Nastjas TränenRoman
Rowohlt Verlag, Hamburg
2021
ISBN
9783498002602, Gebunden, 192Seiten, 22,00
EUR
KlappentextAls Natascha Wodin 1992 nach Berlin kommt, sucht sie jemanden, der ihr beim Putzen hilft. Sie gibt eine Annonce auf, und am Ende fällt die Wahl auf eine Frau aus der Ukraine, dem Herkunftsland ihrer Mutter, die im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeiterin nach Deutschland verschleppt wurde. Nastja, eine Tiefbauingenieurin, konnte nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion im wirtschaftlichen Chaos ihrer Heimat nicht mehr überleben − ihr letztes Gehalt bekam sie in Form eines Säckchens Reis ausgezahlt. Da sie ihren kleinen Enkelsohn und sich selbst nicht länger ernähren kann, steigt sie, auf etwas Einkommen hoffend, in einen Zug von Kiew nach Berlin. Dort gelingt es ihr, mehrere Putzjobs zu finden, nach getaner Arbeit schläft sie auf dem Sofa ihrer Schwester. Zu spät bemerkt sie, dass ihr Touristenvisum abgelaufen ist. Unversehens schlittert sie in das Leben einer Illegalen, wird Teil der riesigen Dunkelziffer an Untergetauchten im Dickicht der neuen, noch wildwüchsigen deutschen Hauptstadt. Für Natascha Wodin ist es, als würde sie von ihrem Schicksal erneut eingeholt. Im Heimweh dieser Ukrainerin, mit der sie mehr und mehr eine Freundschaft verbindet, erkennt sie das Heimweh ihrer Mutter wieder, die daran früh zerbrochen ist. Jetzt, Jahre später, zeichnet sie das Porträt von Nastja, einer kämpferischen Frau.
Rezensionsnotiz zu
Frankfurter Rundschau, 09.09.2021
Rezensentin Cornelia Geißler lernt die Nöte von aus Russland oder der Ukraine nach Deutschland emigrierten Frauen en detail kennen mit Natascha Wodins neuem Roman. Für Geißler ist das keine leichte Lektüre, weil der Leserin die Ängste der Frauen vor der Bürokratie durch Mark und Bein gehen. Besonders das entbehrungsreiche Schicksal der Titelfigur, einer aus der Ukraine geflohenen Bauingenieurin, geht Geißler nahe. Das liegt für sie an der zurückgenommenen, dann wieder poetischen Sprache und an der anschaulichen, aus autobiografischen Erfahrungen der Autorin gespeisten Erzählweise.
Rezensionsnotiz zu
Süddeutsche Zeitung, 09.09.2021
Rezensent Helmut Böttiger erkennt in Natascha Wodins Roman ein empathisches wie vielschichtiges Gesellschaftsporträt und das Porträt einer Frau aus der Ukraine, die durch die Umstände um ihre Lebensleistung gebracht wird. Die Sehnsucht und den Schmerz der Protagonistin vermittelt ihm der aus der Perspektive einer anderen Frau mit Migrationsgeschichte erzählende Text überzeugend. Was an der Geschichte autobiografisch ist, interessiert Böttiger dabei weniger als die "aufregende Psycho- und Milieustudie" aus einem eher unbekannten Berlin und die "atmosphärische" Beschreibung einer sowjetischen Vergangenheit. Dass sich mit Herkunft und Vergangenheit nicht abschließen lässt, vermittelt ihm der Roman auf eindringliche Weise.
Rezensionsnotiz zu
Deutschlandfunk Kultur, 31.08.2021
Rezensentin Ursula März sieht in Natascha Wodins Roman vor allem ein stofflich interessantes Buch. Die Geschichte einer ukrainischen Putzfrau in Deutschland ist für sie weitgehend unbekanntes Gelände. Problematisch findet März allerdings die Konstruktion der Erzählung. Indem Wodin die Ich-Erzählerin, die sich Putzfrau annimmt, aus allwissender Perspektive die Lebensgeschichte der Frau erzählen lässt, wiederholt sie die inhaltlich stattfindende Bevormundung auf der narrativen Ebene, bemerkt März. Für März der "blinde Fleck" des für die Rezensentin gleichwohl bedeutsamen Textes.
Rezensionsnotiz zu
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 28.08.2021
Rezensent Tilman Spreckelsen lernt mit Natascha Wodins Roman das vielschichtige Verhältnis zweier Frauen kennen, die eine eine ihrer Heimat nachtrauernde und in Deutschland um ihre Existenz kämpfende Ukrainiern, die andere eine ukrainischstämmige Deutsche, die es "geschafft" hat. Wie sich die eine Frau im Verhalten der anderen gespiegelt sieht und wie sie ihr eigenes Leben aufgrund dessen hinterfragt, inszeniert die Autorin laut Spreckelsen mit viel Sinn für die Wünsche, inneren Widersprüche und Projektionen der beiden Figuren sowie auch mit Gespür für die Dramaturgie der Erzählung, die dem Leser nie zu viel verrät, wie der Rezensent befriedigt feststellt.
Rezensionsnotiz zu
Deutschlandfunk, 19.08.2021
Rezensentin Christel Wester stockt der Atem beim Lesen von Natascha Wodins "Nastjas Tränen". Die Autorin und Tochter von ehemaligen ukrainischen Zwangsarbeitern verlor ihre Mutter mit nur elf Jahren an Suizid, weiß Wester. Ihr Buch ist ein Porträt einer illegalen ukrainischen Emigrantin, erzählt von einer selbstironisch distanten Ich-Erzählerin und behaftet mit autobiografischen Elementen. Seltenheitswert hat Wester zufolge dabei nicht nur die für die deutsche Literatur ungewöhnliche Hauptfigur, die als Putzfrau der Erzählerin arbeitet, sondern auch die prägnante, poetische und doch nüchterne Sprache der Autorin. Damit schafft sie es, auch weitere Schicksale von Emigranten und deren Erfahrungen während des Nationalsozialismus und Stalinismus kalt und markant darzustellen, schließt die Rezensentin.