Heinrich Mann

Zur Zeit von Winston Churchill

Tagebuch September 1939 bis September 1940
Cover: Zur Zeit von Winston Churchill
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2004
ISBN 9783100478146
Gebunden, 546 Seiten, 22,90 EUR

Klappentext

Bei Ausbruch des Krieges begann Heinrich Mann im französischen Exil ein Tagebuch, das er bis September 1940 führte. Ein Jahr später war er in die USA emigriert und bereitete die Veröffentlichung dieses Kriegstagebuchs vor. Jetzt erscheint es erstmalig. Klug und erhellend kreisen Manns Reflexionen um die Machthaber des Krieges und die Vision eines geeinten Europas, um Literatur und Philosophie. Zur Seite steht ihm dabei Churchill als eine "achtbare Zusammensetzung von Tugenden und Mängeln". Ein neuer Heinrich Mann ist zu entdecken.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 08.01.2005

Im Grund hält Joachim Fest den Autor Heinrich Mann für einen hoffnungslosen Fall, daraus macht er gar keinen Hehl. In seinen politischen Ansichten habe er sich, ganz und gar wirklichkeitsblind, eine Welt zusammengeträumt, oder, in Fests eigenen Worten: Manns politisches Weltbild war "eine eigentümliche Verbindung aus Unglück, Irrtum, Zuversicht und ideologischer Verbohrtheit". Und in seiner Literatur habe er meist von der Politik nicht lassen wollen und sei genau daran gescheitert. Wenig Zustimmung, das ist unter diesen Prämissen klar, gibt es deshalb von Fests Seite für die in diesem Tagebuch aus dem Jahr 1939 geäußerten Ansichten Manns. Voller Fehlurteile seien sie, wie eh und je - und über Privates sei kaum etwas zu erfahren, stattdessen vor allem "Leitartikel" zur Lage, bei denen von der Bewunderung zur Verachtung Stalins nur ein Schritt sei. Gelten lassen will Fest die Tagebucheinträge dennoch, und zwar als "aufschlussreiches Dokument".
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 22.12.2004

Willi Jasper tritt mit seiner Besprechung des Kriegstagebuchs von Heinrich Mann an, um selbigen gegen die vermuteten "traditionellen Vorurteilsreflexe" des übrigen Feuilletons in Schutz zu nehmen. Denn Mann sei der "bevorzugte Prügelknabe der Kritik", die in ihm bloß einen "Humanitätsverfechter ohne Wirklichkeitsbezug" sehe. Bei Jaspers hingegen ist das Tagebuch, das Mann nach Kriegsausbruch im französischen Exil begonnen hatte und im August 1940 mitten im Satz abbrach, in wohlwollenden Händen. "Etwas irreführend" findet der Kritiker zunächst die Verlagswerbung, wonach das Kriegstagebuch 60 Jahre lang nicht veröffentlicht worden sei, dabei, so Jasper, wurden doch wesentliche Teile davon bereits 1946 in den essayistischen Memoiren "Ein Zeitalter wird besichtigt" publiziert. Tatsächlich unbekannt sei hingegen die Kritik an Stalin, in der der enttäuschte Heinrich Mann den "Sowjet-Imperialisten" nach dem Pakt mit Hitler mit dem "älteren Terroristen Tschingiskan" vergleicht. "Deutlicher und klarsichtiger" wie in diesen und anderen Schmähungen des "Schakals im Kremel" habe man damals (1939/40) die historische Situation nicht erfassen können, lobt Jasper. Warum aber rehabilitierte Mann später den sowjetischen Despoten und stellte ihn gar auf eine Stufe mit Roosevelt oder Churchill, fragt sich der Rezensent. Darüber schweige sich das "monumentale" Nachwort, das die Entstehungsgeschichte der Publikation ausführlich nachzeichne, leider aus. Jaspers Anerkennung gegenüber Heinrich Mann und dessen Aufzeichnungen tut dies jedoch keinen Abbruch.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 15.12.2004

Als "eindrückliche Denk- und Orientierungsversuche" bezeichnet Hanno Helbling das Exil-Tagebuch Heinrich Manns, das erst jetzt publiziert worden ist. Die Aufzeichnungen, die 1939/40 in Frankreich entstanden sind, zeugen laut Helbling davon, wie dem von der Realität überrumpelten und enttäuschten Heinrich Mann nur mehr die Möglichkeit blieb, die "Wirklichkeit ins Unrecht zu setzen". Mann habe sich überhaupt nie gescheut, "der Realität den Kampf anzusagen". Als er etwa während des ersten Weltkriegs in Frankreich "Briefe voll menschlicher Vorzüglichkeit" von deutschen Arbeitern erhalten hatte, wollte er sich nicht eingestehen, dass eben diese Arbeiter nun als deutsche Soldaten kämpften, berichtet der Kritiker. Diese Verweigerung, das "Ich will nicht" stehe hinter vielem, was der Autor zum Zweiten Weltkrieg gedacht hat. Helbling hält das für einen "mehr verständlichen als verstehenden Protest".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 17.11.2004

Das Kriegstagebuch Heinrich Manns aus dem ersten Kriegsjahr, das der Schriftsteller in der Emigration im französischen Nizza schrieb, wird erstmals veröffentlicht, teilt Stephan Reinhardt mit, herausgegeben von dem Leipziger Historiker Hans Bach, der das Dokument auch mit einem informativen Kommentar und einem Nachwort versehen hat. Das Tagebuch beginnt kurz nach dem Überfall Deutschlands auf Polen und endet abrupt im September 1940, als Deutschland in Frankreich einmarschierte und Heinrich Mann alles stehen und liegen lassen musste, um zu fliehen. Bemerkenswert an diesem Dokument aus dem ersten Kriegsjahr ist für Reinhardt Heinrich Manns gewandelte Meinung zur Sowjetunion, die er früher idealisiert hatte. Dem Hitler-Stalin-Pakt begegnet er zunächst mit Ratlosigkeit, analysiert Reinhardt, dann mit Ablehnung und Entrüstung; in der Folge wende sich Mann England und Churchill zu, dessen Härte und Geradlinigkeit dem Autor imponiert habe. Tagebuchstellen, bei denen Heinrich Mann der Kriegspropaganda aufgesessen sei, werden vom Herausgeber gekennzeichnet und erklärt, so der Rezensent, der bloß bedauert, dass Herausgeber Bach nicht der Frage nachgegangen ist, warum Heinrich Mann in seinem autobiografischen Bericht von 1943 "Ein Zeitalter wird besichtigt" plötzlich wieder gut auf Stalin zu sprechen war.