Marko Martin

Sommer 1990

Cover: Sommer 1990
Deutsche Verlags-Anstalt (DVA), München 2004
ISBN 9783421058430
Gebunden, 205 Seiten, 17,90 EUR

Klappentext

Mit 19 Jahren kehrt ein Schüler zurück nach Hause in einen Staat, der schon keiner mehr ist - im Sommer 1990: Nicht mehr DDR, noch nicht Bundesrepublik. Er fährt durch seine Heimat, die ihm fremd, gar verhaßt war. Bei seinen Fragen an Bekannte und Unbekannte trifft Martin auf einen deutschen Ton der Zeit: aggressive Verteidigung der Vergangenheit und Larmoyanz in der Gegenwart. Dieses Tagebuch ist ein Zeugnis aus der Zeit, als noch keine Ostalgie die einstige Diktatur der Kleinbürger zu einem Hort der Zonenkinder verklärt hatte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 23.04.2005

Sehr wohlwollend reagiert der Rezensent Helmut Böttiger auf die Aufzeichnungen, die Marco Martin im Sommer 1990 von seiner Reise nach Ost-Berlin gemacht hat. Der damals zwanzigjährige Martin, der im Mai 1989 in die BRD ausgereist war, kommt zurück als einer aus dem Westen, so jedenfalls die Wahrnehmung der Dagebliebenen, und findet sich in einer Art "Zwischenidentität" wieder. Seine detaillierten Beobachtungen habe er in einem Tagebuch festgehalten, das nun fast unverändert veröffentlicht wurde und das somit nicht vom "späteren Besserwissen" verunreinigt ist. Daher müssen literarische Vorbehalte zwangsläufig ins Leere laufen, sowie Einwände gegen den Pathos der Jugend, der hier und da durch die Aufzeichnungen geistert. Lesenswert sei "Sommer 1990" vor allem da, wo Martin einzelne Porträts entwerfe, wo er einfach nur "registriere". Und sein Eindruck von diesem Sommer 1990 ist provokanterweise, dass sich nichts verändert hat, jetzt wo der stürmische Herbst 1989 vorbei ist. Beachtlich findet der Rezensent, mit welchem feinen Gespür Martin "das Gesicht der Diktatur" und "den Geist des deutschen Untertanen" inmitten des vermeintlichen Umbruchs ausfindig macht. Martins Eindruck des status quo werde umso nachhaltiger, als Martin zum Jahrestag der sowjetischen Besetzung von 1968 nach Prag reist und die dortige, wahrhaftige Aufbruchstimmung und den dortigen lebendigen "Bürgersinn" miterlebt, der in krassem Gegensatz zur "Dumpfheit der Angepassten" im deutschen Osten steht. Insgesamt, so das lobende Fazit des Rezensenten, ist "Sommer 1990" ein wirksames Gegengift zu den "nachgetragenen Sehnsüchten etlicher DDR-Intellektueller" und zu einer Verklärung a la "Good bye Lenin".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 28.12.2004

Als "Mischung aus Selbstüberschätzung und Betroffenheitskitsch" beurteilt Dorothea Dieckmann diesen "frühen Rückblick auf die DDR", einem Tagebuch aus dem Sommer 1990, das Marko Martin jetzt, leicht gekürzt, aber sonst weitgehend unverändert, veröffentlicht hat. Was der 1970 geborenen Autor, der 19 Jahre in der DDR verbrachte und im Mai 1989 ausreisen konnte, über das "landesweite Internierungslager" DDR zu sagen hat, findet Diekmann reichlich "selbstgerecht und harmlos". Vom Bodensee aus verfolge er die Herbstereignisse, die er ebenso unbefragt "Revolution" nenne, wie er die Zustände davor als Gulag beschreibe. "Die Blutspur ist lang, am Ende stehen wir", zitiert Diekmann den Autor, "lächerlich unbeschadet eigentlich". An diesem Widerspruch sieht die Rezensentin Martins Wahrnehmung, Erinnerung und vor allem seine Sprache scheitern. Weder das Grauen des "stasiversifften" Daseins zwischen "Mauern und Knastschließern" noch der Alltag der DDR-Kindheit hätten eine Chance, unter Martins Blick lebendig zu werden, "der, geblendet von der eigenen historischen Bedeutung, in narzisstische Selbstbespiegelung übergeht".

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 06.10.2004

Marko Martin wurde 1989 als Kriegsdienstverweigerer aus der DDR ausgebürgert und absolvierte dadurch innerhalb kürzester Zeit, wie Rezensent Gerrit Bartels erzählt, einen Schnelldurchlauf durch die verschiedenen deutschen Staaten - "ein Land in Agonie, die DDR, die selbstzufriedene alte Bundesrepublik und ein notdürftig wiedervereintes Land". Für sein Buch "Sommer 1990" findet Bartel die "vielsagend schmucklosen" Ehrenbezeichnung "Bericht". In Bartels Augen ist das Besondere an Martins Text, dass der auf Tagebuchaufzeichnung von damals beruht und deshalb "genauso authentisch wie frei von ostalgischen Verklärungen" ist. Die Motivation des Autors, so Bartels, war, sich von den geschichtlichen Turbulenzen frei zu schreiben und einen eigenen "weniger anklagenden als beschreibenden" Nachruf auf das untergehende Land zu verfassen.