Efeu - Die Kulturrundschau

Das definitive Leckmich

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
04.08.2014. Riesenlob für den Salzburger "Rosenkavalier" und den Testosteron ausatmenden Faun, den Günther Groissböck als Ochs gibt. Riesenlob auch für Castorfs Bayreuther "Ring" und den grandiosen Kiril Petrenko. Wo ist der Schock im Pop, fragt die Zeit. In der FAZ erklärt Judith Hermann, warum die Arbeit am Roman viel Ähnlichkeit hat mit der Arbeit im Bergwerk. Der Tagesspiegel geißelt die Orgien der Unfähigkeit des Berliner Senats.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 04.08.2014 finden Sie hier

Bühne


Bild: Der Rosenkavalier 2014, mit Günther Groissböck (Ochs), Sophie Koch (Octavian). © Salzburger Festspiele / Monika Rittershaus

Na also, endlich zeigen die Salzburger Festspiele, was sie können, seufzt ein glücklicher Peter Hagmann in der NZZ nach der Aufführung des erstmals ungekürzten "Rosenkavaliers" in der Inszenierung von Harry Kupfer. Und was sieht man? Eine Abrechnung mit der feudalen Gesellschaft, die Kupfer und sein Bühnenbildner Hans Schavernoch großartig in Szene gesetzt haben: "Es lebt von Prospekten, die auf Fotografien zurückgehen, von unmerklich bewegten Ansichten auf die im Umbruch befindliche Kaiserstadt Wien. Wenige Bauteile markieren die Differenz zwischen dem Barock des untergehenden Adels und dem Jugendstil des aufsteigenden Bürgertums, wie es Herr von Faninal (Adrian Eröd) verkörpert. Was sich aber in der Gesellschaft abspielt, zwischen den Menschen nämlich, was sich da an Spannung aufbaut, das stellt Kupfer mit der ihm eigenen Meisterschaft heraus."

"Gut, manchmal sogar sehr gut" findet auch Manuel Brug diese Inszenierung, deren Pfeffer nicht zuletzt dem Ochs von Günther Groissböck zu verdanken sei: "Eigentlich sollte die Oper einmal "Ochs auf Lerchenau" heißen. Und wenn man den saftigkräftigen Günther Groissböck nun erstmals hört, eine grandiosstimmige Mischung aus charmierendem Don Juan, sich plusterndem Provinzgockel und Testosteron ausatmendem Faun aus Niederösterreich, dann weiß man auch, wieso. Er ist der schlanke, immer nach den Röcken grabschende Dreh- und Angelpunkt, um den hier alles kreiselt."

Deutlich weniger in Wallung: Hans-Klaus Jungheinrich von der FR, der das Spektakel bei aller Begeisterung (die "bisher heuer geglückteste Salzburger Opern-Neuinszenierung") kühl analysiert: Kupfer "geht es hier nicht um spektakulär veränderte Perspektiven. Er betont die abgeklärten Aspekte des Stoffes, vermittelt ruhige, mitunter etwas steif bleibende Personenkonstellationen."

Außerdem: Großes Lob von Eleonore Büning in der FAZ für Inszenierung und den "herrlichen Bass" von Günther Groissböck: "Es war fast zu schön. Kann nicht wirklich sein."

Ganz ausdrücklich lobt Mirko Weber in der Berliner Zeitung Frank Castorfs "monomanische wie stilistisch polyvalente", im vergangenen Jahr legendär ausgebuhte Bayreuther "Ring"-Inszenierung. Insbesondere Dirigent Kiril Petrenko findet bei ihm positive Erwähnung: "Man geht aus dieser maßstabsetzenden Produktion selbst nach fast zwanzig Stunden Dauer nur ungern heraus, und ist im Geiste noch tagelang mit ihr beschäftigt. Seitenlange Analysen wären gerechtfertigt, und ein Hauptaspekt müsste sich richten auf Petrenko als Entdecker von Wagners Kunst jenseits des "Magnetiseurs und Affresko-Malers". ... Ein Geschenk." Der wichtigste "Ring" seit Chereau, findet auch Kai Luehrs-Kaiser in der Welt. Selbst wenn Castorf für den Schluss "gar nichts eingefallen ist. Ein Armutszeugnis angesichts einer optisch sonst derart auf Grandiosität getrimmten Inszenierung. Oder einfach: Berliner Stil. Das definitive Leckmich."

