Efeu - Die Kulturrundschau

Orchestrales Glühen

Die besten Kritiken vom Tage. Wochentags um 9 Uhr, sonnabends um 10 Uhr.
23.06.2014. Im Blog der NYRB erklärt James Sallis, warum ihn die Krimis von Manchette an die Felle erlegter Eichhörnchen erinnern. Die SZ schätzt die Arbeit des Fotografen Stan Douglas in den Münchner Kammerspielen zwar nicht als Drama, wohl aber als Medien-Installation. Lana Del Reys Konzert in Berlin hat die Kritiker gespalten. The Verge freut sich über zwar körniges, aber sauberes "Texas Chain Saw Massacre".
9punkt - Die Debattenrundschau vom 23.06.2014 finden Sie hier

Literatur

Ein drastisches Bild findet der Krimiautor James Sallis im Blog der NYRB für die Krimis des Noir-Autors und Situationisten Jean-Patrick Manchette: "In den Hügeln des Südens, wo ich aufwuchs, nagelten Eichhörnchen-Jäger ihre Beute oft an die Bäume und trennten mit Messer und rauer Kraft in einer reißenden Bewegung den Körper vom Fell. Es war eine saubere, schnelle und wirksame Methode. Die Felle ließen sie an den Bäumen zurück, als bleibende Erinnerungszeichen, die ihre Jagdhütten umgaben. Bücher wie die von Manchette sind wie diese Felle."

In der SZ berichtet Christoph Haas vom Erlanger Comic-Salon, über den sich auch beim Tagesspiegel zahlreiche Artikel finden. Kristina Maidt-Zinke (SZ) und Jürgen Kaube (FAZ) gratulieren dem Schriftsteller Peter Bieri zum 70. Geburtstag. Sieglinde Geisel besuchte für die NZZ die Arno-Schmidt-Ausstellung anlässlich des hundertsten Geburtstages des "Wortmetz" in Celle und schreibt begeistert von der gelungenen Komposition: "Man ertastet die Worte mit der Zunge und lauscht ihrem Klang, man ist auf alles gefasst und erweitert damit seinen inneren Horizont."

Besprochen werden das Hörbuch nach David Almonds "Der Junge, der mit dem Piranha schwamm" (FAZ), Anthony Marras "Die niedrigen Himmel" (SZ) und Jaroslav Rudišs "Vom Ende des Punks in Helsinki" (Zeit).
Archiv: Literatur

Kunst



In der Welt erinnert Tilman Krause an den Maler und Karl-May-Illustrator Sascha Schneider mit seinen "nackten, heroisch aufgereckten Männerbildern" - das Schwule Museum in Berlin widmet ihm eine große Ausstellung. (Sascha Schneiders "Triumph der Finsternis" (1896) entnehmen wir der Website der Ausstellung.)

Im Tagesspiegel perspektiviert Nicola Kuhn die Geschichte von Kunst am Bau in der Bundesrepublik seit den Neunzigern bis heute: "Neuerdings zeichnet sich (...) eine Tendenz zur stärkeren räumlichen und inhaltlichen Nähe ab. Ortsspezifizität ist erwünscht, repräsentativ darf es trotzdem gerne sein."

Besprochen werden eine Mike-Kelley-Ausstellung im MoCA Los Angeles (Jungle World), Adrian Schiess" Ausstellung "Peinture" im Kunstzentrum FRAC in Marseille (taz) und eine Ausstellung zum Thema Queerness in den NGBK in Berlin (Tagesspiegel).
Archiv: Kunst

Bühne



Für die SZ stellt Catrin Lorch die mit nostalgischen Effekten arbeitenden, fotografischen Arbeiten von Stan Douglas vor, der seine dabei entwickelnde Arbeitsweise nun auch im Theater mit seinem mit Film und Filmgeschichte hantierenden, in den Münchner Kammerspielen aufgeführten Stück "Helen Lawrence" anwendet: Dieses "ist weniger Theater denn eine große Closed-Circuit-Installation... Die schönsten Effekte sind hier, im Theater, nicht dramatischer Natur, sondern zeigen sich da, wo Kamerawinkel und Dialog zwar zusammengehen, die Akteure aber einfach aneinander vorbeizureden scheinen. Als Stück kommt das über einen schwarz-weißen Plot von Gangstern und Kriegsversehrten nicht hinaus. Als Medien-Installation ist es eine vielschichtige Evokation." (Foto: David Cooper)

In Graz bei der Styriarte durfte Ljubisa Tosic vom Standard eine Koproduktion von Nikolaus und seinem Bruder Philipp Harnoncourt als Regisseur von Purcells "The Fairy Queen" erleben. Dessen grell-komische Ideen interessierten ihn allerdings weniger als die musikalischen Leistungen des Bruders: "Nikolaus Harnoncourt schafft es, die Pracht von Purcells Ideen sowohl Drive einzuhauchen wie auch deren malerische Schattierungskunst zu evozieren. Hier ist keine Note beliebig, fast jede Passage orchestrales Glühen." Walter Weidringer sieht"s in der Presse ähnlich.

Weitere Artikel: Im Tagesspiegel berichtet Peter von Becker von der Theaterbiennale "Neue Stücke aus Europa" in Wiesbaden. Er beobachtet: "Ob in Minsk oder Moskau, in Budapest oder Istanbul: Das zeitgenössische Drama versucht sich in autoritären Staaten mit weitgehend gelenkten Massenmedien noch als freier Spiegel der Zeit." Mounia Meiborg resümiert in der SZ das Braunschweiger Festival Theaterformen, das sich in vielen Stücken mit der Aufarbeitung von Geschichte befasste.

