Efeu - Die Kulturrundschau

Gegenwartsekel

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10.04.2015. Zeit online warnt vor Kunst, die unmittelbare Wirkung haben will: da lauert schon der Terrorismus. Der Begriff "lateinamerikanische Architektur" macht der SZ Kopfschmerzen. Die Welt zeigt auf Claus Peymann und fordert: Schmeißt den feisten Revolutionsopa raus. Die FAZ empfiehlt David Schalkos österreichische Serie "Altes Geld". In der taz fordern Laibach ein repolitisiertes Europa.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.04.2015 finden Sie hier

Architektur


Brasilia under construction, 1957. Geofoto. Arquivo Publico do Distrito Federal

Zwar besucht Peter Richter die MoMA-Ausstellung "Latin America in Construction - Architecture 1955-1980" mit sichtlichem Interesse. Dennoch stößt die Vereinheitlichung einer solchen Perspektive auf seine Skepsis, lesen wir in der SZ: "Die moderne Architektur ganz Lateinamerikas zeigen zu wollen, ist das nicht eine fast schon kolonialherrenhafte Überheblichkeit? Wenn irgendwo "die Literatur Asiens" gewürdigt werden soll, kann man sich auf Protest verlassen: Als ob es da nur eine einzige gäbe. ... Argentinier, Brasilianer oder Mexikaner kann man in Bezug aufeinander sein, in Bezug auf den Hegemon im Norden werden alle zu Latinos." Unter dem Hashtag #arquimoma ruft das Museum im übrigen dazu auf, auf Instagram Fotos der in der Ausstellung thematisierten Gebäude zu veröffentlichen.
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Bühne

Nicht Tim Renner muss weg, sondern der in Subventionswürden alt und grau gewordene Claus Peymann, fordert Ulf Poschardt in der Welt. "Peymanns Verachtung für Berlin als "Hip-Hop-Hauptstadt" erinnert an den Gegenwartsekel der AfDler. Hip-Hop als Musikgattung weiß so viel von der Gegenwart, ihren Rissen, sozialen Verwerfungen und Dramen, weil sie nicht zu Tode subventioniert und öffentlich beschmeichelt worden ist. ... Ein brillanter Impresario wie Chris Dercon, der von der Tate Modern in London möglicherweise nach Berlin auf einen Intendantenstuhl gelockt werden kann, ist Peymann, der seine besten Zeiten hinter sich hat, nicht bekannt. Tim Renner tut das Richtige, wenn er den feisten Revolutionsopa rausschmeißt."

Besprochen werden Choreografien zum 175-Jahr-Jubiläum des Luzerner Theaters (NZZ).
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Film

Für ZeitOnline unterhält sich Martin Schwickert mit Regisseur Oliver Hirschbiegel über dessen Film "Elser". Den Hitler-Attentäter findet der Filmemacher vor allem auch wegen seiner Ideologielosigkeit bemerkenswert: "Im Grunde ist Elser ein Seelenverwandter von Edward Snowden. Der will uns auch keine politische Idee verkaufen, sondern spürt es einfach in sich und sagt: "Das darf nicht sein."" Nach den gestrigen Besprechungen wird der Film heute auch im Freitag und in der FR besprochen. Christine Dössel (SZ) porträtiert den Hauptdarsteller Christian Friedel.

Nur allerwärmstens empfehlen kann Hannes Hintermeier in der FAZ die gerade auf DVD erschienene österreichische Serie "Altes Geld", in der Regisseur David Schalko, der auch schon die Serie "Braunschlag" zu verantworten hatte, neuerlich einen witzigen, aber beunruhigenden Blick in die Abgründe der Gesellschaft wirft: Hier werde man "mit sechseinhalb Filmstunden entlohnt, die in Deutschland keiner zustande brächte." Mehr dazu auch vor kurzem in der Zeit.

Kommenden Samstag können die Berliner Kinogänger im Kino Babylon Masumura Yasuzôs Melodram "Manji" aus den 60er Jahren wiederentdecken, schreibt Detlef Kuhlbrodt in der taz: "Die Vorspielung falscher Tatsachen und Liebe gehen ineinander über. Genretechnisch liegt das Melodram zwischen Antonioni und Exploitation, und das tragische Ende ist so überraschend wie großartig."

Weitere Artikel: Im Tagesspiegel empfiehlt Frank Noack Filme aus dem Programm des Festivals Achtung Berlin.

Besprochen werden Mahamat-Saleh Harouns "Grigris" Glück" (taz, Tagesspiegel), die Komödie "Der kleine Tod" von Josh Lawson (FR), die Liebeskomödie "The F-Word" mit Daniel Radcliffe (Tagesspiegel) sowie Elwira Niewiera und Piotr Rosolowskis Dokumentarfilm "Domino Effekt" über Abchasien (taz).
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Literatur

In der Welt erinnert Tilman Krause an den Literaturkritiker Friedrich Sieburg, "eine Galionsfigur für jene Mischung aus Weltläufigkeit, Skepsiskultur, Bildungsfreude und Charme darstellt, die es bei uns noch immer nicht geschafft hat, kulturell tonangebend zu werden". Roswitha Budeus-Budde berichtet in der SZ von der Kinderbuchmesse in Bologna.

