Efeu - Die Kulturrundschau

Glaubt nicht alles, was in den Zeitungen steht

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
22.08.2014. In der FAZ erklärt Rüdiger Safranski, weshalb er Biografien schreibt. Das Blog It's Nice That testet Keramik aus 3D-Druckern. Der Tagesspiegel taucht in die außerirdischen Landschaften russischer Farbfotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert. Nachtkritik begibt sich mit der Neuköllner Oper auf den Taksim-Platz. Und in der Welt fragt sich Christian Holtzhauer: Was bedeutet heute eigentlich Kulturnation?
9punkt - Die Debattenrundschau vom 22.08.2014 finden Sie hier

Film



Waren der erste und der zweite Teil von Sylvester Stallones Altherren-Actionschau "The Expendables" noch eher lahme Übungen, findet Teil 3 nun ohne größere Widerstände seinen Weg in das Herz von Lukas Foerster. Er schreibt im Perlentaucher: "Endlich gelingt es der Filmserie, ihre antiillusionäre Ästhetik produktiv zu machen. ... Der eigentliche Reiz der (...) Serie bestand stets darin, auf den nächsten unerwarteten Cameo-Auftritt, auf die nächste cine-mythologische Verbrüderungsgeste der alten Recken zu warten. Die Fiktion dagegen war in den ersten beiden Filmen bestenfalls ein notwendiges Übel. "The Expendables 3" dagegen ist nicht einfach nur ein nostalgischer Actionfilm mit einigen in die Jahre gekommenen Filmstars; sondern ein - darin ganz und gar nicht nostalgischer - Film über das in die Jahre gekommene Starsystem Hollywood." In der FR bespricht Daniel Kothenschulte den Film.

Besprochen werden außerdem der dänische Horrorfilm "When Animals Dream" (Tagesspiegel), Ulrike Frankes und Michael Loekens Dokumentarfilm "Göttliche Lage" (FAZ, Tagesspiegel) und Xavier Dolans "Sag nicht, wer du bist" (Jungle World, FR, Perlentaucher).
Archiv: Film

Musik

In der taz durchreist Philipp Rhensius mit dem neuen Album "Green Language" des Post-Dubstep-Produzenten Rustie postmodern vielgestaltige Klanguniversen und stößt dabei auf "überdrehte Parallelwelten aus epischen Melodien, psychedelischen HipHop-Beats und synästhetischer Überwältigung." Diese Musik steht für "einen Paradigmenwechsel in der Clubmusik (...), weg von der Reduktion, hin zur maximalen Überladung, weg von erhabener Düsterheit hin zur anarchischen Euphorie." Auf Soundcloud gibt es euphorische Hörproben, eine weitere Besprechung bringt ZeitOnline.

In der Jungle World staunt Hendrik Otremba darüber, dass das Berliner Underground-Urgestein Mutter auf seinem neuen, im September erscheinenden Album zwar noch immer zum Nachdenken und Grübeln anregt, dabei aber so "einladend klingt" wie nie zuvor: "Es wäre gut für diese Welt, wenn die Band es ins Radio schaffen würde."

Weiteres: Bei spex meldet Daniel Gerhardt, dass sich das schwedische Elektro-Duo "The Knife" auflöst. Dazeddigital bringt das letzte Interview mit den Schweden.

Besprochen werden Steve Reichs Auftritt beim Berlin Atonal Festival (Tagesspiegel), das neue Album "Gist Is" von Adult Jazz (taz) und das neue Album "LP 1" von FKA Twigs (NZZ).
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Design



(Via OEN) James Cartwright vom Blog It"s Nice That hatte den Hype um 3D-Drucker schon satt, da stieß er auf den niederländischen Designer Olivier Van Herpt, der mit dieser Technologie tatsächlich sehr reizvolle Keramikobjekte produziert: "Heute ist er fähig, geometrisch komplexe Dinge wie Schalen und Platten und größere dekorative Objekte zu drucken. Ale werden mit der Spritzmaschine in verschieden dicken Schichten aufgebaut. Olivier kann Muster und Größe einstellen und jedem Objekt ein eigenes Finish geben. Jetzt finde ich 3D-Drucker wieder aufregend."

Für die New York Times hat sich Michael Kimmelman Design-Krankenhäuser in aller Welt angeschaut und dabei durchaus einen heilenden Effekt, aber auch Probleme bemerkt: "Most hospital architects are not experts at health care design, because they have probably never been in a wheelchair."