Weitere Artikel: Für die taz hat sich Uwe Mattheiss aktuelle Aufführungen der Salzburger Festspiele angesehen. Christiane Peitz erkundigt sich für den Tagesspiegel bei Sven Friedrich nach den Plänen für die neue Dauerausstellung des seit 2010 wegen Sanierung geschlossenen Richard-Wagner-Museums in Bayreuth, das 2015 wiedereröffnet werden soll.

Besprochen werden Rolf Hochhuths "Sommer 14" am Theater am Schiffbauerdamm in Berlin ("öde Polittirade", so Reinhard Wengierek in der Welt, weitere Kritiken in Tagesspiegel und Berliner Zeitung), Miloš Lolićs in Salzburg aufgeführte Inszenierung von Ernst Tollers "Hinkemann" (SZ), die Aufführung von Nicoleta Esinencus "Fuck you, Eu.ro.Pa!" beim Theater-Festival in Chisinau in Moldawien (Berliner Zeitung).
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Musik

Die Zukunft ist der Popkultur abhanden gekommen, meint der Poptheoretiker Mark Fisher (hier sein Blog) im Gespräch mit Daniel Herbstreit für Zeit online: "Wenn man eine Zeitreise ins Jahr 1994 unternähme und ein paar Leuten ein beliebiges Popstück aus dem Jahr 2014 vorspielen würde - es würde keine Irritation auslösen, keinen Zukunftsschock. Höchstens würden sie fragen: "Was, in 20 Jahren klingt Popmusik immer noch so?" Spielte man hingegen jemandem in den siebziger Jahren Rave aus den Neunzigern vor, er wäre wohl ziemlich überwältigt vom Eindruck des Neuen bei dieser Musik." Genauer legt Fisher diese Thesen in seinem Buch "Ghosts of my Life" dar, aus dem The Quietus einen Auszug präsentiert.

Geradezu dionysische Anwandlungen erfährt Peter Richter von der SZ beim Besuch des Metalfestivals in Wacken. Lemmy Kilmister und Ozzy Osbourne deutet er dabei glatt als legitime Wiedergänger des antiken Rausch- und Weingotts: "Das fliegende Haupthaar ist da, die satyrnhafte Fokussierung gewisser Teile des Anhangs aufs Geschlechtliche, mitunter auch wirklich eindrucksvolle Bäuche, denn manche Strukturprinzipien bleiben stets die gleichen, auch wenn die Personifikationen wechseln."

Außerdem: Frank Junghänel berichtet in der Berliner Zeitung von Plänen, unveröffentliches Material von Bob Dylan zu veröffentlichen.

Besprochen werden das neue Album der Beatsteaks (FAZ) und eine CD-Box mit Aufnahmen der Pianistin Maria João Pires (Tagesspiegel).
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Literatur

Nils Minkmar unterhält sich für die FAZ mit Judith Hermann über deren Romandebüt "Aller Liebe Anfang". Warum die seit 1998 für ihre Erzählungen gefeierte Schriftstellerin erst jetzt ihren ersten Roman vorlegt, erklärt sie so: "Eine Erzählung kann man viel besser kontrollieren. Man geht in den Erzählraum hinein und sieht, wenn man sich umdreht, wie man hinein gekommen ist, und man sieht auch, wie man wieder rauskommen wird. Einen Roman zu schreiben war für mich wie die Arbeit in einem Bergwerk, einem Tunnel: Man steigt in den Schacht, verliert den Einstieg aus den Augen, und der Ausgang ist noch lange nicht in Sicht. ... Dieses Gefühl war fast klaustrophobisch."

