Efeu - Die Kulturrundschau

Der Mensch und seine Obsession mit den Dingen

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06.06.2014. In den Aufnahmen der Pianistin Ana-Marija Markovina lernt die NZZ den radikalen Eigenwillen von Carl Philipp Emanuel Bach kennen. Dem Roman von David Foster Wallace angemessen, aber weniger niederschmetternd, finden die Kritiker die Frankfurter Ausstellung "Unendlicher Spaß". Die Erinnerung an den D-Day wird von den Bildern Steven Spielbergs überlagert, meint die FAZ. Und die SZ fragt sich angesichts der Marbacher Ausstellung "Reisen - Fotos von unterwegs", ob man bei Flucht, Exil und Kriegseinsätzen wirklich von Reisen sprechen kann.
9punkt - Die Debattenrundschau vom 06.06.2014 finden Sie hier

Kunst




(Foto: Peter Coffin, Untitled, 2008)

"Unendlicher Spaß" lautet der Titel einer von Matthias Ulrich kuratierten Kunstschau in der Frankfurter Schirn, die als Ganzes zwar von David Foster Wallace" gleichnamigem Roman inspiriert ist, doch nicht auf Ebene des einzelnen Werks. "Der Mensch und seine Obsession mit den Dingen, könnte man die Ausstellung aber auch überschreiben", meint dazu Sylvia Staude nach einem Rundgang in der FR und schreibt weiter: "Wo nur soll all der Schrott hin, wenn wir unseren unendlichen Spaß mit ihm gehabt haben? Es ist, aber das war bei ihrem Roman-Bezugspunkt allemal zu erwarten, eine mindestens ernüchternde, wenn nicht ziemlich pessimistische Ausstellung."

Swantje Karich von der FAZ fühlt sich, anders als nach Lektüre des Romans, deutlich weniger mitgenommen: "Bei Wallace ist die Verschränkung von Vision und Realismus schmerzhaft. ... Hier, in der Schirn, stehen die Vision und das Dokument dagegen einfach nebeneinander, es tut nicht weh. Die Schau wirft mit Stichworten (und zum Großteil wirklich guten Arbeiten) um sich. Aber sie verfolgt einen nicht in den Schlaf, nicht einmal ins Restaurant im Anschluss."

Ziemlich genervt ist Ingeborg Ruthe in der Berliner Zeitung davon, dass Kritiker vornehmlich aus dem süddeutschen Raum die 8. Berlin Biennale schlecht reden: "Diese Biennale 2014 ist tatsächlich das Gegenteil zum Polit-Spektakel von 2012. ... Sie bietet entschleunigende Poesie, Exkurse in die Völkerkunde und die wechselvolle Geschichte, auch des Kolonialismus und Postkolonialismus. Sie verweigert die Indienstnahme der Kunst."

Weitere Artikel: Der österreichische Künstler Ferdinand Penker ist am Montag überraschend an Herzversagen gestorben, meldet der Standard. Besprochen werden die von Rem Kohlhaas kuratierte Architektur-Biennale in Venedig (Welt, Standard, Presse), eine Ausstellung mit Fotografien von Cindy Sherman im Kunsthaus Zürich (NZZ, Tages-Anzeiger) und der Fotoband "Berlin Wonderland" über die Berliner Hausbesetzer der 90er Jahre (taz).
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Musik

Für die NZZ hört sich Marcus Stäbler durch die Fülle neuer Aufnahmen von Werken Carl Philipp Emanuel Bachs, aus denen insbesondere die 26 CDs umfassende Gesamteinspielung sämtlicher Soloklavierwerke durch die kroatische Pianistin Ana-Marija Markovina herausragt: "Auch dreihundert Jahre nach seiner Geburt überrascht der Komponist immer wieder mit seinem mitunter radikalen Eigenwillen - etwa in einer späten fis-Moll-Fantasie für Klavier aus dem Jahr 1787, in welcher der damals 73-jährige Bach seine Gedanken verträumt von einem Thema zum nächsten schweifen lässt und dabei immer wieder romantische Regionen streift. Zu einer Zeit, wohlgemerkt, als etwa ein Franz Schubert noch nicht einmal geboren ist."

