Die gläsernen GeneDie Erfindung des Individuums im molekularen Zeitalter
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main
2009
ISBN
9783518260166, Kartoniert, 150Seiten, 10,00
EUR
Klappentext
In den Lebenswissenschaften hat sich die Molekularbiologie als Leitwissenschaft etabliert, die genzentrierte Sichtweise ist zum dominanten Paradigma, das Genom zum säkularisierten Äquivalent der Seele geworden. Parallel dazu ist in liberalen Demokratien ein Individualisierungsprozess zu beobachten: Dem einzelnen stehen alle Optionen offen. Die Kategorien, auf denen das gesellschaftliche Leben beruht - Verwandtschaftsbeziehungen, Eigentumsrechte an natürlichen und artifiziellen Organismen, die Verschiebung der Grenzen zwischen privat und öffentlich, die Rechte des Individuums gegenüber der Gemeinschaft und den nachfolgenden Generationen - werden durch die Vorstöße der Lebenswissenschaften tagtäglich aufs neue in Frage gestellt. Auf der einen Seite ist beispielsweise der Kampf gegen das Doping im Sport Ausdruck der Illusion eines natürlichen Lebens, auf der anderen Seite sind wir gezwungen, die Fiktion der Natürlichkeit aufzugeben und eine Koexistenz von Menschen und Artefakten zuzulassen. Das Individuum von morgen wird heute erfunden; seine Rechte und seine Stellung in der Gesellschaft müssen neu definiert werden.
Rezensionsnotiz zu
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.03.2009
Welche gesellschaftlichen Herausforderungen zieht die Molekularbiologie nach sich? In dem von Helga Nowotny und Giuseppe Testa verfassten Band stößt der Rezensent auf so ausgewogen wie scharfsinnig formulierte Antworten. Als knapp und zugleich perspektivenreich bezeichnet Milos Vec die Bestandsaufnahme der Autoren im Bereich der biomedizinischen Revolution. Besonders schätzt Vec die theoretische Komponente der Untersuchung, die es dem Leser erlaubt, die Brüche (etwa im Verständnis von Natur und Natürlichkeit) nachzuvollziehen und Formen notwendiger und eher unkonventioneller Regulierungsmaßnahmen kennenzulernen. Dass die beiden Autoren zwar nicht mit Verbotsforderungen um sich werfen, sich bei ihrem Blick auf die Zukunft der Wissenschaft aber dennoch eine gesunde Skepsis erhalten, hält Vec für angemessen.
Rezensionsnotiz zu
Die Tageszeitung, 12.03.2009
Mit der Entschlüsselung des Genoms ist noch nichts über das Individuum ausgesagt, eine Grenze zwischen natürlichem und sozialem Individuum und künstlichem Genom lässt sich in Anbetracht der natürlich ablaufenden Biochemie aber auch nicht sinnvoll ziehen, resümiert Robert Misik einen Teil seiner Lektüre des in seinen Augen aufgeklärten und klugen interdisziplinären Büchleins, das eine Diskussion zwischen Helga Nowotny (Vizepräsidentin des Europäischen Forschungsrats) und Giuseppe Testa (Stammzellenforscher und Onkologe) wiedergibt. Weitere spannende Themen der Wissenschaftler abseits des Alarmismus und geeignet "zur Entspannung hypermoralischer Diskurse" sind praktizierte Wissenschaftsethik, der veränderte Blick auf das Selbst durch fortschreitende Biomedizin und das Recht und der Handel mit Genomen.
Rezensionsnotiz zu
Die Zeit, 12.03.2009
Rezensentin Barbara Prainack empfiehlt dieses Buch zu Fragen der Molekulargenetik als ideale Einführung allen, die die Debatten an der "Schnittstelle von Lebenswissenschaft und Gesellschaft" nicht systematisch verfolgt haben. Doch auch für luzidere Kenner der Materie halte es viele Denkanstöße bereit. Eine große Qualität des Buchs ist für die Rezensentin seine interdisziplinäre Ausrichtung. Auch der Verzicht auf "Endzeitrhetorik" wird den Autoren hoch angerechnet. Denn statt stirnrunzelnd ein neues Zeitalter anzukündigen, schärften sie vielmehr den Blick des Lesers dafür, wie stark sich die Vorstellungen dessen, was als natürlich zu gelten hat, im Lauf der Zeit immer wieder gewandelt haben. Trotzdem bleibe das Buch eine nachdenkliche Darstellung der lebenswissenschaftlichen Forschungsfelder im Kontext der Bedingungen, die sie ermöglicht haben.