Szczepan Twardoch

Kälte

Cover: Kälte
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2024
ISBN 9783737101882
Gebunden, 432 Seiten, 26,00 EUR

Klappentext

Aus dem Polnischen von Olaf Kühl. Der Kampf eines Mannes, der nichts zu verlieren hat. Gegen die Welt und sich selbst. Einst war Konrad Widuch begeisterter russischer Revolutionär, kämpfte in der Reiterarmee. Unter Stalins Herrschaft verliert er alles, den Glauben an die Sowjetunion, seine junge Familie, die Zukunft. Aus den Schrecken des Gulag kann sich Widuch mit äußerster Härte befreien - und steht vor dem Nichts: in den Weiten der Taiga, einer atemberaubend schönen wie tödlichen Welt. Zusammen mit der Russin Ljubow und dem mitgeflohenen Gabaidze wird er von den Ljaudis gefunden. Bei dem archaischen Volk entdeckt Widuch ein fremdes Leben voll arktischer Exotik, ungeahnter Stille, eine Welt mit unbegreiflichen Göttern. Der versehrte Gabaidze wird zum Schamanen. Als ein russisches Flugzeug landet, müssen Widuch und die schwangere Ljubow sich wehren und sind bald wieder auf der Flucht, allein im höchsten Norden.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 09.08.2024

Eine "unfassbare Abenteuergeschichte" am russischen Eismeer, bekommt Rezensentin Katharina Granzin von Szczepan Twardoch serviert. Granzin hebt hervor, dass das Buch ein komplexes Gedankenexperiment ist, das Fragen nach dem Entkommen aus der Zivilisation und dem Ertragen menschlicher Extremsituationen stellt. Zudem betont sie die doppelte Erzählstruktur, bei der zwei Erzähler agieren: Szczepan, der behauptet mit dem Autor identisch zu sein und Konrad, dessen Schicksal von der russischen Revolution und stalinistischem Terror geprägt ist. Die Rezensentin fächert die unterschiedlichen Rahmenhandlungen auf, auf einer der erzählerischen Ebenen befindet sich der Erzähler Konrad auf einem Schiff, dass im Eismeer feststeckt - wie er dort hinkam, wird nur nach und nach enthüllt. In der Zwischenzeit erzählt Konrad von Bürgerkrieg, Gulag und allerhand weiteren Ereignissen, in die er verwickelt war - das ist zum Teil auch ziemlich heftig, findet Granzin und keine leichte Kost. Gleichzeitig besticht der Roman durch spielerische Erzähllust und spannende Abwechslung, was die Lektüre äußerst unterhaltsam macht.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 16.07.2024

Visionär nennt Rezensentin Sieglinde Geisel Szczepan Twardochs neuen Roman, der in Polen bereits 2022 erschien. Die Geschichte des Kommunisten Konrad Widuch, der im Gulag landet und darüber berichtet, eingeführt durch eine Rahmenhandlung, in der ein Autor mit den Eigenschaften Twardochs an das Manuskript kommt, hat sie gefesselt. Die Flucht Widuchs, sein wundersames Überleben in der Arktis, ein "schnoddriger" Ton und allerhand Ausflüge ins Fantastische machen das Buch für Geisel so packend. Existenzielle Wahrheiten über den Menschen und die strukturelle Gewalt des Sowjetsystems liefert der Autor gratis dazu, freut sich Geisel.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 22.06.2024

Rezensentin Katja Kollmann hat Szscepan Twardochs "Kälte" mit Interesse gelesen. Der neue Roman des polnischen Schriftstellers nimmt seinen Ausgang in dem kleinen schlesischen Ort Pilchowice, aus dem auch Twardoch stammt. An diesem treffen sich, so die Rezensentin, auch die Fäden aus Gegenwart und Vergangenheit, die der Text webt: Der Schriftsteller Szscepan geht auf Segeltörn, um die Siedlung "Cholod" zu finden; im Mittelpunkt des Textes stehen jedoch die Aufzeichnungen des Vaters der älteren Dame, mit der er reist, der aus Pilchowice stammt und nach einem Aufenthalt in ebenjener Siedlung allein im Nordmeer gestrandet ist. Am Leben Konrad Widuchs werden laut Kollmann exemplarisch die Verwerfungen des 20. Jahrhunderts erkennbar, denn dieser ging im Ersten Weltkrieg zur preußisch-kaiserlichen Marine und wurde dann Bolschewik. Mit den "Cholodzern" hat Twardoch zudem ein fiktives indigenes Volk erfunden, das dem sowjetischen Imperialismus entgegensteht und auf das schlesische Pilchowice, an das sich Konrad intensiv, doch unsentimental erinnert, zurückverweist. Das den Roman prägende Sprachgemenge - Deutsch, Polnisch, Russisch, fiktives Cholodnisch - hat der Übersetzer Olaf Kühl, urteilt Kollmann, kongenial ins Deutsche übertragen. Die Rezensentin schätzt Twardochs Text nicht zuletzt als wichtigen literarischen Beitrag zum virulenten Dekolonisierungsdiskurs.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.04.2024

Einen "großen Schlüsselroman" nennt Rezensent Paul Jandl den neuen Roman des polnischen Autors Szczepan Twardoch, oder auch: "Weltliteratur", die auf der Familienbiografie basiert. Jandl beschreibt nicht nur, was diese Weltliteratur erzählt - von einem ehemaligen Soldaten der kaiserlichen Marine, einem ehemaligen Bolschewiken, einem ehemaligen russischen Gefangenem, der durch Europa und seine Geschichte wandert - sondern er beschreibt auch jene Erfahrungen, die dieser Literatur zugrunde liegen, heißt: er bettet seine Rezension in eine Art Porträt von Twardoch, der seit Beginn des russischen Angriffskrieges nicht mehr nur Beobachter und Erzähler ist, sondern aktiv teilnimmt am Krieg, indem er regelmäßig Drohnen an die Front liefert. Damit lässt Jandl dem Autor nicht nur eine besondere Ehre zuteilwerden, sondern wird auch dessen Doppelrolle gerecht und damit dem Kontext, in dem "Kälte" entstand und erscheint. Twardoch hat bereits mehrere meisterhafte Romane über den Krieg geschrieben, "Kälte" jedoch ist mitten darin entstanden. Trotzdem, in all dem Chaos, verliert dieser Autor niemals den nötigen Überblick, den Sinn für das Gesamtbild, so der beeindruckte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Welt, 05.04.2024

Rezensent Richard Kämmerlings fröstelt angesichts der drastischen Gewaltszenen in Szczepan Twardochs neuem Roman, der dazu den passenden Titel trägt. Aber wie der Autor hier eine "Jahrhundertbiografie" schelmisch und mit Anleihen beim Abenteuerroman a la Jack London erzählt, wie er sich des Genres bedient, um von den Schrecken des 20. Jahrhunderts zu berichten, durch die er seinen Helden schickt, das findet Kämmerlings enorm. Der schelmenhaft schmunzelnde Ton verstärkt den Schrecken noch, warnt Kämmerlings.