Der Münchner Kulturreferent Hans-Georg Küppers nimmt den, wegen putinfreundlicher Aussagen in die Kritik geratenen künftigen Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker Valery Gergiev in Schutz, berichtet Helmut Mauró in der SZ: ""Wir sind ja als Studenten nicht für Gesinnungsfreiheit auf die Straße gegangen, um nun als politisch Verantwortliche das Gegenteil zu praktizieren", sagt der Kulturreferent. "Wir wollen nicht zurück in die Siebzigerjahre, als man Postboten und Lokführern wegen ihrer politischen Ansichten Berufsverbot erteilte.""

Weitere Artikel: Jens Uthoff stellt in der taz das Musikland Kanada anhand neuer Indie- und Hardcore-Platten von Owen Pallet, Kevin Drew und Fucked Up (Stream) vor. Der Tages-Anzeiger meldet, dass die sizilianische Nonne Cristina Scuccia das Finale der italienischen TV-Show "The Voice of Italy" gewonnen hat. Ihr erster Auftritt ist mittlerweile zu einem veritablen Youtube-Hit avanciert:



Besprochen werden neue Veröffentlichungen von Maria Minerva (taz) und Jack White (Tagesspiegel).
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Bühne

Auch Jan Bosses auf Komödie getrimmte Inszenierung von Tschechows "Die Möwe" kann zum Ende einer konfliktgeplagten Saison die Stimmung am Burgtheater nicht retten, meint Karin Cerny in der Welt. Besprochen werden Johan Simons" Wiener Inszenierung von Jean Genets "Die Neger" (taz - mehr in unserer gestrigen Kulturrundschau) und Oskar Schlemmers am Bayerischen Staatsballett aufgeführtes "Triadisches Ballett" (SZ).
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Literatur

Als teils grenzwertig weit gefasst empfindet Volker Breidecker in der SZ den der Ausstellung "Reisen - Fotos von unterwegs" des Literaturmuseums in Marbach, das darin von Literaten erstellte Schnappschüsse und fotografische Souvenirs präsentiert, zu Grunde gelegten Reisebegriff: "Sie [umfasst] auch ganz unfreiwillige "Reiseerfahrungen" wie Flucht und Exil ebenso wie kriegerische Expeditionen des Ersten Weltkriegs, deren Teilnehmer sich außer mit Gewehren und Geschützen auch mit Handkameras bewaffneten... Angesichts von Armin T. Wegners Fotos der Leichenberge von Opfern der jungtürkischen Pogrome an den Armeniern noch von "Reisefotografie" zu sprechen, sollte der Anstand jedoch verbieten."

Die FAZ dokumentiert Christoph Ransmayrs Dankesrede zum Fontane-Preis. Besprochen wird unter anderem Jutta Piveckas Briefroman "Punk Pygmalion" (Freitag). Mehr in unserer aktuellen Bücherschau heute ab 14 Uhr.
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Film

Zum Jahrestag der Landung der Allierten in der Normandie denkt Andreas Kilb in der FAZ über das Verhältnis von Bild, Erinnerung und Geschichte nach. Im berühmten Beginn von Steven Spielbergs Film "Saving Private Ryan" sieht er Robert Capa, der beim Entwickeln zerstörte Fotoaufnahmen des Ereignisses filmisch rekonstruiert: "Man weiß, diese Szenen sind Fiktion. Und doch glaubt man, dass es so war, wie sie es zeigen. Wenn die letzten Zeitzeugen von damals gestorben sind, werden die Filmbilder ihre Erinnerung bewahren. Natürlich sind sie nicht die historische Wahrheit. Aber sie sehen ihr verdammt ähnlich."

Besprochen werden Stefan Hillebrands und Oliver Paulus" Film "Vielen Dank für Nichts" (Zeit, Tagesspiegel), Marcin Malaszczaks Dokumentar-Essay-Spielfilm "Sieniawka" (Tagesspiegel, Perlentaucher) und der Actionfilm "Brick Mansions" (Critic.de, Welt, Tagesspiegel, Perlentaucher).
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