Außerdem: Michaela Metz berichtet in der SZ vom brasilianischen Literaturfestival "Flip", wo man darüber klagt, dass das Interesse an brasilianischer Literatur nach der Begeisterung auf der Frankfurter Buchmesse vor einem Jahr "merklich abgekühlt" sei.

Besprochen werden Christian Muhrbecks und Ilija Trojanows Bild-Interviewband "Wo Orpheus begraben liegt" (FR, mehr), ein Gedichtband von Ben Okri (Tagesspiegel), Anthony McCartens "funny girl" (SZ), die Wiederveröffentlichung von Pierre Mac Orlans 1917 erstveröffentlichte Militärgroteske "U-713 oder Die Unglücksritter" (Tagesspiegel) und Grigori Kanowitschs "Ewiger Sabbat" (Jungle World).
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Film

(via) Der traurige Abschied vom analogen Filmmaterial - eine Kurz-Doku von Jason Gwynn und Jay Sheldon.

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Kunst



Abgebrochene Körperteile haben Rodin nie etwas ausgemacht, so sehen schließlich auch viele antike Statuen aus, erklärt Caroline Kesser in der NZZ nach dem Besuch einer Rodin-Ausstellung im Genfer Musée d"Art et d"Histoire. "Für seine Technik des Anstückens und Zusammenfügens von nicht Zusammengehörendem gab es dagegen keine Vorbilder - es sei denn im anonymen Mittelalter, das den Verfasser von "Les Cathédrales de France" (1914) ja auch faszinierte. Die in Genf ausgestellte Bronze "Étude pour St. Jean-Baptiste" verdankt sich gleichermaßen dem Zufall wie der Willkür. Sie geht auf einen lädierten Torso zurück, den Rodin tel quel gießen ließ und Jahre später mit einem unabhängig davon entstandenen Beinpaar ergänzt in einen "Homme qui marche" verwandelte. Gleichzeitig konnte er das Fragment eines Fußes zum autonomen Kunstwerk erklären."

Das sanierungsbedürftige Pergamon-Museum in Berlin schließt im September für fünf Jahre seine Pforten. Für Gerhard Falkner im Tagesspiegel nichts anderes als eine für Berliner Verhältnisse symptomatische Groß-Katastrophe: "Nach dem Scheitern der ehemals eindrucksvollsten Baustelle Europas zum heutigen Potsdamer Platz, (...) nach der Platzierung des Alexa, eines grotesken roten Albtraums zwischen den eleganten Peter-Behrens-Bauten und dem nicht minder überzeugenden DDR-Juwel des heutigen Berliner Congress Centers am Alexanderplatz, nach den Orgien der Unfähigkeit beim Flughafen Berlin Brandenburg, überzieht die Stadt das historische Berlin mit einer Baustellen-Großoffensive, deren Verhüllungsphilosophie unweigerlich auf eine Repräsentationskrise verweist."

Weitere Artikel: Im Tagesspiegel empfiehlt Christiane Meixner einen Sommerausflug in die Arthena Foundation in Düsseldorf. Sabine Weier bringt in der taz Hintergründe zur Crowdfunding-Kampagne der Berliner Fotogalerie C/O Berlin, die eine Finanzspritze für ihre geplante Wiedereröffnung im Herbst im sanierten Berliner Amerikahaus benötigt.

Besprochen werden eine Ausstellung mit Farbfotografien aus dem Ersten Weltkrieg im Martin-Gropius-Bau in Berlin (taz), die Ausstellung "Terra Altenbour" im Kupferstich-Kabinett in Dresden (FAZ), die Carl-Spitzweg-Ausstellung im Museum Georg Schäfer in Schweinfurt (FAZ), eine Ausstellung mit Arbeiten von Gianfranco Baruchello in den Hamburger Deichtorhallen (Tagesspiegel) und eine Installation von Sheela Gowda in der daadgalerie in Berlin (Tagesspiegel).
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