Patrick Modiano

Unfall in der Nacht

Roman
Cover: Unfall in der Nacht
Carl Hanser Verlag, München 2006
ISBN 9783446207165
Gebunden, 143 Seiten, 15,90 EUR

Klappentext

Aus dem Französischen von Elisabeth Edl. Ein junger Mann wird spät in der Nacht am Place de Pyramide von einem Auto gestreift. Leicht verletzt und mit nur mehr einem Schuh bringt man ihn zusammen mit der Fahrerin ins Krankenhaus, doch die Frau flieht ...

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 29.04.2006

Die Rezensentin Barbara Villiger Heilig ist beeindruckt davon, wie es Patrick Modiano gelingt, in seinem "an äußerer Handlung armen, an subtil nachvollzogenen inneren Prozessen ungemein reichen" Roman das Seelenleben seines Protagonisten darzustellen. Sie sieht darin ein stetes "schwebendes, tastendes Sich-Erweitern und Sich-Erhellen einstiger Wahrnehmungen". Auch dieser Roman ist, wie seine Vorgänger, ihrer Meinung nach autobiografisch inspiriert. Und obwohl der Autor seinen offensichtlich depressiven Protagonisten nicht mit einem psychopathologischen Vokabular belegt, zeigt er doch dessen "prekäre Gefährdung" auf sehr anschauliche Weise.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 29.03.2006

Patrick Modiano zeige sich wieder einmal als großer Meister kleiner Details, lobt Rezensent Karl-Markus Gauss. Ein junger Mann mit rätselhafter Herkunft und Existenz, referiert Gauss, sucht nach einem Unfall nach der Frau, die ihn leicht angefahren hatte, weil sie ihn an Orte der Vergangenheit und insbesondere an seinen Vater erinnert. Wie immer bei Modiano versuche der Ich-Erzähler ein weit zurück liegendes Ereignis zu verstehen, und wie immer bleibe alles rätselhaft, die Vorgänge und auch die Suche selbst. Modiano, folgert der Rezensent, geht es weniger um das Erinnerte als um den Vorgang des Erinnerns. "Unfall in der Nacht" sei ein wenig "heller" und "zuversichtlicher" als Modianos frühere Romane, aber ebenso "faszinierend" in seiner Unbestimmtheit und in der Fähigkeit, von den "unmerklichen Veränderungen" zu erzählen. Wie nur, fragt der Rezensent fasziniert, erreiche Modiano mit dieser leisen und leichten Stimme eine solche Dringlichkeit?
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 16.03.2006

Wie den Protagonisten ergehe es dem Leser von Modianos Romanen: Immer fühlt man sich erinnert an etwas, was schon da gewesen ist. Was mit "Unfall in der Nacht" als labyrinthische Suche auf den Spuren einer rätselhaften Frau in Paris daherkommt, ist für Stefan Kister eine gelungene Variation auf Friedrich Nietzsche, auf das "befremdliche und zugleich verführerische Gefühl einer Wiederkehr des Immergleichen." Und nicht nur auf den deutschen Philosophen, sondern auch auf eine ganze literarische Tradition von Proust bis Benjamin: Die Kunst des Verirrens und des Abtauchens in den Zeitschichten der großen Stadt, in der die "Vergangenheit beunruhigende Parallelgesellschaften" zu bilden scheint. Der titelgebende Unfall ist zugleich die Schlüsselszene dieses Romans, befindet der Rezensent. Denn hier kollidiert der Protagonist nicht nur in seinem Fiat mit den Leitplanken, hier "stoßen Vergangenheit und Gegenwart unwillkürlich aneinander", gerät ein ein lineraes Zeitmuster aus den Fugen. Modianos "schwebendes Schreiben" könne auch jenen Leser , der sich nicht als Übermensch fühlt, mit dem "fatalistischsten aller Gedanken" - dem Gedanken einer zyklischen Zeit - versöhnen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 15.03.2006

Patrick Modiano beherrscht "die Kunst, dem Banalen sein Geheimnis abzulauschen", findet Rezensentin Martina Meister. In seinem aktuellen Roman passiert nichts Handfestes, außer einem Unfall zu Beginn der Geschichte. Ein junger Mann wird von einem flaschengrünen Fiat angefahren, erwacht im Ätherrausch und begibt sich direkt auf die Suche nach Auto und Fahrerin. Modiano gehe es dabei weniger ums Finden, denn ums Suchen: "Erinnerung und Vergessen zugleich" - so bezeichnet die Rezensentin sein literarisches Vorgehen. Dass der Roman ein Selbstporträt des Autors ist, der einen Blick auf sein Leben in den frühen sechziger Jahren wirft, gefällt ihr. Erkläre es doch die "literarischen Obsessionen" des Schriftstellers, sein dauerndes Streben, Stimmungen einzufangen. Modiano, vom Verlust seiner Familie geprägt, zeige dem Leser, "wie sich eine Zeit anfühlt." Sein aktuelles Buch ist, so meint die Kritikerin, eine "Offenbarung, selbst für eingefleischte Modiano-Fans".

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.03.2006

Mit dieser "subtilen Unfallkombinatorik" hat Patrick Modiano seine Stellung als wichtiger französischer Gegenwartsliterat weiter ausgebaut, meint Joseph Hanimann. Modiano werde seit vierzig Jahren "autobiografisch immer straffer", konstatiert der Rezensent. Dabei benutze er seine Erlebnisse nicht als Steinbruch, sondern als "Fluchtpunkt in einer komplexen Spurenlandschaft", die auch hier wieder aufgebaut wird. Und auch diesmal geht es um Erinnerung, um die Erinnerung an einen Unfall als Kind, die im Erzähler wachgerufen wird, als er nächtens in Paris angefahren wird. Vergangenheit und Gegenwart verschwimmen bei der Suche nach der Fahrerin in einem "kunstvollen Zeitnebel", der Wirklichkeit, Fantasie und Wunschdenken vermischt. Die Übersetzerin Elisabeth Edl mit ihrem "feinen Sprachsinn" bezeichnet Hanimann als "Glücksfall" für den Autor Modiano, diese "leise" Stimme der französischen Literatur.