Romane / Krimis, Lyrik, Comics, Essays, Erinnerungen / Sach- und politische Bücher


Krimis

Zwei Krimis zur Finanzkrise: Petros Markaris' "Faule Kredite" sagt im Titel ja schon, worum es geht: Miese Finanzgeschäfte mit Folgen. Ein pensionierter Bankchef, ein Banker, ein Mitglied einer Rating-Agentur und der Gründer einer Inkassofirma werden auf enthauptet aufgefunden. Zeit-Kritiker Tobias Gohlis fand das alles etwas blutarm. In taz und NZZ zeigten sich die Kritiker dagegen von der Aktualität dieses griechischen Krimis begeistert. Der Brite Robert Harris beschreibt in "Angst" (wie ein nicht abschaltbarer Computer-Algorithmus eine weltweite Finanzkrise auslöst. Ein Thriller? Ein Sachbuch? "Schwer zu sagen. Denn wir leben in einer Zeit, in der dieser Unterschied zusehends verschwindet", meint Rayk Wieland bei 3sat. Die Geschichte "klingt nach skurriler Science-Fiction, ist aber, davon hat sich Harris bei seinen ausgiebigen Recherchen überzeugt, leider längst Realität", schreibt Jobst-Ulrich Brand im Focus. Interviews mit Harris in der Welt, der SZ und im Handelsblatt bestätigen das.

Die mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Reporterin Lorraine Adams erzählt in "Crash" ihrem zweiten Krimi, eine Spionagegeschichte, die einige Journalisten in Washington aufzudröseln suchen. In der FAZ ist Hannes Hintermeier hin und weg: klug erzählt, und was Adams über den heutigen Journalismus zu sagen hat - die "Ressorteitelkeit", das "Zuständigkeitsgespreize" - findet Hintermeier ebenfalls höchst treffend. Ganz anders im Ton Jan Costin Wagners "Das Licht in einem dunklen Haus" Hier weint der Mörder und scheint sympathischer zu sein als seine Opfer. Wagner kann die feinsten Seelenregungen seiner Figuren vermitteln, ohne dabei zu psychologisieren, meint FAZ-Rezensentin Sandra Kegel, die das besonders reizvoll findet.

Außerdem sehr gut besprochen wurden Don Winslows "Zeit des Zorns" über Sex&Drugs in L.A. und Mexiko, Arni Thorarinssons "Ein Herz so kalt" der neben der Krimihandlung ein mit leichter Hand gezeichnetes Porträt der isländischen Gesellschaft bietet, und John Grishams "Das Geständnis" (der nicht nur tadellose Krimiware ist, sondern auch "ein literarisches Werk heißen darf", verkündet Burkhard Müller in der SZ.


Comics

David Mazzucchelli erzählt in "Asterios Polyp" die Geschichte von "Aufstieg und Verblendung", von "Fall und Erlösung" eines Architekten. Dazwischen eingeblendet immer wieder Exkurse zu Architektur oder Bildhauerei. Wie er das nun bildlich umsetzt, hat die Rezensenten schlicht umgehauen. Nichts bleibt "narratives Füllmaterial", staunt Clemens J. Setz in der Welt. Noch die philosophen Streitgespräche sind "bildreich und anschaulich" in die Geschichte integriert. Damit führt Mazzucchelli den Comic in ganz neue Höhen, die die leicht künstliche Adelung als Graphic Novel schon wieder unnötig machen, lobt Andreas Platthaus in der FAZ. Und Thomas von Steinaecker ruft in der SZ: Bester Comic des Jahres.

"Im Schatten keiner Türme" verarbeitet Art Spiegelman den 11. September. Und zwar: "wirr, brutal, sarkastisch und phantasievoll, despektierlich und desaströs", wie ein begeisterter Fritz Göttler in der SZ schreibt. Für Jens Balzer (FR) sind es schlicht die "schönsten und klügsten Comicseiten" des Autors. Craig Thompsons "Habibi" ist ein Comic über zwei Sklavenkinder, Zwangsverheiratung, Prostitution, Christentum und Islam. Christoph Haas war das in der SZ erzählerisch alles etwas zu überladen. Die Zeichnungen findet er allerdings "aufregend" und lebendig. Christian Schlüter zeigt sich in der FR einfach "überwältigt", wenn Thompson die Schönheit abstrakter Schriftzeichen ins Sinnliche, Gegenständliche überführt.

Sehr gut besprochen wurden auch Posy Simmonds "Gemma Bovery" die Flauberts Heldin nach Britannien versetzt, Jose-Luis Bocquets und Catel Mullers "Kiki de Montparnasse" über eine Künstlermuse, die im Paris der zwanziger Jahre zu Berühmtheit gelangte. Und Isabel Kreitz' Bilderbuch über die deutsche Nachkriegszeit "Deutschland"


Gedichte

Einen schönen Einblick in die polnische Lyrik bekommt man mit Karl Dedecius' Anthologie "Meine polnische Bibliothek" Dedecius versammelt darin polnische Gedichte aus neun Jahrhunderten. Zeitgenössische Autoren wie Andrzej Stasiuk oder Dorota Maslowska fehlen leider, wie der ansonsten sehr positiv rezensierende Jörg Plath in der FAZ anmerkt. Aber wer mehr will, kann sich ja immer noch auf Dedecius' "Polnische Gedichte des Zwanzigsten Jahrhunderts" stürzen oder auf die fünfzigbändige Ausgabe der "Polnischen Bibliothek" oder auf das siebenbändige "Panorama der polnischen Literatur des 20. Jahrhunderts".

