Franco Moretti

Der Bourgeois

Eine Schlüsselfigur der Moderne
Cover: Der Bourgeois
Suhrkamp Verlag, Berlin 2014
ISBN 9783518424599
Gebunden, 275 Seiten, 24,95 EUR

Klappentext

Aus dem Englischen von Frank Jakubzik. Mit zahlreichen Abbildungen. Die industrielle Revolution hat keinen Stein auf dem anderen gelassen. Sie hat alle "altehrwürdigen Vorstellungen und Anschauungen" aufgelöst, alles "Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige" entweiht, konstatieren Marx und Engels im Kommunistischen Manifest. Die Protagonisten dieser Umwälzung sind die Bürger, die Kaufleute und Industriekapitäne. Die Figur des Bourgeois hat nicht nur Max Weber, Werner Sombart und Joseph Schumpeter fasziniert, sie spielt auch eine Hauptrolle in den großen Werken der Weltliteratur: bei Defoe und Goethe, Balzac und Dickens, bei Thomas Mann und Henrik Ibsen.
Franco Moretti rekonstruiert die Mentalität dieser Ära durch das Fenster Literatur: Warum hört Robinson Crusoe auch dann nicht auf zu arbeiten, als sein Überleben auf der paradiesischen Insel längst gesichert ist? Was verraten Ton, Schlüsselwörter und Grammatik der großen Romane des 19. Jahrhunderts über den Geist des Kapitalismus? Und was haben uns die Stücke Ibsens heute, das heißt in unseren postbürgerlichen Zeiten, noch zu sagen, in denen die Wachstumsideologie ebenso hinterfragt wird wie die Integrität von Bankern, Beratern und Analysten?

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 27.11.2014

Franco Morettis Geschichte des Bourgeois endet zwar im 19. Jahrhundert, dennoch kann sie uns viel über das heute sagen, versichert Rezensent Alexander Cammann, der das Buch mit großem Interesse gelesen hat. Moretti ist nicht Soziologe, sondern Literaturwissenschaftler. Er sucht in Romanen den Blick auf den Bürger einzufangen, erfahren wir. Auffällig erscheint Cammann dabei besonders, wie gut das Bürgertum seinen Aufstieg zur herrschenden Klasse verschleierte: Schon die Bezeichnung "Mittelschicht" hat ja etwas besänftigendes. Gern wurde dem Bürger auch das Adjektiv "earnest", "ernst" beigefügt, was von der höheren Moral des so beschriebenen kündet. Dass es mit dem Bürgertum trotz lauter Klagen auch heute noch nicht vorbei ist, sieht der Rezensent an Eltern, die alles tun, damit ihre Kinder nicht mit dem Plebs in die Schule gehen.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 18.11.2014

Mit seinem Essay über den Bourgeois in der Literatur lässt Franco Moretti durchaus Wünsche bei Rezensentin Lea Haller offen, vor allem, weil sie seine "begnadeten Exegesen" gern noch ins 20. Jahrhundert ausgedehnt gesehen hätte. Denn was Moretti über die Bourgois im 18. und 19. Jahrhundert zu sagen hat, findet sie erhellend. Der italienische Literaturwissenschaftlicher befasst sich mit dem Stil bürgerliche Prosa, und laut Haller erkennt er für das frühe 18. Jahrhundert, etwa bei Daniel Defoe, dass Finalsätze und "ein Staccato der Effizienz und Nüchternheit" dominieren und das Tagespensum zweckrational abgearbeitet wird. Im viktorianischen Roman ab Mitte des 19. Jahrhunderts herrschen dann, so Haller, Moralisierung, neugotische Verzierungen und die Verschleierung von Tatsachen.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2014

Was für ein Buch!, jauchzt Rezensent Jürgen Kaube. Stoff und Fragen für hundert philologische Arbeiten, meint er. Zum Beispiel: Wie zeigt sich die Bourgeoisie an den literarischen Rändern, bei Pérez Galdós oder Machado de Assis? Aber auch jede Menge kluge Einsichten bietet ihm der Versuch des Anglisten Franco Moretti, die Geschichte des modernen Romans anhand der Entwicklung des Bürgertums zu erzählen. Wenn Moretti Disziplin und Ordnung in der Sprache des "Robinson Crusoe" entdeckt oder den Einschub als bürgerliche Ruhezone bezeichnet, gehen dem Rezensenten Lichter auf. Vor allem aber möchte er dauernd widersprechen (etwa, was das Bürgertum als "herrschende Klasse" betrifft) - für Kaube ein Qualitätskriterium, Zeichen für den ungeheuren Gedankenreichtum des Buches.
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Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 04.10.2014

Einen wunderbarer, schwungvoll und "furchtlos" geschriebenen Großessay kann Rezensent Johan Schloemann mit Franco Morettis neuem Buch "Der Bourgeois" nun endlich auch auf Deutsch annoncieren. Der italienische Philologe untersucht hier etwa anhand der englischen bürgerlichen Literatur, weshalb der Begriff der "middle class" im industriekapitalistischen England dem der Bourgeoise vorgezogen wurde, entdeckt, dass Robinson Crusoe zwar ein Aussteigerleben führt, aber doch nach strengen bürgerlichen Arbeitsethos lebt oder wie das Bürgertum in George Eliots "Middlemarch" beginnt, seinen Fleiß, seine Freizeit und die Regelmäßigkeit des Lebens zu genießen, so Schloemann. Insbesondere lobt der Kritiker, wie es Moretti gelingt in der Flut von Büchern über Bürgertum und Kapitalismus doch ein neuartiges Buch zu schreiben, was nicht zuletzt an einer gekonnten Mischung aus präzisen Daten und selbstständigem Denken liegt. Vor allem aber ist dies ein "schönes", äußerst feinfühlig geschriebenes Buch, das durchaus auch einen kritischen Blick auf die Gegenwart offenbart, urteilt der eingenommene Rezensent.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 04.10.2014

Melancholisch nennt Rezensent Jan Küveler das Fazit, das der Romanforscher Franco Moretti in seiner Geschichte des Bourgeois, des Bürgers also, zieht. Melancholisch, weil der Bürger angeblich ausgestorben ist, wie der Autor laut Küveler erklärt. Dass Moretti keine reine Literaturgeschichte schreibt, auch wenn er dem Bürger von Robinson Crusoe über seine Dämonisierung bei Balzac und Dostojewski bis zu seiner Verwischung bei George Eliot nachspürt, gefällt dem Rezensenten nicht schlecht. Als Schlüsselfigur der Moderne scheint der Bürger ihm so erst recht zur Geltung zu kommen.