Wilfried Witte

Tollkirschen und Quarantäne

Die Geschichte der Spanischen Grippe
Cover: Tollkirschen und Quarantäne
Klaus Wagenbach Verlag, Berlin 2008
ISBN 9783803136282
Gebunden, 125 Seiten, 16,90 EUR

Klappentext

300.000 Tote im Deutschen Reich, bis zu 50 Millionen weltweit - die Bilanz der Spanischen Grippe. "Spanische Grippe", so hieß die verheerendste Grippe-Epidemie der Moderne - und zwar, weil als einer der Ersten der spanische König an ihr erkrankte. Während die Bürger San Franciscos nur noch mit Schutzmasken herumlaufen, die Schulen im Deutschen Reich und in Frankreich geschlossen und von der Südsee bis Afrika Quarantänen verhängt werden, versuchen Ärzte weltweit vergeblich, dem Erreger auf die Spur zu kommen. Aderlässe und Blutegel kommen zu neuen Ehren, Heidelberger Pathologen sezieren violett und schwarz verfärbte Leichen mit blutroten Lungen (Tuberkulosekranke wie Franz Kafka trifft die Grippe besonders hart), ein bulgarischer Naturheiler braut aus Tollkirschen ein Wundermittel gegen die Kopfgrippe und ein Kasseler Arzt gründet mit Unterstützung der italienischen Königin eine Spezialklinik. Und dann gibt es da auch noch die infizierten Schweine und Vögel...

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.05.2009

Rezensent Volker Breidecker hat sich von Wilfried Wittes schmalem Buch über die Spanische Grippe fesseln lassen. Der Krankheit sind zwischen 1918 und 1920 schätzungsweise 50 Millionen Menschen zum Opfer gefallen, und sie ist bis heute nicht gänzlich erforscht, entnimmt der Rezensent der Lektüre. Als besonders interessant an dieser - übrigens auch glänzend geschriebenen - Studie lobt er Wittes Hinweise auf das "kollektive Unterbewusstsein", in dem die Spanische Grippe viel weniger präsent ist als die mittelalterliche Schwarze Pest. Auch über den psychologischen Umgang mit Seuchen, die immer von anderen "eingeschleppt" werden, hat er offenbar Interessantes gelesen. Am Ende stellt unser Rezensent dankbar fest, dass der Medizinhistoriker, was möglich zukünftige Pandemien angeht, nicht zur Panikmache neigt, muss aber doch zur Kenntnis nehmen, dass der Autor eine pandemische Grippewelle mit noch verheerenderen Auswirkungen als die Spanische Grippe für möglich hält, und so kann sich Breidecker einer leisen Beunruhigung nicht erwehren.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.01.2009

Wilfried Wittes knappe Geschichte der Spanischen Grippe hat Manuela Lenzen sichtlich beeindruckt. Verdienstvoll findet sie Arbeit schon insofern, als die 1918 mit katastrophalen Folgen grassierende Spanische Grippe nicht ins kulturelle Gedächtnis Europas eingegangen ist. Sie attestiert Witte, zahlreiche Ärzte-Protokolle, zeitgenössische Zeitungsberichte, Korrespondenzen von Kolonialbeamten und der "virologischen Archäologie" ausgewertet zu haben. Die Bilanz der Spanischen Grippe, deren Opfer meist zwischen zwanzig und vierzig Jahren alt waren und die mancherorts die Wirtschaft völlig zum Erliegen brachte, scheint ihr "erschütternd", ebenso die Hilflosigkeit der Bevölkerung gegenüber der Seuche.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.12.2008

Rezensent Hans-Jürgen Linke freut sich über den klaren, wissenschaftlichen Blick, den Wilfried Witte auf die große Pandemie zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die Spanische Grippe, wirft. Die hat zu seinem Erstaunen die europäische Mythenbildung nicht so nachhaltig beeinflusst wie etwa die viel früher stattgefundenen Pestwellen, auch wenn ihre Folgen ähnlich verheerend waren. Wittes Buch vermittelt einen Einblick über das viel zu schleppende "Verschwinden der Ahnungslosigkeit", den unglaublich langsamen medizinischen Fortschritt. Auch erfährt man durch das Buch etwas über die Gefahr kommender Pandemien. Linke schätzt das Risiko einer Pandemie als Folge der Vogelgrippe nach der Lektüre jedenfalls nicht als eine "Spekulation" ein, sondern "als eine halbwegs gesicherte Aussage".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.10.2008

Robert Jütte begrüßt diese Abhandlung des Medizinhistorikers Wilfried Witte zur Spanischen Grippe, die zwischen 1918 und 1919 mehrere Millionen Menschen das Leben kostete. Jütte gibt eine grobe Schätzung von 27 bis 50 Millionen und nennt dies "vorsichtig" (man ahnt: es könnten noch viel, viel mehr gewesen sein). Materialreich und gut dokumentiert nennt der Rezensent diese Darstellung, die ihm nicht nur die Ausmaße dieser weltweiten Pandemie vor Augen führte, sondern auch, wie sehr die Seuche die Menschen in "Angst und Schrecken versetzte". Instruktives hat der Rezesent auch dazu erfahren, wie die Kriegspropaganda die Grippewelle für sich einzuspannen wusste.