Ernst Jünger, Joseph Wulf

Ernst Jünger / Joseph Wulf: Der Briefwechsel 1962-1974

Cover: Ernst Jünger / Joseph Wulf: Der Briefwechsel 1962-1974
Vittorio Klostermann Verlag, Frankfurt am Main 2019
ISBN 9783465043805
Kartoniert, 168 Seiten, 29,80 EUR

Klappentext

Unter den Historikern, die sich mit der Verfolgung und Vernichtung der europäischen Juden im Nationalsozialismus beschäftigt haben, nimmt Joseph Wulf als Auschwitz-Überlebender und erster Chronist des Holocaust eine besondere Stellung ein. 1962 nahm er Kontakt zu Ernst Jünger auf, mit dem er bis zu seinem Tod im Oktober 1974 korrespondierte. Der Briefwechsel, der durch mehrere Treffen in Wilflingen und Berlin ergänzt wurde, umfasst etwa 150 Schreiben, in denen beide ihre Auffassungen zur NS-Zeit, zum Holocaust und deren Aufarbeitung dargelegt haben. In vielen Fällen stimmen ihre Bewertungen überein, doch gab es auch Divergenzen. Die Korrespondenz wird damit zu einem bedeutenden Zeugnis der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in der Bundesrepublik.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 25.01.2020

Ruthard Stäblein sieht im Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Joseph Wulf aus den Jahren 1962-1974 vor allem ein Denkmal an den frühen, zu Lebzeiten ohne Anerkennung bleibenden "Historiker des Nazismus" Wulf. Wulfs Bewunderung für Jüngers Humanismus ist für die Rezensentin in der Korrespondenz sehr präsent, ebenso Jüngers kühle Abwehr einer Instrumentalisierung für Wulfs publizistische Interessen. Einen Dialog auf Augenhöhe kann Stäblein nicht erkennen, sehr wohl aber die "Unwucht" zwischen beiden: Hier der souveräne Jünger, dort der um Hilfe bittende Wulf. Den Briefwechsel findet sie "gut kommentiert".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 10.10.2019

Nüchtern und beißend bespricht Rezensent Jörg Aufenanger den vorliegenden Briefwechsel. Er zeigt vor allem die Kontraste auf, die Streitpunkte und Sollbruchstellen dieses so unwahrscheinlichen Dialogs. So zeichnet er Wulfs radikales, oft verzweifeltes Engagement nach und setzt dagegen Jüngers "Reserviertheit" - die sich jeweils spiegelten im rasenden Arbeitstempo des einen und der fast gelangweilten Gemächlichkeit des anderen. Immerhin wurde Wulf manchmal deutlich und sprach etwa von der Scham, so zitiert Aufenanger, die einer fühlen müsse, der Hitler "als Befehlshaber" gedient habe, ein Vorwurf, dem sich Jünger mehr oder weniger elegant entzieht. Der erschütterte Rezensent schließt mit der Bemerkung, der letzte Brief sei von Wulfs Sekretärin verfasst worden, nachdem sich Wulf angesichts des Todes seiner Frau und fehlender Resonanz für seine Arbeit das Leben nahm.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 01.10.2019

Thomas Wagner erinnert sich mit dem von Anja Keith und Detlev Schöttker herausgegebenen Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Joseph Wulf aus den Jahren 1962-1974 daran, dass der Dialog zwischen politisch gegnerischen Zeitgenossen einmal möglich, herzlich und fruchtbar sein konnte. Wie sich der Rabbiner und Historiker Wulf und der Ex-Wehrmachtsoffizier Jünger in den Briefen über die Verdammung der Naziverbrechen verständigen, über die Rolle Intellektueller im "Dritten Reich" und die Rolle der Wehrmachtsleitung zanken, findet Wagner aufschlussreich und überraschend.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 19.09.2019

Der Briefwechsel zwischen diesen sehr ungleichen Partnern, so Götz Aly in einer lobenden Besprechung, begann mit einer Anfrage 1962 des polnischen Historikers Wulff, der Auschwitz überlebt hatte, an Ernst Jünger; er wollte einen Leserbrief Jüngers von 1934 an den "Völkischen Beobachter" abdrucken. "Hervorragend ediert" nennt der Rezensent diese Briefe, die offenbar Gegenstände der NS-Zeit immer ernsthaft und sachlich zur Sprache brachten. Zwar behauptet Jünger in einem der Briefe, dass man sich auch bei unterschiedlichen Ansichten "im Humanen einig" sei, dennoch belegen die von Aly zitierten Passagen eine große Distanz. Zeichenhaft scheint es in der Klarsfeld-Ohrfeige auf, die Wulf auf sarkastische Weise begeisterte - damit habe sie mehr getan, "als ich mit meinen ganzen blöden 18 Büchern" - und die Ernst Jünger nur degoutant finden konnte. Dass Wulff, der sich 1974 das Leben nahm, vom westdeutschen Establishment, sowohl von akademischer als auch verlegerischer Seite für sein Projekt der historischen Aufarbeitung keine Hilfe erhielt, benennt Aly mit Bitterkeit.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.08.2019

René Schlott liest den von Anja Keith und Detlev Schöttker herausgegebenen Briefwechsel zwischen Ernst Jünger und Joseph Wulf mit Interesse. Spannend ist der Dialog für Schlott nicht zuletzt aufgrund der so unterschiedlichen Herkunft der Autoren. Wie der Historiker und Auschwitz-Überlebende Wulf und der antisemitisch auffällige Jünger über die lustvolle Austragung intellektueller Kontroversen, etwa über die NS-Vergangenheit, schließlich zusammenfinden, scheint Schlott aufschlussreich und anregend. Auffällig findet er die gegenseitige Wertschätzung der Schreiber und ihr Agieren auf Augenhöhe.
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