Berliner Schillertheater die Strauss-Oper "Ariadne auf Naxos". Hans Neuenfels hat inszeniert, Ingo Metzmacher dirigiert. Das Ergebnis ist ein musikalischer Hochgenuss, schwärmt Ulrich Amling im Tagesspiegel: "Verwandlungswundermusik schwappt aus dem Orchestergraben, in den sich der schmerzgebeugte Bacchus geflüchtet hat. ... Die permanente Feinjustierung, die Strauss seinem Orchester zwischen Konversationston und Kraftzentrum abverlangt, funktioniert nahezu reibungslos. Metzmacher gelingt es sogar, die Modernität der Partitur herauszuarbeiten, ohne dabei größere Sinnlichkeitseinbußen zu erleiden." Die Inszenierung kam nicht so gut an. Niklaus Hablützel von der taz winkt müde ab: "Am Ende ist Ariadne tot. Sonst ist [Neuenfels] zu Strauss und Hofmannsthal nichts Neues eingefallen."

In der Berliner Zeitung berichtet Ulrich Seidler von den Autorentheatertagen in Berlin. Wie zuvor Patrick Wildermann im Tagesspiegel kommt auch er kurz auf den Streit zwischen den Juroren Peter Michalzik und Ulrich Matthes zu sprechen, nur um sich dann doch auf die ersten Aufführungen zu konzentrieren: Demnach handelt es sich bei Ferdinand Schmalz" "dosenfleisch" um "ein Vierpersonenstück, das mit nicht viel mehr als mit Sprache arbeitet. Dies aber mit lustvoller Metaphern- und Kalauersuhlerei und mit großer Freude an der Selbstüberlistung."

Außerdem: Im Tagesspiegel wirft Sandra Luzina einen Blick auf das Programm des Berliner Festivals "Tanz im August". Martin Lhotzky berichtet in der NZZ vom Schauspielprogramm der Wiener Festwochen.

Besprochen werden Jorinde Dröses Frankfurter "Was ihr wollt"-Inszenierung (FR), Brian Yorkeys und Tom Kitts am Berliner Renaissance-Theater aufgeführtes Musical "Fast normal" (Tagesspiegel), Ariel Dorfmans im English Theatre Frankfurt aufgeführtes Stück "Death and the Maiden" (FR), das von Ohad Naharin choreografierte, in Israel und demnächst in Dresden aufgeführte Stück "Last Work" (SZ) und eine "Antonius und Cleopatra"-Inszenierung am Münchner Residenztheater (FAZ).
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Design


The Golden Fleece Headpiece von Giovanni Corvaja, 2009. Es besteht aus 22 Karat and 18 Karat Gold, das in 160 Kilometer lange superfeine Fäden gesponnen wurde. Die Verarbeitung dauerte 2.500 Stunden. Courtesy of Adrian Sassoon, London

Was ist Luxus? Mit dieser Frage beschäftigt sich gerade das Victoria & Albert Museum in London. Marion Löhndorf findet die Ausstellung interessant, hätte sich aber etwas mehr Gegenwartsbezug gewünscht, erklärt sie in der NZZ: "Ausgespart wird die Frage, wer heute die Luxusgegenstände kauft, die hier (vom fragilen Leuchter des Amsterdamer Studios Drift bis zum chinesischen Lackgefäss) vorgestellt werden - aber auch, wer die Käufer jener Güter sind, die in der Schau ausgelassen werden: die protzigen Vorzeigestücke mit Signalwirkung für jedermann. Auch gibt es keine Hinweise darauf, warum Luxusgegenstände gekauft werden und wer sie vermarktet. Der Gedanke an den goldenen Ferrari, der hinter der nächsten Straßenecke abgestellt wurde, oder an die Prada-Tasche, die von der Schulter der Museumsbesucherin baumelt, wird gewissermaßen diskret ausgeblendet."
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