Walter Kempowski

Alles umsonst

Roman
Cover: Alles umsonst
Albrecht Knaus Verlag, München 2006
ISBN 9783813502640
Gebunden, 383 Seiten, 21,95 EUR

Klappentext

Der sechste Kriegswinter ist kalt auf Gut Georgenhof weit in Ostpreußen. Die Front wird nach Westen zurückgedrängt, die Rote Armee schiebt einen gewaltigen Treck Fliehender vor sich her. Doch Katharina von Globig, die schöne Herrin auf dem Georgenhof, lässt die Realität nicht an sich heran. Sie zieht sich in ihr Refugium aus Büchern, Musik und Nichtstun zurück. Das Alltagsgeschäft überlässt sie dem "Tantchen", einer energischen Verwandten, und den Ostarbeitern Wladimir, Vera und Sonja. Um den zwölfjährigen Sohn Peter kümmert sich Studienrat Dr. Wagner, der die Stunden mit dem ernsthaften Jungen genauso schätzt wie die dicken Wurstbrote und die verträumte Mutter. Dass etwas in der Luft liegt, ist für alle Hausbewohner spürbar. Panzerkolonnen fahren vorüber, ab und zu fällt der Strom aus, Fremde bitten auf dem Weg nach Westen um Einlass, um sich kurz zu wärmen, und erzählen Erschreckendes. Doch die Bewohner des Georgenhofs verschließen noch immer die Augen vor der heraufziehenden Katastrophe.Aber dann bittet der Pastor Katharina, einen Verfolgten für eine Nacht bei sich zu verstecken. Katharina willigt ein. Kurze Zeit später wird der Mann aufgegriffen. Katharina wird verhaftet. Nun ist die trügerische Idylle dahin. Das »Tantchen« übernimmt das Kommando. Mit Sack und Pack macht sich die restliche Familie auf den Weg. Doch die große Flucht Richtung Westen wird zu einem Albtraum, der alles verschlingt. Nur Peter überlebt und wird Zeuge des großen Sterbens.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2006

Nur knapp verfehlt Walter Kempowskis Flüchtlingsroman die Bestnote des Rezensenten. Eigentlich ist alles da: Detailreichtum, Heiterkeit (wenn auch gespenstische), das düstere Zeitkolorit von Anno '45 und ein Autor der "mit Ironie im Hintergrund" waltet und keine pädagogische Keule schwingt. Das So-muss-es-gewesen-sein-Gefühl überkommt Wolfgang Schneider dank der vom Autor erfolgreich angewandten "Poetik des Geredes", unterstützt von einer "Ästhetik der Archivierung". Figurenperspektivisch, lakonisch findet Schneider die "Phrasen der Epoche" wiedergegeben. Die gepriesene Einfühlung des Leser aber funktioniert am Schluss des Buches kaum noch. Für Schneider ein Jammer, der sich erklären lässt: Kempowskis Parlando, findet er, passt einfach nicht zu dem mächtigen Abgrund, der sich schließlich auftut. Etwas von dem "Pathos von Furcht und Mitleid" aus Kempowskis "Echolot", gibt Schneider zu verstehen, hätte dem Buch gut getan.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 28.09.2006

Der Chronist der letzten Kriegsjahre hat diesmal Flucht und Vertreibung der Deutschen aus Ostpreußen nicht im Großformat erzählt, sondern als kleines Kammerspiel, informiert uns Ulrich Baron. Viel abgewinnen kann der Rezensent dem Werk nicht. Ihn stört die klischeehafte Anordnung, vom Gutshof über sein adeliges, zum Teil transusiges und unglaubwürdiges Personal, bis zu den Gräueln des Krieges und der Judenvernichtung, von der man erst auf Seite 173 etwas erfährt. Insgesamt voraussehbar und noch dazu dramaturgisch schlecht gemacht, urteilt der Rezensent: "Einmal Tantchen, immer Tantchen", ziehen die Figuren ihre vorgezeichneten Bahnen und tanzen, wie aufgezogen "einen neuen ostpreußischen Totentanz, dessen Titel und Motto Verse Martin Luthers über die Vergeblichkeit unseres Tuns zitieren".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 27.09.2006

Geradezu feierlich preist Gustav Seibt das jüngste Buch von Walter Kempowski, in dem die Flucht einer Gruppe von Ostpreußen vor den Russen 1945 geschildert wird, als einen großen historischen Roman, und stellt voller Bewunderung fest, dass dem Autor damit das "fast Unmögliche" geglückt sei. Die besondere Qualität von "Alles umsonst" sieht der hingerissene Rezensent in der Präzision von Kempowskis Schilderungen, der darauf verzichtet, Schuld aufzurechnen oder simpel in Täter und Opfer zu unterscheiden. Stattdessen schildere der Autor unsentimental und genau die Bewohner des Gutes Georgenhof auf ihrer Flucht nach Westen, wobei es ihm gelinge, mittels Zitaten aus Schlagern, Bibel- und Dichterworten auch die Atmosphäre des untergehenden preußischen Bildungsbürgertums meisterhaft einzufangen. Hier zeige sich wieder einmal Kempowskis Talent, mittels Sprache die "historisch beschränkten Bewusstseinszustände" seiner Romanfiguren einzufangen, führt Seibt an. Schließlich gar entlarvt Kempowski mit seinem beherzten "Blick aufs Ganze" laut Seibt die gegenwärtigen Auseinandersetzungen über Flucht und Vertreibung als "geschichtspolitischen Wortmüll".
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de