01.10.2007. Gott wird gelassen attackiert, die Israel-Lobby monokausal verantwortlich gemacht, die Romantik zu einer deutschen Angelegenheit erklärt und die Postmoderne virtuos gehandhabt: all das in den besten Büchern im Oktober.
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Noch mehr Anregungen gibt es natürlich weiterhin
- im vergangenen
Bücherbrief- in
Vorgeblättert- in der
Krimikolumne "
Mord und Ratschlag"
Die besten Bücher des Frühlings finden Sie übrigens in den
Büchern der Saison. Und natürlich haben wir die aktuellen
Literaturbeilagen ausgewertet.
Buch des MonatsChristopher HitchensDer Herr ist kein HirteWie Religion die Welt vergiftet
Christopher Hitchens' Streitschrift gegen Gott&Co wird in den kommenden Wochen durch die Feuilletons touren. Die
SZ lässt die Anklageschrift in Gestalt der englischen Ausgabe schon mal von Friedrich Wilhelm Graf testen. Der Theologe erteilt Hitchens überraschenderweise und gutgelaunt seinen Segen. Geistreich und subtil sei das Ganze, voll
skeptischer Gelassenheit und toleranter Großzügigkeit, abgefasst in einem brillanten Stil, so dass man gerne weiter lese, jedoch mit genügend Selbstkritik, um Distanz wahren zu können gegenüber dem Autor.
Richard Dawkins' plumpem Machwerk
"Der Gotteswahn" sei diese Florett-Attacke unbedingt vorzuziehen, meint Graf. In der
Welt bescheinigt Hannes Stein Hitchens, wahrscheinlich "der klügste Kopf seiner Generation" zu sein und nimmt das Buch dann gründlich auseinander. Wer sich selbst ein Urteil bilden möchte: Hier eineaus unserer
Vorgeblättert-Kolumne.
LiteraturMichael OndaatjeDivisaderoRoman
Mit dem "Divisadero" erklimmt die
NZZ verschwitzt aber glücklich den vorläufigen Gipfel von
Michael Ondaatjes Schaffen. Drei Waisen, drei
Außenseiter, deren Lebenswege auseinander laufen und sie zu Spielern und Künstlern werden lässt. Die innere und äußere Zerissenheit der Helden spiegelt sich kongenial in der offenen Anlage des Romans, erklärt die
NZZ, und nur dem herausragenden Erzähler sei es zu verdanken, dass das Ganze schließlich zu einem vollkommenen Resultat führe. Die
FR pflichtet bei: Dank Ondaatjes
postmoderner Virtuosität werde die radikale Komposition nicht nur zur meisterhaften Fingerübung, sondern auch zu einer wahrhaft großen Geschichte.
Alexa Hennig von LangeRisikoRoman
Mit einem angenehmen Frösteln beobachtet die
SZ, wie
Alexa Hennig von Lange die idyllische Fassade zweier Familien Stein um Stein abträgt, bis es am Schluss ums nackte Überleben geht. Filmische Mittel,
schnelle Perspektivwechsel und eine sezierende Beobachtungsgabe ziehen die
SZ schnell ins Geschehen. Auch die
FAZ bewundert die gelungene Konfrontation von konservativen Werte und
neurotischen Abgründen. Besonders gefällt ihr das Souveräne und Unaufgeregte dieses Gesellschaftsdramas mit Thrillerqualitäten.
Jonathan CottNahaufnahme: Glenn GouldTelefongespräche mit Glenn Gould
Musik ist Mathematik:
Glenn Gould wäre am 25. September 75 Jahre alt geworden, wenn er nicht vor 25 Jahren kurz nach seinem
50. Geburtstag gestorben wäre. Schon lange vor seinem Tod hatte sich der berühmte kanadische Pianist zurückgezogen, mit der Außenwelt nahm er nur noch über Studioaufnahmen oder das Telefon Kontakt auf. An der Strippe zeigte er sich redselig und bewandert, wie die hier dokumentierten stundenlangen Telefongespräche mit dem
Rolling-
Stone-Reporter
Jonathan Cott zeigen. Die
SZ hat neben einem Gespräch über Gott und die Welt auch einen interessanten Einblick in die
spontane Seite des musikalisch so auf Kontrolle bedachten Pianisten bekommen.
