Efeu - Die Kulturrundschau

Zwischen Bett und Sandkasten

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
15.09.2014. Laut SZ sehnen sich deutsche Schriftsteller nach ihrer guten alten bürgerlichen Öffentlichkeit. Harmlos-gemütlich laut Welt auch der Pop von Blumfeld. Die FR blättert sich konzentriert durch die pornografische Kunst aus dem Japan des 18. Jahrhunderts. Nicht viel Neues aus dem Sexleben der Großstädter melden die Theaterkritiker aus dem Gorki.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 15.09.2014 finden Sie hier

Bühne


Erotic Crisis. Foto: Esra Rotthoff

Saison-Auftakt am gerade erst für seine letzte Spielzeit als "Theater des Jahres" geehrten Maxim Gorki in Berlin. Gegeben wurden Sebastian Nüblings "Fallen" (mehr) und Yael Ronens "Erotic Crisis" (mehr).Trotz kleinerer kritischer Anmerkungen hält Christine Wahl vom Tagesspiegel beide Stücke für ein hoffnungsvoll stimmendes Versprechen: "Diese zwischen Bett und Sandkasten gestartete Gorki-Saison verspricht schon deshalb spannend zu bleiben, weil sich die künstlerischen Untersuchungsfelder immer weiter öffnen. Und wegen der Schauspieler sowieso." SZ-Kritikerin Mounia Meiborg wurde mit den beiden Stücken zwar nicht rundum warm, bleibt aber wohlwollend: "Bei den Eröffnungspremieren ist nicht alles gelungen. Aber die Versuchsanordnung, die stimmt schon mal." In der Berliner Zeitung rät Ulrich Seidler wenigstens den Pärchen im Theaterpublikum, um "Erotic Crisis" einen Bogen zu schlagen: Man müsse danach ja über Sex reden. Esther Slevogt (taz) lernte unterdessen die paartherapeutisch heilende Wirkung eines Dreiers kennen, da dieser hilft, "reinen Sex von Zärtlichkeit zu unterscheiden". Lediglich Irene Bazinger (FAZ) hat an Ronens Abrechnung mit dem Sexleben der Großstädter einiges auszusetzen: "Alles erscheint gestelzt, spröde, im luftleeren Raum, ohne jede gesellschaftliche Anbindung."

Besprochen werden Tina Laniks Inszenierung von Elfriede Jelineks "Rein Gold" am Staatstheater Wiesbaden (FR), Jürgen Kuttners und Tom Kühnels "Tabula Rasa" am Deutschen Theater Berlin (Berliner Zeitung, SZ), Vincent Macaignes Dostojewski-Projekt "Der Idiot" am Théâtre de Vidy in Lausanne (NZZ), Verdis "Maskenball" in London, der demnächst auch in Dortmund zu hören sein wird (Welt), der Opern-Saisonauftakt am Staatstheater Wiesbaden mit einer "Dreigroschenoper" und der "Frau ohne Schatten" (FAZ), Teshigawaras bei der Ruhrtriennale aufgeführte Performance "Broken Lights" (SZ) und David Böschs "Elektra"-Inszenierung an der Antwerpener Oper (SZ).
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Musik

In der Welt kann sich Michael Pilz ganz gut anfreunden mit dem harmlos-gemütlichen Pop, den Blumfeld auf ihrer Konzerttournee zum Besten geben: "Und warum auch nicht? War früher mehr Diskurs? Warum soll Distelmeyer anders leben als wir? Ohne das restrebellische Grundrauschen und die Gewissheit, das Richtige zu denken und nur nicht immer zu tun? Das ganze irgendwie grünbürgerliche, aber so behagliche Dilemma?" (Besprechungen auch im Tagesspiegel und in der Berliner Zeitung.)

Weitere Artikel: Nachdem die etablierten Protagonisten des US-HipHop sich auffallend still zu den Ereignissen in Ferguson verhalten haben, wirft Daniel Gerhardt für ZeitOnline einen Blick in den subversiven Underground des Genres, das sich einst die Repräsentation der Unterprivilegierten zur Mission erklärt hat. Max Dax plaudert für die Berliner Zeitung mit Roger McGuinn. In der Jungle World erinnert Udo Wolter an die linksradikale Avantgarde-Rockband Henry Cow. In der Zeit porträtiert Carolin Pirich die Sängerin Anna Prohaska. Peter Kemper berichtet in der FAZ vom Kraftwerk-Konzert zu Ehren des 25-jährigen Bestehens des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medientechnologie. Einen "wahren Frühling" verspricht Jan Wiele von der FAZ für diesen Herbst allen Freunden des deutschen Singersongwritertums, nachdem er sich durch neue Veröffentlichungen von Niels Frevert, Stoppok und der Band Laing gehört hat. Nachrufe auf den Jazzmusiker Joe Sample schreiben Edo Reents in der FAZ und Andrian Kreye in der SZ. Und Peter Hagmann resümiert für die NZZ das Lucerne Festival und hebt besonders ein Konzert mit dem Geiger Sergey Khachatryan hervor: "Da wächst einer nach, der fürwahr hoffen lässt."

