Peter Sloterdijk

Das Schelling-Projekt

Bericht
Cover: Das Schelling-Projekt
Suhrkamp Verlag, Berlin 2016
ISBN 9783518425244
Gebunden, 251 Seiten, 24,95 EUR

Klappentext

Eine in die Jahre gekommene Fünferbande, drei Männer, zwei Frauen, stellt bei einer Bonner Institution den Antrag auf Förderung des Projekts "Zwischen Biologie und Humanwissenschaften: Zum Problem der Entfaltung luxurierender weiblicher Sexualität auf dem Weg von den Hominiden-Weibchen zu den Homo-sapiens-Frauen aus evolutionstheoretischer Sicht mit ständiger Rücksicht auf die Naturphilosophie des Deutschen Idealismus". Peter Sloterdijk skizziert das Unternehmen in Form eines klassischen Briefes, worauf die Mitstreiter per E-Mail antworten und auf diese Weise einen regen Austausch untereinander von mehr oder weniger intimen Überzeugungen und Geständnissen in Gang setzen. Die (kulturellen und erotischen) Abenteuer der angeblich nur auf das Projekt konzentrierten Runde präsentieren sich als subjektiv gefärbte Erzählungen, die geprägt sind durch die (intimen) Lehrjahre der Zeit nach 1968: Geschichte und persönliche Erfahrungen sind eng miteinander verwoben.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 16.09.2016

Dass Peter Sloterdijk als Erzähler ebenso wenig "diszipliniert" ist wie als Denker, findet Markus Schwering gar nicht schlimm: Viel zu pointen-, detail- und assoziationsreich ist dieser zwischen Essay, Philosophie und Erzählung oszillierende Roman, als dass der Kritiker sich über die "ächzende" Konstruktion oder die "Selbstfeier" des Autors beklagen möchte. Und so taucht er mit viel Vergnügen ein in den Mail-Verkehr einer Gruppe von Wissenschaftlern, die ebenso geistreich-gelehrt wie unverschämt-witzig den weiblichen Orgasmus erörtern wollen, dabei nicht nur auf Schelling zurückgreifen, sondern auch von eigenen sexuellen Erfahrungen berichten oder bei ihren Zusammentreffen selbst "rüstig zur Paarungstat" schreiten. Wenn Sloterdijk mit viel Ironie davon geradezu "verstörend ausführlich" berichtet, sprachlich F-Wörter mit Transzendentalphilosophie verknüpft und einen der Wissenschaftler "Mösenlechzner" nennt, spürt der Rezensent bei dem Autor dieser "Sym-Sexologie" so viel diebische Freude, dass er ihn keineswegs als Lustgreis bezeichnen möchte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.09.2016

Hannelore Schlaffer hat Peter Sloterdijks Satire über Wissenschaft und Fleischeslust sehr genossen. Pornografisch scheint ihr der Autor auf der Höhe seines Könnens, was die ulkigen Einfälle betrifft nicht minder. Die Gestaltung als Briefroman gelingt laut Schlaffer ebenso wie es dem Spott des Autors auf die Kollegen an Verbiesterung mangelt, denn Sloterdijk mixt seine scharfe Farce aus Porno und Philosophie mit spürbarer Lust, findet Schlaffer. Die springt auf die Leserin über, die allerdings auch Konzentration aufbringen muss, wie die Rezensentin einräumt. Dem fröhlichen Räsonieren der Figuren, das an des Autors Erforschung des geschlechtlichen Körpers anschließt, wie Schlaffer weiß, wäre anderenfalls schwer zu folgen, meint sie.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 10.09.2016

Rezensentin Andrea Köhler hat viel Freude mit Peter Sloterdijks zweitem Roman. Das liegt für Köhler an der Formulierungsgabe des Autors wie auch an seiner inspirierenden Gedankenkunst, die hier zu epistolarischen und erotischen Eskapaden ansetzt, wie die Rezensentin schreibt. IM Buch geht es um eine Gruppe von Wissenschaftlern, die sich mit Schelling an die Erforschung des weiblichen Orgasmus macht. Dabei fallen laut Köhler naturphilosophische, mystische und religiöse Argumente ab und leider auch machohaft vulgäre Gedanken alter Männer. Dem Lesevergnügen tut das laut Rezensentin keinen Abbruch, denn der Autor präsentiert sich übermütig und närrisch genug, um dergleichen gekonnt zu entschärfen, meint sie. Übrig bleibt für Köhler ein zeitgemäßer E-Mail-Roman, der dem Autor jede Menge Möglichkeiten zu hochfahrenden Geistesblitzen gewährt.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 03.09.2016

Hatte Rezensent Eberhard Geisler Peter Sloterdijk bisher die fehlende "Kraft der Zäsur" und die mangelnde Gabe des Verstummens angekreidet, überzeugt in der neue Roman doch vom Gegenteil: Überraschend locker, leicht und vergnüglich erscheint ihm der Briefroman, in dem sechs E-Mail-Schreiber, darunter der Autor selbst, ihr "Schelling-Projekt" verfolgen, in dem sie den weiblichen Orgasmus als Geburt des materiellen Universums und die Natur als "geistnahe Gebärkraft" proklamieren. Dass in der Korrespondenz nicht nur Schelling, sondern auch Ibn Arabi und die islamischen Mystik Pate stehen, sich darüber hinaus der 2008 verstorbene Nicolaus Sombart einschaltet, um an seine eigene "literarische Verherrlichung des Koitus" zu erinnern, hat den Rezensenten beeindruckt. Sloterdijks Stil erscheint ihm "prickelnd", wenngleich er auch bei allen sechs Korrespondenten nur eine einzige Stimme ausmacht. Wenn der Autor nun auch noch Lakonie lernt, ist Geisler ganz bei ihm.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 01.09.2016

Über List und Chuzpe verfügt er ja, der Sloterdijk, muss Jens Jessen gestehen, der unter dem akademischen Titel "Das Schelling-Projekt" gänzlich anderes erwartet hatte. Gelesen hat der Kritiker schließlich einen Briefroman, in dem vier Geisteswissenschaftler mit den bis zur Schmerzgrenze albernen Namen Guido Mösenlechzner, Beatrice von Freygel, Kurt Silbe und Desiree zur Lippe - unter Anleitung eines gewissen Peer Sloterdijks über den Orgasmus der Frau als geheimes Ziel der Evolution diskutieren, das mit Schelling begründen wollen und dafür schließlich auch noch von der deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert werden wollen. So ganz versteht Jessen nicht, was Sloterdijk da eigentlich will: Wissenschaftssatire? Kritik an der "prüden Förderpraxis" oder der "Originalitätssucht" akademischer Angestellter? Oder ist der Text gar als Plädoyer für "harte Nicht-Fakten" zu verstehen, fragt Jessen, der sich auch irritiert zeigt, über die schillernde Feier des weiblichen Orgasmus als Projektion "männlicher Geilheit". Dass in den Briefen zwar namentlich nur ein Sloterdijk, stilistisch aber viele Sloterdijks auftauchen, die allesamt in der gleichen "industriell forcierten Bonmot-Produktion" schreiben, findet der Kritiker anstrengend. Ein klares Urteil möchte der Rezensent nach diesem philologischen Porno, der ihn einmal quer durch die Ideengeschichte jagt, lieber nicht fällen - Erotomanen kann er das Buch aber zweifelsfrei empfehlen.