Efeu - Die Kulturrundschau

Man hörte Plingpling und auch das Krk

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
14.01.2015. In der FAZ lernt Berlinale-Chef Dieter Kosslick von der Formel 1: Nur wer sich zurückfallen lässt, kann wieder aufholen. Die taz erlebt bei einer Solidaritätslesung für Charlie Hebdo in Berlin, wie sich ohne Texthierarchien neue Denkräume eröffnen. Die Welt erzählt, wie Sewan Latchinian das Rostocker Theater zu retten versucht. Die Berliner Zeitung entdeckt in Chemnitz den Abrgund hinter Andy Warhols Glamour-Kunst.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 14.01.2015 finden Sie hier

Literatur

In der taz rechnet Jens Uthoff dem Deutschen Theater Berlin die spontanen Lesungen nach dem Terror-Anschlag in Paris hoch an: "An diesem Abend [zieht sich] ein sehr selbstverständlicher Faden von Denis Diderot, der 1749 für die Erkämpfung dieser Errungenschaften ins Gefängnis ging, und Gottfried Ephraim Lessing bis in die Gegenwart zu Foster Wallace. Im Deutschen Theater fand das statt, was Kultur leisten kann in solchen Momenten: Texte wurden hierarchiefrei nebeneinandergestellt, sie öffneten neue Denkräume."

Für keineswegs islamophob hält Nils Markwardt (ZeitOnline) "Unterwerfung", den neuen, kontrovers diskutierten Roman von Michel Houellebecq. Er sieht in dem Roman ein gelungenes Vexierspiel zwischen Autor und Ich-Erzähler, sowie eine Parabel über die Austauschbarkeit "ideologischer Großgruppensysteme". Der Tagesspiegel bringt eine Übersetzung des Fernsehinterviews, das der Autor dem französischen Sender Canal Plus gegeben hat.

Weiteres: Piero Salabè stellt in der NZZ die Klassiker der brasilianischen Moderne zusammen. In der FR erinnert Judith von Sternburg an Ernst Elias Niebergall, der vor 200 Jahren geboren wurde. Der Freitag liefert die neue Kolumne von Literaturwissenschaftler Erhard Schütz, der neue Bücher unter anderem über den "Mythos Trümmerfrauen" und von Wiglaf Droste gelesen hat. Außerdem wurde der Deutsche Krimipreis vergeben: Franz Doblers "Ein Bulle im Zug" (unsere Rezensionsnotizen) steht auf dem ersten Platz, alle weiteren Plätze hier.

Besprochen werden unter anderem Dylan Horrocks" Comic "Der König des Mars" (Tagesspiegel), Hermann Parzingers "Die Kinder des Prometheus" (SZ), Goethes Briefe an Charlotte von Stein (FAZ), Gudmundur Andri Thorssons Roman "In den Wind geflüstert" (NZZ) und Tony Parsons" Krimi "Dein finsteres Herz" (Welt). Mehr in unserer Bücherschau des Tages um 14 Uhr.
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Kunst


"Skull", Andy Warhol, 1976. Bild: Kunstsammlung Chemnitz.

Ingeborg Ruthe hat für die Berliner Zeitung die große Warhol-Ausstellung "Death and Disaster" in Chemnitz besucht, die dem schillernden Glitz-und-Glamour-Künstler den düsteren Warhol entgegenstelle: "Warhol zeigt uns, dass die schöne Oberfläche dieses Waren-Universums Lüge ist. Man blickt in den Abgrund hinter dem schönen Schein." Die gezeigten Arbeiten wirken "wie Parabeln mit heutiger Gültigkeit: Bilder von der Tragik und Absurdität des Lebens, ein wahres Panoptikum von Toten und Todesformen, von Unfallopfern, Gewaltopfern wie John F. Kennedy, Selbstmordopfern wie Marilyn Monroe. Oder die Bedrohung durch die Atombombe im Kalten Krieg."

Besprochen werden ein Bildband von Rainer Sioda (taz), die Pissarro-Ausstellung im Von der Heydt-Museum Wuppertal (FAZ) und die Schau "Nature"s Fury" im American Museumn of Natural History (Welt).
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Bühne

In erster Linie wegen Nico Holonics lohnt sich der Besuch von Oliver Reeses am Schauspiel Frankfurt aufgeführte Bühnenadaption von Günter Grass" "Die Blechtrommel", schreibt Jürgen Berger in der SZ: "Ein Teufelchen im Engelskleid und Engelchen mit teuflisch blauen Augen, ein kalter Zyniker und schlüpfriger Schelm mit Trommelstöcken. Man ist ganz auf der Seite dieses Schauspielers, der greint und grübelt, verführerisch flüstert und größenwahnsinnig schreit." Voll des Lobes für Holonics ist auch Natascha Pflaumbaum auf Deutschlandradio Kultur, sowie Shirin Sojitrawalla von der Nachtkritik, die noch meint: "Dabei interessieren die politischen Verheerungen des letzten Jahrhunderts eher am Rande; im Mittelpunkt steht die Geschichte eines sehr besonderen Erwachsenwerdens." (Bild: Nico Holonics als Oskar Matzerath, Bild: Birgit Hupfeld)

An den Theatern in Mecklenburg-Vorpommern herrschen Sparzwang und Tristesste. In der Welt erzählt Manuel Brug, wie sich der Intendant Sewan Latchinian bereits mit einigem Erfolg daran gemacht hat, das Rostocker Theater zu retten versucht: "Eine Bühne, an der künstlerisch nicht mehr viel lief, an der die Belegschaft, obwohl hier das Kämpfen gewohnt, irgendwie schon resigniert hatte. Die die Hansestadt nur widerwillig mit einem Zuschuss von augenblicklich 16,6 Millionen Euro alimentiert. Und der schließlich auch die Zuschauer abhanden gekommen waren; wohl auch, weil sie mit ihrer Bruchbude als Hauptheimstatt, einem hässlichen, baufälligen Dauerprovisorium auf einem ehemaligen Brauereigelände in der Vorstadt, dessen Festsaal als Auditorium dient, so gar keinen Staat mehr machen konnte."

