MarjampoleOder Europas Wiederkehr aus dem Geist der Städte
Carl Hanser Verlag, München
2005
ISBN
9783446206700, Gebunden, 317Seiten, 21,50
EUR
Klappentext
Vergessen Sie Brüssel und Straßburg: der Nabel Europas ist Marjampole. Einmal im Monat treffen Ost und West in Form eines Gebrauchtwagenmarktes in der litauischen Provinzstadt zusammen. Städte wie Marjampole geben Auskunft über das neue Europa: Karl Schlögel hat beobachtet, wie sich seit 1989 ein neuer europäischer Lebensstil herausbildet, der eine unsichtbare Verbindung herstellt von Paris bis Nowgorod. Ein überraschend frisches Bild für alle, die glauben das Europa von heute zu kennen.
Rezensionsnotiz zu
Frankfurter Rundschau, 19.10.2005
Thomas Medicus ist es von Karl Schlögel schon seit 1986 gewohnt, mit "ungebrochener Entdeckerfreude" in bisher unbekannte osteuropäische Gefilde geleitet zu werden, weshalb er sich in seiner Besprechung auf die Ungereimtheiten des Schlögelschen Denkens konzentriert. Zum einen vermisst Medicus den Beweis für die Behauptung, die Städte spielten mit ihren Bürgern eine besondere Rolle in der Zukunft Ost- und Mitteleuropas. "Verblüfft" ist der Rezensent zudem, wie unkritisch Schlögel den Fortschritt auf den Ausbau des Verkehrssystems, also den boomenden Gebrauchtwagenmarkt in Marjampole reduziert. In Anlehnung an Lenins Diktum "Kommunismus ist Sowjetmacht plus Elektrifizierung" argumentiere Schlögel "Europäisierung ist offene Grenzen plus Automobilisierung". Diese Fortschrittsgläubigkeit beißt sich nach Ansicht des Rezensenten wiederum mit dem rückwärts gerichteten Bild des osteuropäischen Bürgers, den Schlögel aus dem 19. Jahrhundert entlehnt, der nach Ansicht des Rezensenten aber im 21. Jahrhundert noch nicht gesichtet wurde. Wegen dieser "romantischen Geschichtsprophetie" bleibt allzu viel im "Romantisch-Ungefähren", mokiert Medicus, mehr Wille und Vorstellung als Erkenntnis und Wirklichkeit.
Rezensionsnotiz zu
Neue Zürcher Zeitung, 18.10.2005
Sehr wohlwollend äußert sich der Rezensent Cord Aschenbrenner über das jüngste Werk des Historikers Karl Schlögel. In seiner Entdeckungsreise durch den Osten Europas erweise sich Schlögel einmal mehr als "so eindrucksvoll belesener wie erfahrener Reporter, Entdecker, Vermittler und Ausgräber". Den Händlern des größten europäischen Gebrauchtwagenmarktes im litauischen Marjampole zolle Schlögel den Respekt, der ihnen als Praktikern der "Grenzüberschreitung" und der alltäglichen "Gelände-Erkundung" gebühre (die Kaufleute waren ja schon immer "Vorreiter der Verständigung"). Diese "unbekümmerten" Händler als die "eigentlich aktiven Europäer" zu bezeichenen, mag, wie der Rezensent zugibt, "euphemistisch" oder "euphorisch" klingen, doch gemessen an der gesichtslosen Banalität des europhilen Diskurses sei diese Beschreibung von großem Wert. Doch Schlögel finde auch andere Anzeichen einer Wiederbelebung der europäischen Idee: Der "sensible und lange flüchtige Geist der Städte" kehre zurück und mit ihm, nach dem großen Unglück des 20. Jahrhunderts, das Schlögel als Jahrhundert des "Urbizids" bezeichnet, das Glück der wieder aufgegriffenen Kontinuität.