Hier ist er mit Beethovens Violinkonzert:

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Literatur

Auf dem Autorenkongress "Schreiben 2020" äußerten die versammelten Schriftsteller ihre Sehnsucht nach einer Rückkehr zur bürgerlichen Öffentlichkeit im Gegensatz zu den heute parzellierten Teilöffentlichkeiten, berichtet Felix Stephan in der SZ. Doch fragt er skeptisch: "Gab es diesen Ort jemals? Oder war die bürgerliche Öffentlichkeit nicht vielleicht auch immer schon eine Nische, die sich ihre zentrale Position nur leichter einreden konnte, weil es kein Internet gab, in dem sich die anderen Nischen artikulieren konnten? ... Einerseits, andererseits."

Weitere Artikel: Für die SZ trifft sich Verena Mayer mit Judith Hermann in einer Kleingartenkolonie nahe Prenzlauer Berg. Sven Schneider unterhält sich im Tagesspiegel mit Ken Follett. In der NZZ schreibt Michi Strausfeld zum 100. Geburtstag des argentinischen Schrifsteller Adolfo Bioy Casares. Hannes Stein berichtet in der Welt von einem gewissen Paul Moran, der regelmäßig die Mülltonne von John Updike durchwühlte und seine Funde im Netz präsentiert (mehr in The Atlantic). In der FAZ stellt Fridtjof Küchemann Till Weitendorfs Web-Plattform Oetinger34 vor, auf der sich Kinderbuchautoren, Illustratoren und Lektoren miteinander vernetzen und im anhängigen Verlag publizieren können.

Besprochen werden eine Ausstellung über Thomas Manns Verhältnis zur Kunst im Museum Behnhaus Drägerhaus in Lübeck (Tagesspiegel, FAZ), Thomas Hettches "Pfaueninsel" (Zeit, Tagesspiegel), Bernhard Schlinks "Die Frau auf der Treppe" (Zeit), Declan Burkes Krimi "Absolute Zero Cool" (FR), Michael Köhlmeiers "Zwei Herren am Strand" (FAZ), eine von Beatrice Faßbender herausgebene Anthologie mit New-York-Storys (Tagesspiegel), Nino Haratischwilis "Das achte Leben (Für Brilka)" (FR), NoViolet Bulawayos "Wir brauchen neue Namen" (Jungle World) und Eduardo Halfons "Der polnische Boxer" (SZ).
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Film

Auf Cargo übermittelt Bert Rebhandl Notizen zu allen beim Filmfestival in Toronto gesehenen Filmen. Patrick Wildermann hat sich für den Tagesspiegel die für den heute in Berlin vergebenen First Steps Award nominieren Nachwuchsfilme angesehen, in denen sich eine Tendenz abzeichnet: "Insgesamt (...) wissen die deutschen Nachwuchsfilmer mit der Gegenwart ihrer Heimat nichts anzufangen. Dafür entdecken sie bisweilen Großartiges in der Historie."

Besprochen wird Michael Oberts Dokumentarfilm "Song from the Forest" (SZ).
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Stichwörter: Toronto, First Steps Awards

Kunst


(Bild: Utamaro Kitagawa, Ohne Titel, 1753-1806)

"Es war leichter, 1750 in Osaka und Edo an pornografische Abbildungen zu kommen als 1960 in der Bundesrepublik", bemerkt ein beeindruckter Arno Widmann in der FR beim konzentrierten Blättern in der Shunga genannten pornografischen Kunst aus dem Japan des 18. Jahrhunderts: "Die damals in Japan neu entstehende Mittelklasse der Händler und Handwerker liebte die "Bilder der fließenden Welt" (Ukiyo-e). Die zeigten ihr ihren Alltag nicht als Jammertal, aus dem erlöst zu werden man ersehnte, sondern als abwechslungsreiche, lustvoll erlebte Wirklichkeit. Zu der gehörte damals wie heute das Showbusiness, wie seit jeher zur Welt die Halbwelt gehört. Auf einem Holzschnitt von Utagawa Sadashige von 1825 sieht man eine Frau die sich, das Bild eines Kabuki-Schauspielers betrachtend, auf ihrem Futon befriedigt. Sie benutzt dazu einen Holzdildo, den sie an ihrem Fußgelenk befestigt hat, um ihn in ihrer Scheide bewegen zu können. So kann sie mit einer Hand das Buch halten und mit der anderen ihre Brustwarze."

Weitere Artikel: Christiane Meixner schreibt im Tagesspiegel über Messen auf der Berlin Art Week. Anna Pataczek spaziert für den Tagesspiegel durch die kommunalen Galerien Berlins. Christian Thomas besucht für die FR das nach sieben Jahren Sanierung wieder eröffnete Hessische Landesmuseum in Darmstadt. Online steht jetzt Hanno Rauterbergs Artikel aus der Zeit über Marina Abramovics Londoner Performance "512 Hours".

Besprochen werden Moshe Gershunis Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie in Berlin (Berliner Zeitung) und Clemens von Wedemeyers Ausstellung im Kunstverein Braunschweig (taz).
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