Efeu - Die Kulturrundschau

Temporäres Verschwinden des Selbst

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
10.07.2014. Die taz folgt auf einem Hackertreffen Tweets von in der NS-Zeit verbotenen Autoren. Außerdem fordert sie eine Subkultur-Steuer für Berlin-Kreuzberg. Die FAZ ist sich nicht sicher, ob sie beim Kunstberater Helge Achenbach Nachhilfe in Akquise nehmen sollte. Und im Freitag fürchten sich deutsche Hiphopper vor einer Festanstellung.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 10.07.2014 finden Sie hier

Kunst



Katharin Tai hat für die taz den Hackaton Coding da Vinci aufgesucht, auf dem Hacker und (zuvor vehement überzeugte, bei dem Begriff "offene Daten" laut protestierende) Museen und Bibliotheken erstmals zusammenarbeiteten und viel Neues entdeckt: "ein Zwitscherwecker, den Schlafende nur ausschalten können, indem sie den zwitschernden Vogel erraten, ein Twitteraccount, der in der NS-Zeit verbotene Autoren und ihre Werke twittert oder eine App, in der man selbst alte Musikinstrumente spielen kann." Bild: Coding da Vinci


Ganz einig scheint man sich nicht über den Fall des wegen Betrugsverdacht inhaftierten Kunstberaters Helge Achenbach zu sein, meint Andreas Rossmann in der FAZ. Kasper König weiß über den "halbseidenen Typ", der das WM-Quartier der National-Mannschaft ausstattete und Jérome Boateng einen Gerhard Richter andrehte, zu berichten: "Der geht auf den Golfplatz, lernt irgendwelche Leute kennen, und kurz darauf sind sie bekehrt für die Kunst, und er dreht ihnen teure Bilder an, weil sie glauben, sich damit - wie mit einem Haus auf Sylt - in die Gesellschaft einkaufen zu können."

Weitere Artikel: Sehr entspannt geht Lena Bopp von der FAZ durch die Summer Exhibition im Londoner Burlington House, wo 1400 anonymisiert ausgestellte Werke von professionellen und Amateur-Künstlern darauf warten, entdeckt zu werden - und das mit befreiendem Effekt: "Was hier zählt, ist die reine Anschauung." Für den Tagesspiegel hat sich Rüdiger Schaper die in der Humboldt-Box ausgestellten Pläne für das Berliner Humboldt-Forum angesehen. In der Berliner Zeitung erzählt Ingeborg Ruthe die Geschichte, wie ein Gemälde von Petra Flemming 1989 auf abenteuerlichem Wege aus der DDR in den Westen kam.

Besprochen werden die fotohistorische Ausstellung "Lichtbilder" im Frankfurter Städel (FR), ein Dokumentarfilm von Katrin und Susanne Heinz über Carolyn Christov-Bakargievs Documenta 13 (taz), eine El Greco gewidmete Ausstellung im Prado in Madrid (FR) und eine Ausstellung von Gisèle Freunds Fotografien in der Akademie der Künste in Berlin (FAZ).
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Literatur

Für den Freitag hat Mikael Krogerus eine FAQ zum momentanen Trend-Literaten Karl Ove Knausgård zusammengestellt.

Besprochen werden John Garths "Tolkien und der Erste Weltkrieg" (FAZ), Naoki Urasawas Manga "Billy Bat" (Tagesspiegel), Ulrich Herberts "Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert" (Freitag), Frank Nonnenmachers "Du hattest es besser als ich" (FR), Mukoma wa Ngugis Kriminalroman "Nairobi Heat" (FR) und die Wiederveröffentlichtung von Blaise Cendrars" 1926 veröffentlichtem Roman "Moravagine" (SZ).
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Design

Giorgio Armani wird 80 Jahre alt. In der SZ schreibt ihm Thomas Steinfeld euphorische Geburtstagsgrüße. Im Kern von Armanis Konzept sieht er die "Erfahrung aufgeschobener Zeit": "Nur er geht so mit Zeit und Alter um, nur bei ihm ist es fast immer Spätsommer, Frühherbst, Oktober, und bloß manchmal grünt da etwas Frischeres."
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Musik

Mit Wonne begibt sich Philipp Rhensius für die taz in den "nicht enden wollenden Kreislauf des temporären Verschwindens des Selbst, der Ekstase und der Auflösung von Zeit", den die Musik des heute in Berlin auftretenden Musikers Heatsick bietet. Vom Krisenhänger der letzten Jahre ist nichts mehr zu spüren: Dem deutschen "HipHop geht es wieder richtig gut", meint Jörg Augsburg im Freitag nach dem Besuch des Splash!-Festivals. Die Tagesspiegel-Autoren haben unterdessen genug vom Regen und empfehlen Sommerhits aus der Plattenkiste, und in der SZ schreibt Jens-Christian Rabe Popkolumne.

Besprochen wird das Album "Megafauna" von Tiny Fingers (Zeit).
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Stichwörter: Ekstase, Hiphop, Sommerhits

Bühne

Besprochen wird eine Aufführung von Mozarts "La finta giardiniera" in Glyndebourne: "Gesanglich bewegt sich die Aufführung auf höchstem Niveau", jubelt Gina Thomas in der FAZ. Im Guardian fand Erica Jeal den Willen zur Unterhaltung etwas übertrieben.
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Film

Zwei aktuelle Filme - "Umsonst" von Stephan Geene und "Ich will mich nicht künstlich aufregen" von Max Linz (unsere Berlinale-Kritik) - entwickeln im Blick auf Berlin-Kreuzberg eine dezidiert politische Perspektive, schreibt Diedrich Diederichsen in der taz: "Beide Filme stellen die Frage, wie es angehen kann, dass diejenigen, die diesen Ort und seine Attraktivität permanent produzieren und reproduzieren, dafür nicht nur nicht bezahlt werden, sondern auch dieses Nichts der Freiheit immer weniger gegen etwas tauschen können. Es wird Zeit, dass Hoteliers, Immobilienspekulanten und Ferienwohnungsbesitzer endlich Subkultursteuer abführen."

Außerdem: Im Freitag berichtet Juliane Löffler von einer Berliner Vorführung von Ulrike Zimmermans und Claudia Richarz" Film "Vulva 3.0" über die ideologische Repräsentation des weiblichen Geschlechtsteils: "Wird die Pussy sichtbar (...) hat sie Regeln zu folgen: Klein, infantil, haarlos, machtlos soll sie sein." In der Zeit beschreibt Georg Seeßlen mit einem einzigen brillanten Satz den Unterschied zwischen französischen und deutschen Komödien: "Die einen haben Körper, die andern haben Rollen."

Besprochen werden William Eubanks Science-Fiction Film "The Signal" (ein wahrhafter "Mindfucker", lobt Hanns-Georg Rodek in der Welt, Zeit), Jean-Pierre Jeunets Film "Die Karte meiner Träume" (Welt) (SZ), Claudia Sainte-Luces "Der wundersame Katzenfisch" (Tagesspiegel), eine DVD von Volker Koepps "Landschaften und Porträts. 1970-1987" (taz), Stephan Geenes Berlin-Film "Umsonst" (Freitag), Alec Baldwins und James Tobacks Cannes-Dokumentation "Verführt und Verlassen" (SZ), Takashi Miikes Thriller "Wara no Tate" (FAZ) und "Begegnungen nach Mitternacht", dessen Regisseur Yann Gonzalez Andreas Busche in der taz attestiert, das "neue Wunderkind des "Queer Cinema"" zu sein.
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