Claudia Bruns (Hg.), Tilmann Walter (Hg.)

Von Lust und Schmerz

Eine Historische Anthropologie der Sexualität
Cover: Von Lust und Schmerz
Böhlau Verlag, Köln 2004
ISBN 9783412073039
Gebunden, 332 Seiten, 24,90 EUR

Klappentext

Worin bestand das Körperempfinden in der Frühen Neuzeit? Weshalb bestanden "hysterische" Frauen am Ausgang des 19. Jahrhunderts darauf, mit Ärzten über ihre Sexualität zu sprechen? Weshalb strebten staatliche Stellen an, der Bevölkerung wissenschaftliche Kenntnisse über ihr Sexualleben zu vermitteln? Wie sieht das Sexualverhalten Jugendlicher in den letzten 50 Jahren aus? Die ausgewählten historischen Beiträge von der Frühen Neuzeit bis in die Gegenwart eröffnen neue Einsichten in Wandel und Kontinuitäten sexueller Erfahrungen im deutschsprachigen Raum. Zwar entwickelte sich erst am Ausgang des 19. Jahrhunderts ein dynamischer medizinischer Diskurs, der sich um die "Sexualität des Menschen" kümmerte, doch gab es auch in der Frühen Neuzeit Thematisierungen von "sexuellen Erfahrungen", etwa im kirchlichen und weltlichen Recht. Im 19. Jahrhundert führten vor allem innovative biologische und medizinische Theorien zu neuen Zuschreibungen und Erwartungen. Die Beiträge dieses Bandes zeigen, wie sich der Erfahrungsraum "Sexualität" von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart unter wissenschaftlichen, klinischen, politischen und gesellschaftlichen Vorzeichen entwickelt und verändert hat.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 17.05.2004

Eberhard Rathgeb hat nach der Lektüre dieses Bandes von Claudia Bruns und Tilmann Walter herausgegebenen Bandes zu einer "Historischen Anthropologie der Sexualität" vor allem eine Einsicht gewonnen: Angesichts der heutigen Sexualisierung der Medien und der selbstverständlich sexualisierten Sozialisation, von denen der Band künde, sei es unwahrscheinlich, dass aus der heute jungen Generation "ein Georges Bataille aufsteigt" und "von der heiligen Erotik" zu schwärmen beginnt. "Wahrscheinlich aber, dass aus dieser Generation der Nachwuchs für die Historische Anthropologie der Sexualität aufsteigt und in die Archive ausschwärmt, wo die erregten Körper in den Papieren schlummern." Ansonsten, so erfährt man, berichtet der Band unter anderem davon, wie vor sechshundertfünfzig Jahren die Idee entstand, dass unmäßige Liebe den Menschen kraftlos mache, wie die Homosexuellen um 1900 bürgerliche Zurückhaltung heuchelten, wie Frauen im achtzehnten Jahrhundert darüber klagten, dass ihre Männer zu selten den ehelichen Pflichten nachkämen, und wie heute der Gegensatz "homosexuell/heterosexuell" befestigt wird.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 04.05.2004

Sexualität selbst habe Geschichte, außerdem eigne sich die Geschichte der Sexualität zu mehr als zu einer Sittengeschichte, behauptet Jürgen Martschukat: Sexualität sei in Machtgeflechte und gesellschaftliche Ordnungen eingebunden, die selbst durch und durch historisch seien. Insofern sei die Frage obsolet geworden, schlussfolgert Martschukat, ob Sexualität sozial konstruiert oder "essenziell" sei. Sexualität könne außerhalb von Geschichte gar nicht existieren. Diese These stellt er seiner Besprechung des von Claudia Bruns und Tilmann Walter betreuten Sammelbandes "Von Lust und Schmerz" voraus; elf Beiträge soll der Band enthalten, die sich überwiegend mit Konzeptionen oder Wahrnehmung von Sexualität im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert befassen. Nach Definitionen des Normalen und des Abnormen werde gefragt, berichtet Martschukat, um "historische Rationalitäten" aufzuspüren; nach Gesundheitslehren, Haushaltsanleitungen und Justizverfahren, die (homo- und andere) sexuelle Handlungen ahndeten; nach der Figur des arischen heterosexuellen Mannes, der als Gegenfigur in sexualwissenschaftlichen Texten den "abartigen Juden" zur Folge hatte. Der spannendste Text stamme von Gunter Schmidt, so Martschukat, der Jugendmagazine analysiert habe und dem Ideal von Schönheit und Konsumierbarkeit von den 20er Jahren bis heute gefolgt sei. Demnach hat der Jugendwahn schon früh eingesetzt.

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