Doron Rabinovici

Instanzen der Ohnmacht

Wien 1938 - 1945. Der Weg zum Judenrat
Cover: Instanzen der Ohnmacht
Jüdischer Verlag, Frankfurt am Main 2000
ISBN 9783633541621
Gebunden, 360 Seiten, 25,46 EUR

Klappentext

Spätestens seit Hannah Arendts Eichmann-Buch und ihrer Kritik an der Rolle der Judenräte wird die Frage der Zusammenarbeit von jüdischen Repräsentanten mit dem NS-Regime in der Zeit der Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden äußerst kontrovers diskutiert. Wie konnten Menschen gezwungen werden, an ihrer eigenen Vernichtung mitzuwirken? Wer verstehen will, wie die Judenräte entstanden, muss sich mit den Wiener Verhältnissen auseinandersetzen. In Wien entwickelte und erprobte Eichmann ab 1938 erstmals sein "Modell" nationalsozialistischer Judenpolitik. Die Wiener jüdische Gemeindeleitung wurde zum Prototyp aller späteren Judenräte. Doron Rabinovici versucht in seiner Studie der Situation der Verfolgten gerecht zu werden. Er lenkt immer wieder den Blick auf einzelne jüdische Repräsentanten und zeigt, wie alle ihre Strategien, sich und andere zu schützen, letztlich scheiterten. Die jüdischen Verwaltungsapparate waren unter den vorgegebenen Bedingungen des nationalsozialistischen Herrschaftssystems nichts als Instanzen der Ohnmacht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 05.01.2001

Christian Jürgens ist beeindruckt von dieser wissenschaftlichen Studie über den Judenrat in Wien, deren Mitglieder durch die Nazis zur Kollaboration bei der Auswahl und Zusammenstellung der Judentransporte ins KZ gezwungen wurden und paradoxer Weise in der Nachkriegszeit zu höheren Strafen verurteilt wurden als die Nazis selbst. Der Rezensent sieht die eigentliche Stärke dieser Untersuchung in ihren "erzählerischen Passagen". Der Autor, der bereits als Romancier hervorgetreten ist, sei ein "vorzüglicher Erzähler", dem es gelinge, die Fakten der "historischen Anonymität zu entreißen und sie zu Schicksalen" zu machen, preist der Rezensent. Er lobt die Studie als "umfangreiche Schilderung", die in das "bittere Fazit" des Autors mündet, dass die Nachkriegsverurteilung die Opfer noch einmal zu Tätern gemacht hat und somit die "Taktik" der Nationalsozialisten aufgegangen ist.
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Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 10.10.2000

Eine ausführliche und instruktive Besprechung, die mit Lob nicht zurückhalt und dieses Buch des Wiener Historikers Rabinovici einen Gegenentwurf zu Hannah Arendts Eichmann-Buch heißt. Micha Brumlik ist der Meinung, dass es Rabinovici mit seiner "brillanten Studie" gelingt, die Arendtsche Behauptung von der negativen Rolle der Wiener Judenräte zu modifizieren. Arendt hatte zeigen wollen, schreibt Brumlik, dass, unabhängig von guten oder schlechten Absichten, jede Art des bürokratischen Handelns zum Verlust von Menschenleben führen musste. Ihm zufolge überführt Rabinovici seine Untersuchungen, die auf der Auswertung teilweise noch unbekannter Quellen von Opfern sowie Tätern beruhen, in einen anderen theoretischen Rahmen, er orientiere sich an Foucault. Brumlik sieht in Rabinovicis Studie die These von Dan Diner bestätigt, der die den Juden auferlegte "Gegenrationalität der NS-Verfolgung" als besondere Falle beschrieben hat. Nach Brumlik zählt Rabinovicis Buch - neben dem stilistisch prägnanteren Eichmann-Buch von Arendt - zu den philosophischen Grundlagentexten des alten und des neuen Jahrhunderts.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 07.10.2000

Hannah Arendt stellte in ihrem Buch "Eichmann in Jerusalem" (besser bekannt ist der Untertitel "Ein Bericht von der Banalität des Bösen") die These auf, dass die Nationalsozialisten Opfer zu Mittätern und Mitläufern machten. Diesem Dilemma waren insbesondere die jüdischen Gemeinderäte ausgesetzt, die ab 1939 von den Nationalsozialisten eingesetzt wurden und als sogenannte Judenräte fungierten. Und damit, so Arendt, zu Verbrechern am jüdischen Volk wurden. Der Schriftsteller und Historiker Doron Rabinovici widerspricht dieser These. In seiner Fallstudie zeichnet er "chronologisch detailliert und wissenschaftlich fundiert", so der Rezensent Thomas Krüger, die Geschichte der Wiener Kultusgemeinde und einige ihrer Funktionäre nach. Krüger lobt, dass Rabinovici die besondere Dimension des österreichischen Antisemitismus hervorhebt. Gerade die Wiener Juden waren schon vor 1939 vielen Repressionen der Österreicher ausgesetzt. Die von den Nationalsozialisten eingesetzten Judenräte handelten unter einem Zwang, den man nicht in Mittäterschaft umbenennen dürfe. Der Rezensent hält das Buch für wichtig, denn die schnelle Zuschreibung "vom Opfer zum Täter" sei die geplante langfristige Folge der wahren Täter: "sich aus dem Blickfeld zu mogeln und die Opfer unter den Opfern nach Tätern suchen zu lassen." Inwieweit das aber im Widerspruch zu der These von Hannah Arendt steht, bleibt uns zumindest der Rezensent schuldig.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 30.08.2000

Gabriele Anderl findet Rabinovicis Geschichte der "Wiener Judenräte" überzeugend. Der Autor führt ihrer Ansicht nach deutlich vor, wie selbstgerecht die Kritik nach dem Krieg an den Judenräten war, die häufig der Kollaboration mit den Nazis beschuldigt wurden. So zeige Rabinovici, dass die jüdische Selbstverwaltung keineswegs "eigenständig" handeln konnte, sondern immer von den Nationalsozialisten abhängig war. Auch wenn man die Handlungen einiger jüdischer Funktionäre durchaus kritisieren könne - als Beispiel wird der Rabbi Benjamin Murmelstein genannt, der seine Macht "unübersehbar genoss" - letztlich waren die Nationalsozialisten die Mörder. Zwar sind die Fakten nicht neu, aber Thesen und Schlussfolgerungen Rabinovicis findet die Rezensentin "beachtlich".