Besprochen werden Salvatore Sciarrinos inmitten der sich in Sanierung befindlichen Räumlichkeiten der Staatsoper Berlin aufgeführter "Macbeth" (Berliner Zeitung, Tagesspiegel), Giorgio Madias fetisch- und zeigefreudige Inszenierung von "Don Juan" am Staatsballett Berlin (Tagesspiegel), Béla Pintérs bei der Theaterbiennale in Wiesbaden aufgeführtes Stück "Unsere Geheimnisse" (FR) sowie Manos Tsangaris" und Marcel Beyers in Dresden aufgeführte Oper über Karl May (SZ).
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Musik

Lana Del Rey hat ihr vorläufig einziges Deutschlandkonzert in Berlin gegeben. Recht lustlos berichtet Jens-Christian Rabe im Print der SZ davon, ausführlicher schreibt dagegen seine Kollegin Ruth Schneeberger im Online-Auftritt der Süddeutschen: Sie beobachtet unter anderem Del Reys "Verweigerung, sich auf der Bühne körperlich anzustrengen. ...Das ist ein strikter Gegenentwurf zu den Rihannas, Mileys und Gagas ihrer Zeit, die sich in ihren Shows immer noch artistisch zu übertrumpfen versuchen. Lana Del Reys absolute körperliche Zurückhaltung ist zunächst wieder mal eine Reminiszenz an Zeiten, als es auf der Bühne noch nur um die Musik ging und kaum um Körpereinsatz. Aber sie ist wohl auch ein Grund, warum das Publikum sie für ihre Entspanntheit schätzt." In der Berliner Zeitung zeigt sich Markus Schneider unterdessen so enttäuscht von dem Auftritt, dass er lieber noch ein wenig über das aktuelle Album "Ultraviolence" fachsimpelt. Auf Youtube kann man sich von der Entspanntheit der Sängerin überzeugen:



In der Welt unterhält sich André Bosse mit der Rockveteranin Chrissie Hynde über ihr neues Album. In der FAZ berichtet Jan Brachmann von den erlesenen Genüssen, die sich ihm bei den Potsdamer Musikfestspielen darboten.
Archiv: Musik
Stichwörter: Youtube, Rihanna, Rey, Lana del

Film



Vierzig Jahre nach seiner Premiere kommt das "Texas Chain Saw Massacre" in einer 4k-Version (das heißt in der höchsten heutigen digitalen Qualität) und remastered in die amerikanischen Kinos, und das war eine Menge Arbeit, berichtet Rich McCormick in The Verge: "Boris Seagrave, der den Film remastered hat, sagt, dass er mit "Zehntausenden" Mängeln zu tun hatte. "Es gab Hunderte, wenn nicht Tausende Schnittspuren mitten in den Bildern. Manche Bilder präsentierten zweihundert Schmutzereignisse." Trotz der Reinigerung soll der körnige Charakter der Filmbilder aber erhalten geblieben sein."

In der taz plädiert Silvia Hallensleben dafür, die Regisseurinnen des Neuen Deutschen Films wie Ula Stöckl oder Helke Sanders in der Filmgeschichtsschreibung endlich besser zu repräsentieren. Und zwar nicht nur wegen "abstrakter Quotenhuberei, sondern deshalb, weil diese Ausgrenzung und Missachtung eines Teils der westdeutschen Filmgeschichte auch bedeuten, dass in diesem Bild ein wesentlicher Aspekt möglicher filmischer Wahrnehmung der Welt und zu erzählender Geschichten fehlt. Denn man muss nicht biologistisch denken, um zu sehen, dass die Filme der Regisseurinnen andere, abweichende und neue Erfahrungen formulieren."

Ebenfalls in der taz beobachtet Stefanie Schulte Strathaus vom Berliner Kino Arsenal den Aufbau einer Kinemathek in Kairo, die gerade mit ersten Vorführungen und Diskussionen den Betrieb aufnimmt: "Die aufgebrachte Energie und die Genauigkeit der Selbstreflexion sind beeindruckend, doch nach den Mühen der jahrelangen Vorbereitung breitet sich auch Erschöpfung aus. Manche westlichen Förderer haben nicht mehr den gleichen Schwung wie vor oder zu Beginn der Revolution, täglich tauchen neue Schwierigkeiten auf. Und alle wissen: Man wird sich schon bald nicht nur mit Geld, sondern auch mit politischer Kontrolle und Zensur auseinandersetzen müssen."

Außerdem: Im Tagesspiegel empfiehlt Silvia Hallensleben die Pre-Hays-Code-Filmreihe im Kino Arsenal. Jan-Schulz Ojala gratuliert im Tagesspiegel, Hannes Hintermeier in der FAZ Helmut Dietl zum Siebzigsten. Film der Woche bei Spiegel Online ist "Football Under Cover", in dem Perlentaucher David Assmann mit seinen Schwestern Marlene, Valerie und Corinna sowie dem iranischen Regisseur Ayat Najafi die Entstehungsgeschichte des ersten öffentlichen Frauenfußballspiels in Iran dokumentiert, das sie im Jahr 2006 gemeinsam organisierten; hier ist der Film in voller Länge zu sehen.

Besprochen werden neue Dokumentarfilme über Landwirtschaft in Deutschland (Tagesspiegel).
Archiv: Film