Besprochen werden Richard McGuires Graphic Novel "Hier" (NZZ), Uwe Westphals Modewelt-Roman "Ehrenfied & Cohn" (Berliner Zeitung), Dave Eggers" "Eure Väter, wo sind sie? Und die Propheten, leben sie ewig?" (SZ, mehr), der Briefwechsel zwischen Peter Rühmkorf und Marcel Reich-Ranicki (Tagesspiegel), eine Ausstellung über den Schriftsteller Michel Leiris im Centre Pompidou in Metz (SZ) und Stephan Hermlins "Abendlicht" (FAZ).
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Musik

Mitunter blankes Grausen packt Klaus Walter in der SZ beim Hören der neuen, aufwändig gestalteten Compilation "Aus Grauer Städte Mauern", die sehr schonungslos die Höhen (FSK), aber auch die Tiefen (Spider Murphy Gang, Erste Allgemeine Verunsicherung) der deutschsprachigen Popmusik um 1980 dokumentiert: "Glanz und Elend der Neuen Deutschen Wellen liegen also dicht beieinander, und die Compilation dokumentiert diese Nähe gnadenlos. ... "Aus Grauer Städte Mauern" ist also zweierlei: Erstens eine letztlich fast unhörbare Doppel-CD. Zweitens ein faszinierendes Dokument der Ungleichzeitigkeit, die um 1980 gerade besonders ausgeprägt war."

Einst polarisierte die slowenische Industrialband Laibach mit politischen Ambivalenzen, heutzutage positioniert sie sich im taz-Gespräch mit Sonja Vogel erstaunlich eindeutig. Etwa in ihrer Forderung nach einem vereinten Europa: Gemeint ist damit "nicht das kalte Europa der Brüsseler Technokratie und des Bankenwesens, das den Dogmen des Neoliberalismus folgt, sondern ein repolitisiertes Europa, ein gemeinsames emanzipatorisches Projekt." Hier das aktuelle Video:



Auf skug stellt Curt Cuisine aktuelle Veröffentlichungen aus dem Noise- und Experimentalsektor vor, wobei ihm inbesondere Frank Bretschneiders an Iannis Xenakis und Pierre Schaeffer orientiertes Album "Sinn + Form" sehr zusagt: Es klinge nämlich "wie der Soundtrack zu einem DDR-Science Fiction-Film der 1970er, nur wilder, biestiger, durchgeknallter. Eine gewisse Geilheit ist der Sache also nicht abzusprechen." Hier kann man ein Ohr riskieren:



Weiteres: In der Berghain-Kantine diskutierte kürzlich ein Podium über "Rap und Islam". Eine Veranstaltung, die wohl als gründlich missglückt eingeschätzt werden kann, wenn man den Berichten von Fatma Aydemir (taz) und Andreas Hartmann (Tagesspiegel) glauben kann. Besprochen werden das neue Album von Sufjan Stevens (taz), die Kurt-Cobain-Doku "Montage of Heck" (FR), die Björk-Retrospektive im New Yorker MoMA (Jungle World), das neue Album der Jon Spencer Blues Explosion (The Quietus) und das neue Album von Kendrick Lamar (Freitag).
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Kunst

Mit eher unguten Gefühlen beobachtet Maximilian Probst auf ZeitOnline eine Tendenz in Kunst und Literatur, die wieder auf ein unmittelbares Erleben abzielt, die im Effekt der Rezeption einen unmittelbaren Bezug zwischen Leben und Kunst zu erzielen versucht: Wort und Wirklichkeit sollten idealerweise ineinander übergehen. Probst nennt das "Unmittelbarismus": "Wir können abschätzen, was es heißt, wenn die Kunst überall den großen Knall sucht. Denn an ihrer äußersten Grenze berührt diese Art der Kunst den Terror. Ergriffensein, unmittelbares Wirken, das sind geradezu dessen Kernkategorien. Mehr noch als die Kunst markiert der Terrorismus die radikalste Verschränkung von Wort und Wirklichkeit, des Zeichens und des Bezeichneten, der Repräsentation und der Sache selbst."


Dieter Roth (mit Björn Roth), Bar 2, 1983-1997, Installationsansicht Fabrikstrasse, Zürich 1997. © Dieter Roth Estate Courtesy Hauser & Wirth

Mit der Dieter-Roth-Schau im Hamburger Bahnhof in Berlin ist Jens Hinrichsen trotz aller Faszination für die rumpelig-krachigen, herrlich lustvoll hingepfuschten Installationen des Künstlers schlussendlich doch nicht zufrieden. Dies liegt vor allem am architektonischen Rahmen, erklärt er im Tagesspiegel: "Gerade Roths kleinere Werke wirken in der endlosen Raumfolge der Rieck-Hallen verloren. ... Wo der Künstler große Werkkomplexe und wuchernde Zusammenhänge nicht selbst hergestellt hat, wird es zum gewagten Unterfangen, disparate Objekte zu gruppieren und thematisch in den Griff zu kriegen. Roth im Museum, derart ordentlich zusammengestellt, das hat auch etwas Trauriges." Als Alternative schlägt er die Roth-Ausstellung im Kunstmuseum Stuttgart vor, die aufgrund ihrer Konzentration im kleineren Rahmen "die stimmigere Inszenierung" biete.

Weitere Artikel: In München befindet sich jetzt ein Bild des italienischen Street-Artists Blu, meldet Catrin Lorch in der SZ.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Fotografien von Martin Kollar in Mannheim (FR), eine Ausstellung des Jugendstilkünstlers Hans Christiansen im Berliner Bröhan Museum (Welt), die Lanvin-Retro im Pariser Palais Galliera (NZZ), die Ausstellung "Bella Figura - Europäische Bronzekunst in Süddeutschland um 1600" im Bayerischen Nationalmuseum in München (FAZ).
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