Malin Schwerdtfeger

Delphi

Roman
Cover: Delphi
Kiepenheuer und Witsch Verlag, Köln 2004
ISBN 9783462034028
Gebunden, 295 Seiten, 18,90 EUR

Klappentext

Alles beginnt in Delphi: Die verwackelten Bilder einer Amateurkamera zeigen einen Mann, der vor dem Apollontempel eine Rede hält. Zwei Kinder spielen zwischen den Ruinen der Orakelstätte. Es sind die Geschwister Linda und Robbie, die von der Mutter gefilmt werden, während ihr Vater, ein Archäologe, sie in die antike Sagenwelt einführt. Die beiden jüngeren Schwestern sind zu diesem Zeitpunkt noch nicht geboren, und doch sind sie schon mit dabei, denn eine von ihnen ist die Erzählerin. Mühelos setzt sie sich über Zeit und Raum hinweg und entspinnt die Geschichte einer Familie von Getriebenen, die sich aufmachen, die Welt zu verstehen und ihre eigene Rolle darin zu finden. Der Vater hastet von einer Ausgrabungsstätte zur nächsten und sucht nach der "stillen Stadt unter der Erde". Die Mutter schließt sich einer jüdischen Sekte an, um ihrem Leben einen Sinn zu geben und eine andere Liebe zu finden. Währenddessen konstruieren sich Linda und Robbie, von den Eltern hin- und hergeschoben, ihre eigene, unverrückbare Welt. Sie kultivieren ihre Unabhängigkeit und kommen doch nicht voneinander los. Als Francis in ihr Leben tritt und sich beide in ihn verlieben, werden sie auf dramatische Weise mit dem Glück und gleichzeitig mit dem Tod konfrontiert.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.10.2004

Mit ihrem Debütband "Cafe Saratoga" wurde Malin Schwerdtfeger als "Fräuleinwunder der deutschen Literatur" gefeiert, ruft Martin Halter in Erinnerung, und wie eines jener Wunderkinder, das sich einigelt im Reich der Fantasie, kommt ihm Schwerdtfeger immer noch vor. Bedauernd stellt er fest, dass Schwerdtfeger in ihrem jüngstem Roman zwar wahre "Wunderkammern" voller Bildungsmythen, magischem Realismus und feinstem Humor aufschließe und den Leser auch einen Blick dahinein wagen lasse, doch fühle sich dieser, meint Halter, stets wie ein Eindringling. Das liege unter anderem am ästhetischen Konzept des Romans, der ein subjektloses Ich, eine namenlose Erzählerin sprechen lasse, die im nachhinein die Geschichte von vier Quasi-Waisenkindern erzählt, die zu einer verschworenen Gemeinschaft werden. Sie alle seien in der "grenzenlosen Wohlstandsverwahrlosung" einer internationalen Wissenschaftler- und Diplomatenwelt großgeworden, und insofern verkörpere "Delphi", stellt der Rezensent fest, den Familienroman der "Generation Nutella". Glänzend geschrieben zwar, vieldeutig schimmernd, aber irgendwie steril.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 05.10.2004

Martin Krumbholz' Besprechung ist ganz dem Problem der Erzählperspektive in Malin Schwerdtfegers zweitem Roman gewidmet. Eigentlich als Kunstgriff gedacht, installiert die Autorin ein verstorbenes Mädchen als unbestechliche Referentin der Vergangenheit und interesselose Beobachterin der Gegenwart, erzählt der Rezensent. Dieses "Projekt der zuverlässigen Ich-Erzählung", die den Subjektivismus des klassischen subjektiven Erzählers vermeiden will, ist für Krumbholz nicht zu bewältigen. Der Roman "gaukelt" seiner Meinung nach Persönliches vor, ohne daran interessiert zu sein. Bei so einer Konstruktion falle es schwer, Emotionen beim Leser hervorzurufen. Und so erkläre sich auch die "bei aller Beschreibungsenergie überraschende Sterilität" des Romans, der auf den ersten Blick durchaus "virtuos, technisch gekonnt" wirke. Der Rezensent vermisst die "Wärme" eines persönlichen Blicks, und da können ihm die ganzen Bilder "von gestochener Schärfe" leider auch nicht weiterhelfen.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.10.2004

Kai Martin Wiegandt kann sich für den neuen Roman von Malin Schwerdtfeger nicht erwärmen. Im Mittelpunkt des Buches steht das Geschwisterpaar Robbie und Linda, die an so verschiedenen Orten wie Jerusalem, Athen, Delphi und Norddeutschland aufwachsen und deren Mutter sich dem orthodoxen jüdischen Glauben zuwendet und schließlich wahnsinnig wird, versucht der Rezensent den Handlungsverlauf zusammenzufassen. Erzählt wird der Roman dabei von einer namenlosen dritten Schwester, "mehr Geist als Fleisch", die sich als "undisziplinierte auktoriale" Erzählerinstanz der Chronologie der Geschehnisse verweigert, erklärt der Rezensent weiter. Das Hauptproblem ist für Wiegandt der "magische Realismus", der neben dem mitunter allzu "harmlosen" Erzählton die durchaus dramatischen Ereignisse "wie in Watte" packt und damit ihre Wirkung unterminiert. Für den enttäuschten Rezensenten scheitert der Roman am Konzept, obwohl er der Autorin durchaus "handwerkliches Geschick" attestiert. Denn dadurch, dass Schwerdtfeger Erinnerung als "Ort, wo das wünschen noch geholfen hat" versteht, erlangt auch die Phantasie einen überragenden Stellenwert, und es wird "ganz unerheblich", was geschieht, so der Rezensent missvergnügt. Der Roman wird zum "wilden Traum" den unser Rezensent einfach nicht träumen will.
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