Warlam Schalamow

Linkes Ufer

Erzählungen aus Kolyma, Band 2
Cover: Linkes Ufer
Matthes und Seitz Berlin, Berlin 2008
ISBN 9783882216011
Gebunden, 318 Seiten, 22,80 EUR

Klappentext

Aus dem Russischen von Gabriele Leupold. Mit "Linkes Ufer" wird die Werkausgabe von Warlam Schalamow fortgesetzt, deren erster Band "Durch den Schnee" 2007erschien. Schalamow zieht den Leser in die Gegenwart des Lager­alltags hinein und geht der Schlüsselfrage unserer Gegenwart nach: Wie können Menschen, die über Jahrhunderte in der Tradition des Humanismus erzogen wurden, Ausschwitz oder Kolyma hervorbringen?

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 20.10.2009

Bisher hatte die FAZ Warlam Schalamows vor zwei Jahren "Erzählungen aus Kolyma" standhaft ignoriert, nun zeigt sich Rezensent Reinhard Lauer in seiner Besprechung doch noch tief beeindruckt. Die Texte Schalamows, der fast 20 Jahre in sowjetischen Lagern zugebracht hat, führen den Leser seiner darstellung zufolge in eine Welt, "in der die Normen menschlicher Zivilisation außer Kraft gesetzt sind", in der Kälte, Hunger, Gewalt, Terror, Korruption, Verrat, Verrohung und Tod regieren. Anders als Solschenizyns von einem epischem Duktus beziehungsweise von Dokumentarität geprägten Texte über das Lager sieht Lauer bei Schalamow den "unerhörten Einzelfall, das grauenhafte Detail" im Zentrum. Dabei hebt er den hohen künstlerischen Anspruch dieser Erzählungen und Skizzen hervor, die auch eine Herausforderung für die Übersetzung darstellen. In diesem Zusammenhang lobt er Gabriele Leupolds deutsche Übersetzung sowie ihre genauen Anmerkungen und ihr Glossar.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 14.01.2009

Vor allem Unterschiede zum ersten Band betont Hans-Peter Kunisch in seiner Rezension des nun erschienenen zweiten Bandes von Warlam Schalamows "Erzählungen aus Kolyma". Wenn dort vor allem eine "existentielle Vision des Lebens in den Lagern" gezeichnet worden sei, so gehe es hier um "historisch genauer lokalisierbare Erfahrungen". Täter würden bei ihren wirklichen Namen genannt, und autobiographische Motive seien deutlich erkennbar. Doch auch das Bild von der eigenen Existenz des Erzählers habe sich von der hilflosen Position des Opfers hin zum ausgebildeten Hilfsarzt verschoben, der sich "kämpfend zu helfen weiß". Einige Texte berühren, so Kunisch, bis heute schmerzhafte Fragen des stalinistischen Erbes, etwa zum Wesen der Schauprozesse oder zur Verurteilung heimgekehrter Kriegsgefangener. Schalamow werfe, "im Ton knapp und kalt", einen "gnadenlosen Blick auf das Zusammenleben im Lager". Ein "Zusammenspiel von literarischer Formkunst und Wahrhaftigkeit" zeichne diese in der Sowjetunion nicht veröffentlichten Erzählungen aus. Und gerade weil er deutliche Unterschiede zum ersten Band wahrnimmt, vermisst der Rezensent einen über die Worterklärungen hinausgehenden kommentierenden Text.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 18.11.2008

Olga Martynova beschäftigt sich in einem Essay mit der Frage, warum Solschenizyns Roman "Ein Tag aus dem Leben des Iwan Denissowitsch" in der Sowjetunion veröffentlicht werden konnte und dem Autor letztlich zum Nobelpreis verhalf, während Warlam Schalamows "Erzählungen aus Kolyma" nahezu unbekannt blieb. Für die Rezensentin, das lässt sie durchblicken, ist Schalamow der größere Schriftsteller von beiden, dessen "Erzählungen aus Kolyma" in der Sowjetunion nicht mehr zu seinen Lebzeiten erschienen sind. In ihnen berichtet der Autor in "schonungsloser" Präzision und knapper Nüchternheit vom unmenschlichen Alltag in den Lagern der unwirtlichen Kolyma-Region, wobei für ihn die Erniedrigungen durch die mitinhaftierten "Kriminellen" noch schwerer zu ertragen waren als die menschenfeindliche Natur, so Martynova. Grundsätzlicher Unterschied zwischen Solschenizyn und Schalamow sei, dass ersterer sich in seinem Werk für "große Ideen" und Politik einsetzte, Schalamow dagegen, desillusioniert und verbittert, vor allem seine Erlebnisse dokumentieren wollte. Martynova erhofft sich, dass durch die deutsche Publikation der "Erzählungen aus der Kolyma" der Blick für das "herzzerreißend vollendete" Leben und Werk dieses Schriftstellers geöffnet wird.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.10.2008

Ulrich Schmid betont die enorme Bedeutung von Warlam Schalamows Aufzeichnungen aus dem Arbeitslager im sowjetischen Kolyma. Schalamow wolle keine Literatur schreiben, bekräftigt Schmid, sondern jenseits von Ästhetisierung, Pathos oder Anklage seinen Erfahrungen ein Ventil verschaffen. So berichtet "Linkes Ufer" nüchtern und emotionslos von der Unmenschlichkeit im Gulag, von der Abstumpfung der Menschen, von der Versklavung durch die Aufseher. Das Grauen, so Schmid, sei nicht offengelegt, sondern liege gerade im Fehlen jeglicher Seelenregungen. Schalamow leiste damit eine "Autopsie der toten Seele" und lässt den Leser unweigerlich zum Voyeur des Schreckens werden. Endlich, so Schmid, wird dem russischen Autor, der insgesamt 27 Jahre lang in Haft verbrachte und 1982 starb, mehr Aufmerksamkeit entgegengebracht. Seine Schriften wurden zu lange ignoriert.