William Wordsworth - nie gelesen? In Britannien ist der Dichter (1770-1850) fast so populär wie Shakespeare. Jürgen Brocan (NZZ) ist jedenfalls sehr froh über die Auswahl aus dem umfangreichen Werk, die jetzt zweisprachig - in der Übersetzung von Wolfgang Schlüter - unter dem Titel "I Wandered Lonely As a Cloud" bei uns erschienen ist. Auch Schlüters Nachwort ist zur Einführung in das Werk des Dichters bestens geeignet, so Brocan. Auch der Amerikaner Wallace Stevens (1879-1955) ist ein Dichter, den es hierzulande noch zu entdecken gilt. Heinrich Detering zeigt sich in der FAZ jedenfalls sehr froh über die zweisprachige Auswahl, die jetzt unter dem Titel "Hellwach, am Rande des Schlafs" von Joachim Sartorius herausgegeben wurde. Nur Nietzsches Erlösungsanspruch an die Kunst sei größer gewesen als der des - hauptberuflich in einer Versicherung arbeitenden - amerikanischen Dichters, so Detering, der den "intellektuellen Glanz" und die "sinnliche Schönheit" der Gedichte rühmt.

Ebenfalls empfohlen: Christian Lehnerts "Aufkommender Atem" den Harald Hartung in der FAZ für seine diskrete Metaphysik feierte, und Rolf Haufs "Tanzstunde auf See" deren Doppelbödigkeit Wulf Segebrecht in der FAZ hervorhob.


Literarische Essays, Essays über Literatur

In "Die Besessenen" nimmt sich Elif Batuman die Klassiker der russischen Literatur vor. Aber es ist kein akademischer Essay, den sie hier geschrieben hat, sondern eher ein mit leichter Hand geschriebenes, sehr persönliches Lektüreprotokoll: Batuman hat keine Angst vor dem Wort "ich". Das fanden die deutschen Rezensenten schon mal sehr erfrischen. Außerdem hat sie Witz, ist klug, schlagfertig und sie hegt eine Leidenschaft für die Literatur, die nie abstrakt bleibt, so Uli Hufen bewundernd im Deutschlandfunk. Claus-Ulrich Bielefeld zitiert im RBB-Kulturradio zustimmend die Los Angeles Times: "So hätte ein unerhört talentiertes Kind von Susan Sontag und Buster Keaton geschrieben." Für Mara Delius in der Welt zeigt dieser Essay, wie sich die Liebe zur Literatur in reflektierte und zugleich "lebendige Gedanken" übersetzt. Und in der SZ erkennt Jens-Christian Rabe bewundernd, dass Batuman die Erkenntnis aus literarischen Werken jederzeit der Erkenntnis aus dem realen Leben vorzuziehen scheint.

Gut gefallen haben den Kritikern auch Franz Schuhs "Der Krückenkaktus" Jan Wagners Poetologie "Die Sandale des Propheten" und Georg Stanitzeks "Essay - BRD"


Erinnerungen

Ein wildes Leben, ein wildes Debattieren, und dann noch ein paar Meinungen, die bis heute für saure Mienen sorgen: das ist Christopher Hitchens Autobiografie "The Hitch" ). Franziska Augstein mag ihm in der SZ nicht verzeihen, dass er 2003 für den Irakkrieg war - und doch spürt man, wie sie etwas widerwillig seiner Faszination erliegt, sie nennt das "elegant-amüsante englische Niedertracht". Und bei Nils Minkmar ist diese Faszination ganz willig: Herzzerreißend fand er in der FAZ Hitchens' Erinnerung an seine Mutter, und sein ganzes burleskes, pikareskes und buntes Leben, so Minkmar, erklärt sich für ihn aus dieser Beziehung zur Mutter. taz-Rezensentin Doris Akrap gewann Hitchens mit seiner Fähigkeit zur Selbstkritik. Fast 700 Seiten, nicht immer perfekt lektoriert, wie Sylvia Staude in der FR anmerkt, aber garantiert ein Vergnügen.

Roberto Zapperi ist ein italienischer Deutschlandliebhaber, dem die Liebe zu Deutschland nicht unbedingt in die Wiege gelegt war. In seinem Buch "Eine italienische Kindheit" ) schildert er sein Aufwachsen im vormodernen Sizilien, und wie ihm ausgerechnet in Gestalt eines deutschen Soldaten eine andere Welt entgegentrat, die er zu lieben lernte. Alle Kritiker sind sehr gerührt von diesem kurzen Band des italienischen Historikers und Goethe-Liebhabers, der in Deutschland berühmter ist als in Italien.


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