Romane / Lyrik, Krimis, Reportagen, Kinderbücher / Sachbücher / politische Bücher


Lyrik

Das Ereignis der Saison, das letzte Meisterwerk des 20. Jahrhunderts - behaupten jedenfalls die Rezensenten - ist ein Versroman: Ulrich Greiner (Zeit) und Jan Wagner (FR) vergleichen Les Murrays zweisprachig erschienenen "Fredy Neptune" () mit Homers "Odysee". Ein Seemann durchwandert die Welt und das 20. Jahrhundert und wird Zeuge der Schrecken eines "wahnsinnigen Jahrhunderts". Der Kniff an diesem Epos ist, dass Murray seinen Helden nicht in hohem Ton, sondern wie einen australischen Kleinfarmer sprechen lässt. Thomas Poiss (FAZ) nennt das Buch das "kühnste Gedicht des zwanzigsten Jahrhunderts", Frank Schäfer (taz) staunt über die "erzählerische Urgewalt", und Jürgen Brocan (NZZ) erklärt kurzerhand: nobelpreisverdächtig.
Sehr gut besprochen wurden auch Silke Scheuermanns Gedichtband "Der zärtlichste Punkt im All" (), den Harald Hartung in der FAZ für seine Ironie und "zutiefst skeptische Intellektualität" lobt. Jan Wagners Lyrikband "Guerickes Sperling" () hat Lothar Müller (SZ) in anregende Unruhe versetzt. Es sind Gedichte von kühler "Virtuosität" und mit "logischen Widerhaken", staunt er.


Krimis

Vor allem der Zeit und dem begeisterungsfähigen Tobias Gohlis - praktisch der einzige hauptberufliche Krimirezensent im deutschen Feuilleton - sei Dank können wir auch einige neue Krimis vorstellen. Monika Geier hat mit "Stein sei ewig" () ihren bisher besten Roman veröffentlicht, versichert Gohlis. Kommissarin Bettina Boll muss den Mord ein einem Aktmodell in der Architekturfakultät der Lautringer Uni aufklären. "Allerfiligranstes Kunst-Handwerk" zeichnet diesen Roman aus, so Gohlis, und höchst amüsant sei er auch. Großes Lob auch für Jasper Ffordes "Der Fall Jane Eyre" (): Ein "schlauer, herrlicher Spaß" über eine Detektivin, die verhindern soll, dass Jane Eyre aus ihrem Roman entführt wird. Gohlis ist begeistert, vor allem, weil die Bösewichter hier "innovativ immer auf Draht" sind.

Die taz hat zwei deutsche Krimiautoren entdeckt: Johannes W. Betz' "Bundesautobahn" () ist ein höchst aktuelles Stück über die "chromglänzende Hölle der Temposünder und testosterongesteuerten Testfahrer", schreibt Kolja Mensing. Und Tobias Rapp empfiehlt Frank Schätzings "Der Schwarm" (), ein "großartiger" Umweltkrimi, der nur am Ende in seinem Antiamerikanismus etwas zu simpel gestrickt sei. Robin Detje spottet in der SZ zwar über "Schätzings deutsches Öko-Weltgenesungswesen", doch gibt er zu, dass der Roman spannend ist: "Ein Fall von Edelschrott, den man nicht verachten soll, ein Qualitätsprodukt der Kulturindustrie, wie es der Rest der deutschen Industrie schon lange nicht mehr zustande bringt ..."

Empfohlen werden schließlich noch Carlo Lucarellis amüsante Groteske "Laura Rimini" (), John Le Carres in Deutschland spielender Thriller "Absolute Freunde" (), Yi Munyols "Der entstellte Held" () über den Machtkampf in einem koreanischen Klassenzimmer und Thea Dorns "Die Brut" (), ein "kalt geschmiedetes Meisterstück" rund um eine erfolgreiche Talk-Show-Moderatorin.


Reportagen

Einhellige Bewunderung hat Karl-Markus Gauß für "Die Hundeesser von Svinia" () auf sich gezogen, wobei die Begeisterung für den "erstklassigen Reporter" mit Bestürzung über die Situation der "Elendsgemeinden" der Zigeuner im Osten der Slowakei einherging. Die FR hat in diesem Reisebericht vom vermeintlichen "Erdmittelpunkt der Ereignislosigkeit" nicht nur Elend, Armut und Gestank erlebt, Schuldsklaven, Wucherherren und Hundeesser, sondern auch "viel unverputzte Schönheit". Die Zeit staunt, wie Gauß Atmosphäre "nur mit feinster Präzision" vermittelt. Und die NZZ adelt ihn zu einem Berichterstatter von "nachgerade philosophischem Format": "Sein Sehen ist ein Schauen".

