Vielleicht werden wir ja verrücktEine Orientierung in vergleichendem Fanatismus
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
2002
ISBN
9783518413791, Taschenbuch, 128Seiten, 14,90
EUR
Klappentext
Weltweit offenbaren die Völker ihre gefährlichste Gemeinsamkeit in einem archaisch anmutenden, blutigen Fundamentalismus. Seit dem 11. September 2001, 223 Jahre nach Lessings "Ringparabel", scheint die Aufklärung in sich zusammenzustürzen, Religionen erneut den Marschbefehl auszugeben. Ulla Berkewicz fordert in ihrem Essay den Mut zur Sorge um das, was an uns verloren geht, wenn wir dem Verbund von technokratischem Nihilismus und archaischem Fanatismus nicht widerstehen. Orientierung in einer wie im Rausch sich beschleunigenden Reaktionskette sucht sie in einer tiefgreifenden Analyse religiöser Überlieferung, in der Auslegung von Quellen aus dem Talmud, dem Koran und der Bibel, im Studium historischer und gegenwärtiger islamischer und jüdischer Quellen und von Material des amerikanischen Sektensumpfes.
Rezensionsnotiz zu
Die Zeit, 12.12.2002
Überzeugen lässt Walter van Rossum sich nicht von diesem Text über vergleichenden Fanatismus, und er äußert die Vermutung, dass es der Autorin letztlich um eine "Fusion" der monotheistischen Religionen geht. Berkewicz wünscht sich, schlicht gesagt, einen "netten Chef", meint der Rezensent. Er erwähnt die Behauptung der Autorin, es habe eine Zeit gegeben, in der sich die großen monotheistischen Religionen solidarisch zueinander verhalten hätten, bis sich in einem Orientierungsverlust der "Fundamentalismus" entwickelt habe. Doch vermisst van Rossum da genauere Angaben zu Zeitpunkt und Hergang, und er hätte gern gewusst, unter welchen "systematischen Bedingungen" sich eine solche Solidarität gebildet haben könnte. Er tut das Buch als "religionshistorisches Potpourri" ab und er findet, dass Berkewicz ihre Argumente mit "Bärtiger-Männer-Weisheit" und "säkularer Diagnose" verwische.
Rezensionsnotiz zu
Süddeutsche Zeitung, 05.12.2002
Kristina Maidt-Zinke wirkt in ihrem Urteil über den Essays, der sich mit den Grundlagen des Fanatismus befasst, etwas unentschlossen. Zunächst stellt sie klar, dass dieser "Orientierungsversuch" über die verschiedenen Spielarten des Fanatismus nicht als "klärende Analyse" sondern als "emotionsgeladene" Auseinandersetzung in "Erzählung, Reflexion und Polemik" gedacht sei. Dabei fällt ihr auf, wie nah der "Weltekel" der Autorin an einen "gewissen "Fundamentalismus" heranreicht, den Berkéwicz selbst "umstandslos mit "Fanatismus" gleichsetzt", wie sie kritisch anmerkt. Maidt-Zinke sieht den eigentlichen "Reiz" des Buches in den vielen "Bruchstücken", die unverbunden nebeneinander stehen, wobei sie darin gleichermaßen "lichte Erkenntnis" und Aufschlussreiches wie "Vor-Urteile" und "Unausgegorenes" gefunden hat. Am wenigsten haben sie die Ausführungen über westliche Ausprägungen des Fanatismus, den "Hitler-Rassismus", die protestantischen Sekten in Amerika und die Globalisierung, überzeugt. Diese Themen gewinnen wenig "Kontur", moniert die Rezensentin. Sie findet, der Essay wirft insgesamt "viele Fragen" auf, wobei die Autorin nicht versucht, die "Widersprüche zu entschärfen". Aber das macht für Maidt-Zinke eben auch einen Teil des Reizes aus, der von diesem Text ausgehe.
Rezensionsnotiz zu
Neue Zürcher Zeitung, 17.08.2002
In ihrem Essay "Vielleicht werden wir ja verrückt" untersucht Ulla Berkewicz das Phänomen des Fanatismus im Islam, im Judentum, und in den westlichen Gesellschaften, berichtet Hanno Helbling in seiner knappen Besprechung. Helbling hebt hervor, dass Berkewicz ein Stimmungsbild zu zeichnen vermag, das sich durch Belesenheit sowie durch persönliche Erlebnisse, Bekanntschaften legitimieren kann. So gelingen Berkewicz Lageberichte aus Israel, die schwere Spannungen zwischen Religion und Staat, Gläubigkeit und Wissenschaft anschaulich machen, lobt der Rezensent. Dagegen bleibt ihr Versuch, die Dämonien der amerikanischen Gesellschaft zu schildern nach Ansicht des Rezensenten vergleichsweise flüchtig. Er bemängelt zudem, dass sich die Konturen von Berkewicz' Komparatistik aufgrund eines unscharfen Begriffsgebrauch verwischen oder dazu neigen, "sich in Grautöne aufzulösen".
Rezensionsnotiz zu
Frankfurter Rundschau, 25.07.2002
Merkwürdiges Buch. An der Grenze der Genres bewegt es sich und ist laut Ulrich Speck am ehesten noch als literarischer Essay zu bezeichnen: "Theologische Erwägungen und zeitdiagnostische Erörterungen wechseln ab mit erzählerischen Passagen, nicht fiktionalen, sondern literarisch eingepassten autobiografischen Fragmenten." Das zugrunde liegende assoziative Prinzip und das Schwebende des Ganzen aber findet Speck durchaus reizvoll. Der apokalyptische Ton von Berkewicz' Modernekritik wird dadurch abgefedert, aufgelockert, wie durch die "Nebenwege", Miniaturen, wie Speck erklärt, in denen sich die entschiedenen Urteile der Autorin über die "Westwelt" und die drei Fundamentalismen (islamisch, christlich, jüdisch) wieder verflüssigen. "An die Stelle der großen Wahrheit tritt die Wahrhaftigkeit der scharf beobachteten kleinen Szene, geschrieben in einem Ton der Ironie und Distanz."