Ha Jin

Verrückt

Roman
Cover: Verrückt
dtv, München 2004
ISBN 9783423243728
Gebunden, 316 Seiten, 15,00 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Susanne Hornfeck. "Alle waren überrascht, als Professor Yang im Frühjahr 1989 einen Schlaganfall erlitt." Mit diesem Satz beginnt der Student Jian den Bericht über die Zeit, in der seine Welt sich zu verrücken begann. Jeden Tag wacht Jian am Krankenbett seines Lehrers und angesehenen Literaturprofessors der Universität in Shanning. Was zunächst aussieht wie eine einfache, wenn auch ungelegene Pflichterfüllung, wird zunehmend rätselhaft, ja gefährlich, als Herr Yang plötzlich beginnt, wirres Zeug von sich zu geben: unsichtbare Peiniger fleht er um Gnade an, er singt Revolutionslieder, schwärmt von einer Geliebten mit Brüsten wie Pfirsiche, rezitiert Stellen aus Dantes "Göttlicher Komödie", beschimpft seine Familie, seine Kollegen und das Hochschulsystem, in dem ein Gelehrter nichts weiter sei als ein Vieh auf der Schlachtbank. Seine gerade fertiggestellte Übersetzung des Brechtschen Theaterstücks "Der gute Mensch von Sezuan" ruht hingegen unbeachtet auf der Fensterbank.Ist sein Professor nicht mehr ganz richtig im Kopf oder spricht er im Wahn gar die Wahrheit?

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 11.11.2004

Sibylle Becker-Grüll zeigt sich von diesem Roman des seit 1985 in den USA lebenden chinesischen Autors Ha Jin sehr angetan und beeindruckt. Das Buch spielt im Jahr 1989 in der chinesischen Provinz und dreht sich um einen Professor Yang, der nach einem Schlaganfall den Verstand verloren zu haben scheint, und seinem ihn pflegenden Lieblingsstudenten Jian, fasst die Rezensentin zusammen. Zunächst vor allem "peinlich berührt", hört der Student immer faszinierter den Wortschwällen des Professors zu, die sich von "kindischen Altmännerneckereien" über das Singen "unliebsam gewordener Revolutionslieder" bis zu "erotischen Fantasien" erstrecken, so Becker-Grüll weiter. Aus diesen verrückten Äußerungen des Todkranken kristallisieren sich Forderungen nach "individueller Entfaltung und persönlichem Glück" heraus, die im totalitären China einen Ausbruchversuch aus dem "gesellschaftlichen Zwangskorsett" darstellen. Die Rezensentin betont, dass die Geschichte dem "traditionellen Erzählmuster des Entwicklungsromans" folgt, in dessen Mittelpunkt die Beziehung der beiden Hauptfiguren steht. Sie attestiert dem Autor "große Sorgfalt" in der Entwicklung dieser Figuren und sie zeigt sich auch von dem ruhigen, mitunter von "Witz und Drastik" aufgelockerten Erzählstil sehr eingenommen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 09.10.2004

Der aus China stammende Autor Ha Jin hat schon in den Jahren des Protests und des Massakers am Platz des Himmlischen Friedens in den USA gelebt. Die Handlung seines neuen, des vierten Romans, ist dann auch in den USA angesiedelt - Thema aber ist das Verhältnis zu China. Im Zentrum stehen ein in den USA lehrender chinesischer Literaturwissenschaftler und ein Doktorand, der zugleich sein Schwiegersohn in spe ist. Das mag eine, räumt die Rezensentin Christine Hammer ein, "auf den ersten Blick scheinbar abseitige Personenkonstellation" sein, sie ermöglicht dem Autor jedoch die Schilderung eines doppelten Desillusionierungsprozesses. Bis tief ins Privatleben des kranken Alten und des zunächst noch naiven Jungen hinein reichen die politischen Erschütterungen Chinas - und der Schwiegersohn erlebt am Ende mit einer Reise nach China seine endgültige "Wandlung". Die Rezensentin ist von dem Roman sehr angetan, findet nur diese letzte Wende vielleicht allzu glatt. Den Autor lobt sie als "poeta doctus", der mit westlichen und östlichen Zitaten und Anspielungen virtuos umgeht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.06.2004

Ein "fast schon paradoxes Lehrstück" nennt die überraschte Rezensentin Jutta Person Ha Jins Erzählung um den Literaturstudenten Jian, der durch den fortschreitenden Wahnsinn seines Lieblingsprofessors und zukünftigen Schwiegervaters in einen Sog der grausamen Erkenntnis gezogen wird. Nach Jians anfänglichem Schock über die regierungsgefälligen Revolutionslieder und Literaturzitate, die der Professor im Delirium von sich gibt, begebe er sich auf ein "Spurensuche, bei der sich Privates, Politisches und Literarisches zu einem traurigen Triebwerk zusammensetzen". Dabei entstehe das Bild des gesunden, sich als "Aristokraten im Geiste" gebahrenden Professors neu, und Jian meint in dessen vormals gepredigten Idealismus "einen vom Neid diktierten Ersatz für den Reichtum der Politbonzen" zu erkennen. Schließlich zweifelt Jian an seiner akademischen Berufung, die auch der Professor in einem klaren Moment als "Wortgeklingel und Sophisterei" enttarnt, in dem "nichts wirklich ernst" ist. Zwar findet die Rezensentin den am Schluss ausgetragenen "Kampf ums Geistige" ein wenig "lehrbuchhaft", doch dieser Mangel wird bei weitem von der Präzision aufgewogen, mit der die einzelnen Erzählebenen zwischen Politik und Leben "passgenau ineinander gestapelt" sind. Schließlich schäle sich Jians Existenzfrage heraus: "Wozu soll Lyrik denn gut sein?" Ha Jin, lobt die Rezensentin, stellt diese Fragen mit der "Wucht des Widerspruchs: schlicht und unendlich kompliziert zugleich".
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