Elizabeth Harvey

Der Osten braucht dich!

Frauen und nationalsozialistische Germanisierungspolitik
Cover: Der Osten braucht dich!
Hamburger Edition, Hamburg 2010
ISBN 9783868542189
Gebunden, 479 Seiten, 35,00 EUR

Klappentext

aus dem Englischen von Paula Bradish. Mit Fotos und Faksimiles und sieben Karten. Bereits vor der nationalsozialistischen Machtübernahme 1933 boten Kampagnen zum "Schutz des Deutschtums" im ländlichen Osten Deutschlands jungen Frauen ein Betätigungsfeld als sogenannte Grenzlandaktivistinnen, die ein Bollwerk gegen slawische und jüdische Fremde aufbauen sollten. Nach dem Überfall auf Polen im September 1939 wurden deutsche Mädchen und Frauen aus dem "Altreich" für soziale und erzieherische Aufgaben für den "deutschen Osten" rekrutiert und mitunter zu solchen Einsätzen genötigt.
BDM-Führerinnen, Teilnehmerinnen am Arbeitsdienst für die weibliche Jugend oder Studentinnen im Ferieneinsatz sollten ihren spezifisch weiblichen Beitrag zum rassenpolitischen Umbau der besetzten Gebiete leisten, vor allem durch Kontrolle und Indoktrination der "volksdeutschen" Umsiedler im Sinne der nationalsozialistischen Volkstumspolitik. Als vermeintlich naturgemäße Hüterinnen von deutscher Ordnung, Hygiene und Tradition war es ihre Aufgabe, Kindergärten und Schulen für deutsche Kinder einzurichten, als "Ansiedlungsbetreuerinnen" volksdeutsche Familien in Haushaltsführung und Kinderpflege zu unterweisen und Dorffeste oder Versammlungen zu organisieren, um so einen "volksdeutschen Gemeinschaftsgeist " zu wecken.
Elizabeth Harvey rekonstruiert die Rolle von Frauen und Mädchen im Besatzungsalltag und in der deutschen Expansionspolitik und lotet deren Motive und Handlungsspielräume aus. Dazu wertet sie Arbeitsberichte und NS-Veröffentlichungen ebenso aus wie Briefe und Tagebücher und ihre eigenen Interviews mit Frauen, die im besetzten Polen tätig waren. Aus Überzeugung, Karrierebestrebungen, Geltungsbedürfnis, Abenteuerlust, Neugier oder einfach nur, weil sie der Enge der Familie entkommen wollten, beteiligten sich diese Frauen an einer Politik, die die Deutschen als "zukünftige Herren im Osten" sah. Zu ihren "weiblichen" und vermeintlich unpolitischen Tätigkeiten zählte auch die Herrichtung von Häusern für "Volksdeutsche" unmittelbar nach der Vertreibung der polnischen Bewohner durch die SS, die Disziplinierung von "Eingedeutschten", die hartnäckig weiter mit den polnischen Nachbarn freundschaftliche Beziehungen pflegten, oder das Requirieren von Hausrat aus geraubten jüdischen Beständen für deutsche Umsiedler. Insbesondere die von Harvey geführten Interviews machen deutlich, wie unterschiedlich das Engagement von Frauen im Rahmen der mit Versklavung und Vernichtung einhergehenden Mission der rassenpolitischen "Neuordnung" Osteuropas sein konnte. Diese Gespräche geben aber auch Aufschluss darüber, wie die beteiligten Frauen sich heute an ihre damalige Tätigkeit, an ihre Beweggründe und Wahrnehmung erinnern.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 25.10.2010

Mit viel Lob bedenkt Rezensentin Marita Krauss diese erhellende Studie über die Rolle der Frau bei der nationalsozialistischen Germanisierungspolitik im besetzten Polen, die Elizabeth Harvey vorgelegt hat. Während über die Politik der "Eindeutschung" im Osten viel geschrieben wurde, scheint ihr die Rolle der Frau in diesem Prozess bisher kaum erforscht. Sie attestiert der Autorin, Professorin für Geschichte an der University of Nottingham, dieses Thema überzeugend bearbeitet zu haben. Beeindruckend findet sie die Recherchen Harveys, die nicht nur zahllose Akten ausgewertet, sondern auch Tagebücher gelesen und Interviews geführt hat. So entsteht für Krauss ein genaues und lebendiges Bild der Frauen, die als Erzieherinnen und Sozialfürsorgerinnen die sogenannten "Volksdeutschen" betreuten und deutsche Kultur vermittelten. Deutlich wird in ihren Augen, dass sich diese Frauen angesichts ihrer Arbeit mit Kindern und Müttern als unpolitisch verstanden. Dabei habe es sich längst um "Komplizenschaft" gehandelt.
Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.05.2010

Als sehr verdienstvoll lobt Rezensent Rolf Wiggershaus die Studie von Elizabeth Harvey zum "spezifisch weiblichen Anteil" an der nationalsozialistischen Germanisierungspolitik in den besetzten Ostgebieten. Die Autorin hat unter anderem 16 Frauen interviewt, die in Polen aktiv in die Germanisierungspolitik der Nationalsozialisten mit sozialen oder pädagogischen Aufgaben eingebunden waren, erklärt der Rezensent. Wiggershaus ist von der ausgewogenen Mischung aus allgemeinen Informationen und exemplarischen Schilderungen, von der Anschaulichkeit der Darstellung und nicht zuletzt auch von der ausgesprochen sachlichen und "fairen" Auswertung der Interviews sehr beeindruckt und es freut ihn, dass das Buch zudem tadellos von Paula Bradish ins Deutsche übersetzt wurde.