"Zu schön, um wahr zu sein", findet Marion Löhndorf in der NZZ Rufus Norris" allenthalben gefeierte Aufführung von "Behind the Beautiful Forevers" im Londoner National Theatre.
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Musik

Die erste CD von Grigorij Sokolow nach 13 Jahren - ein Großereignis, jubelt Jan Brachmann in der Berliner Zeitung. Und nicht nur die Freiheit, mit der der Pianist seine Hände über sein Instrument wuseln lässt, bringt den Rezensenten um den Atem, auch dessen Mut zur Variation findet Anklang: "Musikalische Ordnung wird zum Verhalten einer lebendigen Figur. Und diese Lebendigkeit zeigt sich auch in der Freiheit der Verzierung. Denn kaum einmal spielt Sokolow zweimal das Gleiche, auch wenn es so in den Noten steht."

Mit der Reihe Kontraklang bietet der Berliner Heimathafen künftig einmal im Monat der Neuen Musik ein Forum, freut sich Thomas Mauch in der taz, der auch schon vom ersten Konzert mit dem Ensemble Zeitkratzer berichten kann. Klischeevorstellungen, die man von Neuer Musik haben kann, wurden an dem Abend mitunter freudig bestätigt, schreibt er: "Man hörte Plingpling und auch das Krk." Und am Ende gab es Stockhausens "Setz die Segel zur Sonne", als "sich stets verdichtenden, sich bis zu einer Gewitterstimmung intensivierendem Drone, der in seinem mächtigen, die Physis und Psyche durchrüttelndem Sog alles Tändelnde, Alberne oder nur halbgar Interessante des Abends einfach wegschwemmte."

Weiteres: Peter Hagmann nimmt in der NZZ lächelnd zur Kenntnis, wie die Wiener den neuen Chef ihrer Symphoniker, Philippe Jordan, wahrnehmen: "Ein Schweizer sei er halt, der neue Chefdirigent: präzis und unauffällig." Christian Schröder (Tagesspiegel) berichtet vom 7. Berliner Krafwerk-Konzert, bei dem das wegen seiner "Patina des Frühneunziger-Techno" unter den Fans wenig geliebte Best-Of-Album "The Mix" im Mittelpunkt stand: "Ein paar Leute aus Detroit hätten die Remixe garantiert kraftvoller hinbekommen.

Für die Berliner Zeitung hört Jens Balzer neue Dub-Releases: Erst tanzt er zur "erotischen Religionskritik" auf dem neuen Album von Vatican Shadow, um anschließend zu bestaunen, wie Vessel die "spirituelle Entspanntheit des Dub" zugleich nutze und zerstöre. Besprochen werden neue Alben von The Advisory Circle (Pitchfork) und Bryan Ferry (FR).
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Film

Drei Wochen vor Beginn der Berlinale unterhält sich Jörg Michael Seewald (FAZ) mit deren Leiter Dieter Kosslick, den Kritik wie gewohnt wenig anficht: "Im internationalen Vergleich sind wir auf dem dritten Platz [nach Cannes und Venedig]. Da fühlen wir uns wohl. Die Frage ist: Wer ist Nummer zwei? Nummer eins ist eindeutig, und so schauen wir mal: Man weiß aus der Formel 1, dass es gar nicht dumm ist, ein Stück weiter hinten zu fahren, wenn man überholen möchte."

Angelina Jolies nach einem Drehbuch der Coen-Brüder entstandener Kriegsfilm "Unbroken" kommt bei der Filmkritik nicht gut weg. In der Presse ärgert sich Markus Keuschnigg über die "Passionsschmonzette" und "reaktionäre Durchhalteparole". Frank Olbert (Berliner Zeitung) bezeugt große Mengen an "Testosteron, Siegeswillen und Leidensbereitschaft. ... So durchzieht der unangenehme Schweißgeruch einer Männerumkleide den Film." In der SZ bespricht Fritz Göttler den Film. Sophie Charlotte Rieger zürnt als Filmlöwin der Regisseurin, die hier eine sehr männliche Geschichte auf sehr männliche Weise und ohne eine einzige nennenswerte Frauenfigur erzählt.

Im Standard nimmt Frank Hermann die Regisseurin Ava du Vernay gegen Kritik in Schutz, ihr Film "Selma" verzerre die Rolle von Lyndon B. Johnson im Kampf um die Bürgerrechte: "Für Ava du Vernay hat der Streit etwas Bizarres, typisch Washington, weil er sich um die Manöver der Machtzentrale dreht, statt um die Courage der kleinen Leute." Für die taz spricht Christine Stückel mit Marcel Wehn über dessen Dokumentarfilm über die Hell"s Angels. Cornelia Geissler (Berliner Zeitung) spricht mit Sönke Wortmann. Turi2 meldet, dass Woody Allen erstmals in seinem Filmemacherleben eine TV Serie produzieren wird, und zwar für Amazon.
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