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Kunst


Exposition Dries Van Noten, Inspirations. Image courtesy Luc Boegly / Les Arts Decoratifs

Zwei Meter über dem Boden schwebt Rose-Maria Gropp von der FAZ aus der vom Modemacher Dries van Noten im Pariser Museum Les Art Decoratifs eingericheten Schau "Inspirations", in der ausgestellte Kunst und Mode sehr zum Gewinn beider Formen aufeinandertreffen: ""Es ist, als seien phantastische Schmetterlinge ihren Larven entschlüpft, die sich in den Kunstwerken - in den Gemälden oder Filmen oder Fotografien - eingenistet hatten. Sie kommen auch gar nicht ans Tageslicht, sondern führen ihre schillernde Existenz in den schwarz ausgekleideten Räumen, beleuchtet von den Punktstrahlern wie unter nächtlichen Sonnen, ein Universum eigenwilliger Schönheit."

In der Berliner Zeitung schlägt Nikolaus Bernau vor, die für die Dauer von mindestens fünf Jahren wegen Sanierungsarbeiten im Berliner Pergamonmuseum weggesperrten antiken Altarfriese in Form von Abformungen weiterhin der Öffentlichkeit zugänglich zu halten: "Es könnte etwas entstehen, was das Pergamonmuseum nicht zu bieten hat: Der Rundgang außen um den fast quadratischen Altarkörper, so, wie man ihn in der Antike erlebte. Im Altarsaal stehen die Friese bekanntlich an den Innenseiten des Saals. Eine monumentale, aber kulturhistorisch unbefriedigende Lösung."

Einen Rausch gaz eigener Art bietet derzeit die Photographers" Gallery in London, wo russische Farbfotografien aus dem frühen 20. Jahrhundert zu sehen sind: Rüdiger Schaper schwärmt im Tagesspiegel davon, dass diese Bilder "wie verseuchte Gewässer" leuchten und bis heute "von hyperrealer Farbigkeit" sind: "Außerirdische Landschaften."

Besprochen wird die Ausstellung "Rembrandt. Tizian. Bellotto" in der Hypo-Kunsthalle München (SZ, FAZ).
Archiv: Kunst

Bühne

Für nachtkritik hat sich Eva Biringer die von Nicole Oder an der Neuköllner Oper inszenierte Oper "Taksim Forever- #Rüyalar park" angeschaut, und würde der politischen Dringlichkeit zu Liebe gern beide Augen zudrücken, aber: "es hilft nichts. Der an sich brisante Stoff gerät zu einer Flut an Parolen, Worthülsen, Überbleibseln aus vier oder fünf Jahrzehnten Agitprop-Blabla: "Glaub nicht alles, was in den Zeitungen steht", "Keine Macht für Niemand", "Wir sind das Volk." Ja, es weht ein unverkennbar roter wind of change über die Neuköllner Opernbühne."
(Murat Dikenci mit der Maske von Ministerpräsident Erdogan, Foto: Matthias Heyde)

Im Interview mit Tom Mustroph in der Welt erzählt Christian Holtzhauer, frisch gebackener Leiter des Kunstfests in Weimar, wie er es mit modernen Mitteln zu den Wurzeln der Klassik zurückführen will: "Bedeutet Kulturnation heute nur noch, viel Geld für die Kultur auszugeben? Im 19. und auch 20. Jahrhundert beschwor dieser Begriff ja die Einheit einer Nation, die politisch nicht gegeben war. Welche Geschichten müssen wir heute bemühen, um ein Bild von uns selbst zu bekommen? Spielt die Idee der Nation dabei noch eine Rolle?"

Weiteres: Im Standard spricht Andrea Schurian mit dem entlassenen Burgtheater-Intendanten Matthias Hartmann über weitreichende Verstrickungen hinter den Kulissen.
Archiv: Bühne

Literatur

Die FAZ dokumentiert die Dankesrede des Schriftstellers und Biografen Rüdiger Safranski zur Verleihung des Literaturpreises der Konrad-Adenauer-Stiftung. Darin erklärt er, warum für ihn die Biografik "dem individuellen Leben näher ist als jede andere Wissenschaft. Mehr noch: Sie ist dem individuellen Leben so nahe, dass jeder, wenn er sein Leben zu begreifen versucht, unwillkürlich zum Biographen seiner selbst wird. Goethe, als er an "Dichtung und Wahrheit" schrieb, hat den inneren Antrieb der Biographie auf eine kurze Formel gebracht: Jeder ist selbst nur ein Individuum und kann sich auch eigentlich nur fürs Individuelle interessieren."

In der FR rät der Schriftsteller Oleg Jurjew dringend zur Lektüre von Blaise Cendrars 1926 veröffentlichtem Roman "Moravagine": Dieser "ist einer der wichtigsten Spiegel, die der Europäer von heute vor die Augen bekommen kann."

Besprochen werden u.a. eine Capote-Biografie von George Plimpton (FR), Wilhelm Genazinos "Bei Regen im Saal" (Zeit), Thomas Weiss" "Flüchtige Bekannte" (SZ) und Esther Kinskys "Am Fluß" (FAZ).
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