Ricardas Gavelis

Friedenstaube

Sieben Wilnaer Geschichten
Cover: Friedenstaube
Athena Verlag, Oberhausen 2001
ISBN 9783932740831
Broschiert, 120 Seiten, 12,90 EUR

Klappentext

Aus dem Litauischen von Klaus Berthel."Wilna kann man nicht entfliehen". Die litauische Hauptstadt ist hier realer, mehr aber noch metaphysischer Ort der Erzählungen, die in allegorischer und kafkaesk-surrealer Form Probleme des postkommunistischen Litauens thematisieren. Es sind keine gemütlichen Einsichten: Da geht es um die Umtriebe der Mafia, die langen Schatten der stalinistischen Vergangenheit, um geistig-moralische Desorientierung, neue Armut und neue Reiche, die Verlockungen und die Abgründe der Macht. Auch die Helden dieser Prosastücke können oder wollen ihre Stadt nicht verlassen. Dämonische, zerstörerische Kräfte halten sie gefangen. Wilna ist stärker als sie, und es ist überall.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 13.11.2002

Gavelis' großes mythologisches Projekt heißt Vilnius, verrät Ulrich M. Schmid und bezeichnet den Autor als wichtigsten Repräsentanten der neuen litauischen Literatur seit 1989. In diesem Jahr erschien nämlich, so erfahren wir, Gavelis' Roman "Der Poker von Vilnius", der ihn über Nacht berühmt machte, weil er mit den Tabus der Sowjetära brach. Sein Held war ein behinderter Partisan, der gegen die russische Besatzung gekämpft hatte. Eine "glückliche Mythologie" sei das aber nicht, an der Gavelis schreibe, stellt Schmid nun anhand der jüngsten Kurzprosa fest. Die Wirklichkeit komme nur bedingt an Gavelis' Helden seiner sieben Stadtgeschichten heran, sie alle wären in Albträumen gefangen, von sexuellen Phantasien und Gewaltbildern besessen, nicht wissend, ob sie nur träumten oder Opfer einer Verschwörung geworden seien. Auch für die Erzählungen gelte, resümiert Schmid, dass Gavelis ein geschickter Erzähler sei.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 05.10.2002

Ricardas Gavelis, der erst vor kurzen im Alter von 52 Jahren verstarb, gilt in Litauen als einer der "großen Erneuerer der Literatur", berichtet Katharina Granzin in einer sehr langen Besprechung über anlässlich der Frankfurter Buchmesse erschienene litauische Bücher. Die Rezensentin bedauert zwar, dass Gavelis Hauptwerk "Poker in Vilnius" nicht ins Deutsche übersetzt wurde, freut sich aber auch über den vorliegenden "schmalen Erzählband" "Friedenstaube". Denn der lasse erahnen, ist Granzin überzeugt, welcher Verlust das frühe Ableben des Autors für die litauische Literatur bedeute. Den Stil Gavelis verortet die Rezensentin zwischen Surrealismus, magischem Realismus, Franz Kafka und Roald Dahl, allerdings mit Einschränkungen. Denn wirklich verorten ließe sich diese "eigenartige Gespensterprosa" nicht. Auch wenn oberflächlich betrachtet bei Gavelis Figuren alles normal wirke, zeige sich dahinter eine "extreme" und "trostlose" Einsamkeit, gehe es nun, so Granzin, um das Leben eines Kampfhundes oder um ein junges Model. Rettung und Erlösung jedenfalls suche der Leser in diesen Geschichten vergebens.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 02.10.2002

Der im August 2002 verstorbene Ricardas Gavelis zählt seit Ende der achtziger Jahre zu den bekanntesten litauischen Schriftstellern. Als scharfer, ironischer Kritiker nationaler Mythen hat er sich bei manchen den Ruf eines "antipatriotischen" Autors erworben, berichtet Olga Martynova, die anlässlich der Frankfurter Buchmesse gleich eine ganze Reihe von litauischen Bücher bespricht. In seinem Erzählband "Friedenstaube" erkennt die Rezensentin eine Art, mit der Realität umzugehen, wie sie auch aus anderen postkommunistischen Literaturen Ost- und Mitteleuropas vertraut sei: grausame Erscheinungen der Mafia, Gewalt, neue Reiche, alte Arme, nicht vergehende Spuren der Geschichte. "All das balanciert bei Gavelis", erläutert Martynova, "zwischen naturalistisch geschilderten alltäglichen Kollisionen und fantasmagorischen Träumen."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.02.2002

Wolfgang Schneider ist sowohl fasziniert wie abgestoßen von diesen Erzählungen des litauischen Autors. Es sind Horrorgeschichten aus dem "postsozialistischen Alltag", so der Rezensent beeindruckt, wobei er sich besonders von der Mischung aus "krassen realistischen Details" und surrealistischen Elementen in den Bann gezogen fühlt. Er lobt speziell die Geschichten "Friedenstaube" und "Die Kreuzigung", die er für die "vielleicht besten" Texte des Bandes hält, wobei er den "Reiz" in der "Unauflösbarkeit" von "Wahn und Sinn" sieht. Lediglich die Erzählung "Die wahre Wirklichkeit" findet er schwach, zumal der Einfall, einem Protagonisten Macht über den Willen anderer Menschen zu verschaffen, nicht "übermäßig originell" sei. Doch, so der Rezensent abschließend begeistert, ein Buch kann nicht ausschließlich aus "Höhepunkten" bestehen, und dieser Band hat seiner Ansicht nach davon genug.
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