Josefine Mutzenbacher

Wiener Ausgabe
Cover: Josefine Mutzenbacher
Sonderzahl Verlag, Wien 2021
ISBN 9783854495758
Gebunden, 424 Seiten, 34,00 EUR

Klappentext

Herausgegeben von Clemens Ruthner, Melanie Strasser und Matthias Schmidt. Mit Beiträgen von Oswald Wiener. "Josefine Mutzenbacher oder die Geschichte einer Wienerischen Dirne von ihr selbst erzählt" erschien erstmals 1906 als Privatdruck von 1000 nummerierten Exemplaren in Wien. Damals unter der Hand verkauft, erlebte das Buch rasch unzählige Nachdrucke, Neuauflagen und Adaptionen, zensierte Versionen für den Buchhandel und natürlich: Verbote. Die anonym publizierte Mutzenbacher, wie das Buch meist salopp genannt wird, ist nicht nur ein Paradebeispiel einer kommerziellen Metropolen-Pornografie um 1900, in ihr schlagen sich auch großflächigere Debatten um Geschlechterdifferenz und Sexualität der Zeit nieder. Sie bildet einen Konflikt ab, der zwischen korrodierenden alten und emergenten neuen Diskursen das Feld bildete für Psychoanalyse, Wiener Moderne und etliche, teils kryptopädophile Zwischentöne, die nach wie vor wenig erforscht sind.Bemerkenswert ist, dass die Mutzenbacher auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine reichhaltige Wirkungsgeschichte entfaltete: Von Rechtsstreigikeiten (dem bekanntlich gescheiterten Versuch der Erben Felix Saltens, die Tantiemen einzuklagen und der beständigen Frage nach der Zensur) über Verfilmungen bis hin zur produktiven Fortschreibung in der literarischen Avantgarde, allem voran durch Oswald Wiener. Noch bemerkenswerter allerdings ist, dass dennoch kaum wissenschaftliche Auseinandersetzungen mit dem Stoff zu verzeichnen sind. Dies war der Anlass für eine von Clemens Ruthner 2016 organisierte Tagung im Wien Museum, wo den Kontexten, Subtexten und möglichen Relektüren des immer noch problematisch anstößigen Textes nachgegangen wurde. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen wurden als Sammelband 2019 bei Sonderzahl publiziert.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 23.06.2022

Rezensentin Daniela Strigl stimmt Oswald Wiener, der das erstmals 1906 erschienene Werk im Jahr 1969 herausgab, nicht unbedingt zu, dass dieser pornografische Roman zur Weltliteratur gezählt werden müsse. Der Autor ist bis heute unbekannt, als wahrscheinlichste Option gilt der Wiener Ernst Klein, der in diesem umstrittenen und bis 2017 in Deutschland als jugendgefährdend verbotenen Buch von Josefine und ihrem Weg zur Prostitution erzählt, informiert Strigl. Dabei besteht die Handlung der Rezensentin zufolge aber nur aus unzusammenhängenden Fragmenten, die immerhin durch Milieubeschreibungen, Bildhaftigkeit und auch gelegentlichem Witz überzeugen. Die nun erschienene neue Prachtausgabe lobt Strigl alledings für die hervorragende Typographie und das kulturgeschichtlich informative Nachwort. Über die Ambivalenzen im Text kann sie indes nicht hinwegsehen: Das "anarchische Trommelfeuer der Sexualakte" stehe dem sozialkritischen Erkenntnisgewinn im Weg, meint sie.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.01.2022

Rezensent Helmut Mayer rümpft die Nase angesichts dieser Neuausgabe der bis heute keinem Urheber zugeschriebenen Mutzenbacher-Memoiren. Nicht, weil die Geschichte der Wienerischen Dirne, von Oswald Wiener zum einzigen deutschen pornografischen Roman "von Weltrang" erhoben, ihm zu frivol ist. Auch nicht, weil der vorliegende Text besonders bearbeitet wurde: Im Wesentlichen folgt die neue Edition der Ausgabe Wieners, klärt Mayer auf. Anmerkungen und Nachwort lassen dem Kritiker allerdings die Haare zu Berge stehen: Manche Erklärung erscheint ihm so "hanebüchen", dass der Rezensent das Gefühl hat, dem Leser werde nicht allzu viel zugetraut. Und statt einer Editions- und Rezeptionsgeschichte findet Mayer im Nachwort ein Literaturverzeichnis - und entbehrliche Exkurse zu Foucault und Freud.
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