SachbuchRüdiger SafranskiRomantik Eine deutsche Affäre
Großes Aufsehen erregt
Rüdiger Safranskis Versuch, nicht nur die Epoche der Romantik und ihre Protagonisten von
Brentano bis Eichendorff darzustellen, sondern auch das Romantische als deutsche Geisteshaltung bis 1968 zu ergründen. Grandios ist es dem
Zauberkünstler Safranski wieder einmal gelungen, das Wesentliche zu verdichten, applaudieren
FAZ und
Zeit. Für die
NZZ ächzen die 400 Seiten dagegen merklich unter dem viel zu umfangreichen Programm, übrig bleibe nur noch eine Literaturgeschichte mit Lücken. Am unteren Ende der Hingerissenheitsskala befindet sich die
SZ, die in den
trüben Spiegeln der hier zusammengekoppelten Langessays ihr Bild der Romantik nur teutonisch verstümmelt wiederfindet.
John J. Mearsheimer, Stephen M. WaltDie Israel-LobbyWie die amerikanische Außenpolitik beeinflusst wird
Zusammen mit Rüdiger Safranskis Romantik-Essay hat diese Kritik zweier amerikanischer Politikwissenschaftler an der "Israel-Lobby" und ihrem
schädlichen Einfluss auf die USA die Gemüter wohl am stärksten erhitzt. Skeptiker wie Micha Brumlik in der
NZZ finden nur Behauptungen, wo sie gerne Belege gesehen hätten. Hanno Loewy zeigt sich in der
FR erschüttert über die Naivität und S
chwammigkeit der Argumente. Der
taz ist alles etwas zu monokausal. Es gebe zwar eine Israel-Lobby, aber für den Krieg gegen den Terror sei sie dann doch nicht alleine verantwortlich. Die
Zeit meint allerdings, bei allen Defiziten lege das Buch doch den Finger auf eine bisher
verdeckte Wunde.
Naomi Klein
Die Schock-StrategieDer Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus
Es braucht nur einen Krieg oder eine Naturkatastrophe, und die Jünger des Ökonomen
Milton Friedman nutzen ihre Chance. Staatsausgaben werden gesenkt, Dienstleistungen privatisiert, und die Bürger gucken in die Röhre. Das ist nicht so an den Haaren herbeigezogen, wie es Naomi Kleins zahlreiche Kritiker gerne hätten, meint die
FR. Belege finde man hier genug, auch wenn ein wenig mehr Analyse angebracht gewesen wäre. Die
SZ ist empört über die
Lara Croft der Globalisierungsgegner, weil die alle Widersprüche tunlichst übergeht. Die
FAZ ist deutlich milder gestimmt. Man könne hier durchaus etwas über die
Perversion des Profitstrebens lernen, meint sie, muss aber einen hässlichen blinden Fleck gegenüber dem Staatssozialismus diagnostizieren. In der
New York Times zeigte sich Nobelpreisträger
Joseph Stiglitz beeindruckt von Kleins Beschreibung der
unanständigen Wirtschaftspolitik eines Milton Friedman.
Peter Merseburger Rudolf AugsteinBiografie
Hochgestimmt und melancholisch zugleich: die
definitive Biografie von
Rudolf Augstein, für viele wohl der bedeutendste Journalist der Bundesrepublik. Neben der intellektuellen Klarheit schätzt ein begeisterter Klaus Harpprecht in der
SZ besonders die Fähigkeit
Peter Merseburgers, auf dem schmalen Grat der kritischen Würdigung zu balancieren. Eine Erfolgsgeschichte, die auch die Fehler nicht verschweige, wie etwa Augsteins Ablehnung des Deutschland-Vertrags oder sein
Desinteresse an Europa.
Louise Richardson Was Terroristen wollenDie Ursachen der Gewalt und wie wir sie bekämpfen können
Über den Terrorismus ist wahrlich schon viel geschrieben worden. Gut Ding will aber Weile haben, wie
Louise Richardsons wegen ihrer Brillanz gefeierte Analyse beweist. Die
NZZ will dem Terror künftig mit Gelassenheit und
Selbstbewusstsein begegnen, genauso wie es die Harvard-Historikerin vorschlägt. Der
Zeit gefällt es, wie gründlich Richardson aufräumt mit den Legenden über die Entstehung und die Ursachen des internationalen Terrorismus. Dass die Terroristen
Rache,
Ruhm und Reaktion wollen, leuchtet der
FR sofort ein. Mit Richardson scheinen alle Kritiker wieder Mut zu schöpfen.
HörbuchEmily DickinsonGedichte1 CD. Deutsch-Englisch
Nicht jeder kann die
Gedankenstriche in
Emily Dickinsons Gedichten so schön als Bruch und Erschütterung vortragen wie die Schauspielerin
Julika Jenkins, notiert die
Zeit erfreut. Nicht nur das macht die zweisprachige CD zur Empfehlung, sondern auch der Verzicht auf alles
Geraune. Denn das brauche man bei der bedeutendsten Dichterin des 19. Jahrhunderts wahrhaft nicht.