Gefeiert wurden auch zwei weitere Bücher aus dem journalistischen Genre: In Marie-Luise Scherers Reportagenband "Der Akkordeonspieler" () sieht die SZ ganz große Literatur: "Sie sammelt nicht einfach Eindrücke", schwärmt Gustav Seibt von Scherers Technik, "sie versinkt in fremdem Leben, sie geht mit Haut und Haar darin auf". Sebastian Haffners Feuilletons "Das Leben der Fußgänger" () werden als Alltagspoesien aufgenommen, die vordergründig dem leichtem Leben in schweren Zeiten huldigen, doch genau darin ihre Hintergründigkeit entfalten, wie Stephan Schlak in der SZ das Haffnersche Spiel über Bande erläutert: "Mit der Zigarette zwischen den Fingern ist es unmöglich, den Übermenschen zu spielen."


Kinder- und Jugendbücher

Für Kurze bis 6 Jahre

Weil es Brauch ist, dass jede seiner Frauen ihm ein Kissen näht, muss der Sultan täglich auf einen immer größer werden Berg von Kissen gehievt werden. Besonders die hundert "dicken, dünnen, kleinen, großen, schönen oder potthässlichen" Haremsdamen in Claudia Schreibers und Sybille Heins "Sultan und Kotzbrocken" () haben es Maria Frise (FAZ) angetan. In der Beziehung des Sultans zum schusseligen Kranführer Kotzbrocken sieht sie eine neue, witzige Variante des altbekannten Motivs Herr und Knecht. Angelika Ohland feiert das Buch in der taz als "eine wunderbare Lobpreisung der Faulheit".

Die alte Martha hat Hunger. Deshalb entschließt sie sich, ihr Schwein Emil zum Schlachter zu bringen. Natürlich kann sie es am Ende doch nicht. Als eine gelungene Kooperation Hans Traxlers mit sich selbst in Eigenschaft als Kinderbuchautor und Cartoonist lobt Martin Scholz in der FR "Komm, Emil, wir gehn heim!" (). Es ist eine hoffnungsvolle und beinah versöhnliche Groteske, die sich durch eine eigenwillige Mischung "aus satirischem Biss und kindlicher Poesie" auszeichnet, so Scholz. Für Patrick Bahners (FAZ) bietet die Geschichte neben einigen rührenden Einsichten in die Natur als Verwertungskreislauf sogar metaphysische Momente.

Für Kurze ab 10 Jahre

Regelrecht "erschüttert" ist Klaus Doderer in der Zeit von Uri Orlevs "Lauf, Junge lauf" (), der Geschichte des jüdischen Jungen Srulik, der aus dem Warschauer Ghetto flieht. Zwar verliert der Achtjährige seine Familie, doch nicht die Hoffnung und stellt sich allein dem Überlebenskampf während des Holocaust. "Atemlos" hat Burkhard Spinnen in der FAZ verfolgt, wie "hier jemand das Wagnis unternimmt, sich auf dem schmalen Grat zwischen Schulstunde und Abenteuerroman zu halten". Als ein spannendes Mahnwerk empfiehlt Günter Kunert in der FR den Jugendroman, der Raum für Versöhnung und Hoffung lasse. Doderer und Spinnen machen überdies auf die geschickte, klare Übersetzung Miriam Presslers aufmerksam.

Kirsten Boie verquickt in ihrem Science Fiction-Roman "Die Medlevinger" () "gekonnt Spannung, Komik, fantastische Kuriosa und die authentischen Befindlichkeiten heutiger Kinder", findet Simone Giesen, die sich in der FR darüber freut, wie es der Autorin gelingt, auch aktuelle Sujets wie "Mobbing unter Schülern", die "alleinerziehende forsche Mutter" und die "freche, kluge Göre" unterzubringen, ohne dabei den abenteuerlichen Plot zu überfrachten, sondern ihn im Gegenteil sogar noch zu einem "handfesten Krimi" zu entwickeln. Das Zwergenvolk der Medlevinger, das der zwölfjährige Johannes im Hinterhof seines Hauses entdeckt, erinnern Giesen an Tolkiens Hobbits. Und auch Wilfried von Bredow (FAZ ) musste an Tolkien denken. Die vergnügliche, spannende und lehrreiche Geschichte entwickelt sich auf mehreren Ebenen mit steigendem Erzähltempo zu einem spannenden Krimi mit einer Menge Situationskomik, verspricht Bredow.

Trotz seines wenig überzeugenden ersten Eindrucks lohnt sich die Lektüre von "Tatort Leinwand. Mit Kindern Kunst entdecken" (), weil es sich von allen anderen Kunstbüchern für Kinder deutlich abhebt, versichert Christine Jenny in der NZZ. Die Qualität des Drucks sei hervorragend. Ohne Brimborium bereite das Buch auf den Museumsbesuch vor, statt die Illusion zu wecken, es reiche, ein Bild im Druck gesehen zu haben, um es zu kennen, freut sich Jenny über das "schlaue" Buch.

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