Bernhard Waldenfels

Bruchlinien der Erfahrung

Phänomenologie, Psychoanalyse, Phänomenotechnik
Cover: Bruchlinien der Erfahrung
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2002
ISBN 9783518291900
Kartoniert, 478 Seiten, 16,00 EUR

Klappentext

Es handelt sich um den Entwurf einer Phänomenologie der gebrochenen Erfahrung, die auf uneinholbare Widerfährnisse zurückgeht. In der Fremdheit bricht die Erfahrung auf im Zuge einer Spaltung und Verdoppelung des leiblichen Selbst, einer Über- und Unterschreitung von Ordnungsgrenzen. Herausgefordert wird diese Phänomenologie durch Psychoanalyse und Technologie. Doch das Unbewußte als Sinn- und Selbstentzug sowie die Eingriffe einer Phänomenotechnik erzeugen produktive Reibungsflächen. Der Doppelsinn von Erfahrungen, die wir machen, droht freilich zu schwinden, wenn die Technik sich autopoietisch gegen die Brechungen der Erfahrung abschirmt und Pathos in Poiesis aufgeht.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 06.11.2002

Die Bruchlinien, die Waldenfels' jüngstem Buch den Titel geben, sind nicht etwa Stellen, erklärt Manfred Sommer die Terminologie des Philosophen, an denen sich ein Ganzes entzweit, auseinanderbricht, sondern sogenannte Zwischen-Orte, an denen so etwas wie Verknüpfung überhaupt erst entsteht. Sommer stellt uns Waldenfels als deutschen Philosophen in der Tradition der Phänomenologen vor, der sich seit längerem um eine "besonnene" Rezeption der französischen Philosophie bemüht. Waldenfels führe vor, wie unsinnig es sei, die phänomenologische Beschreibung der Dinge gegen die hermeneutische Methode, das Interpretieren von Texten auszuspielen, schwärmt der Rezensent. Waldenfels lehre uns, Neues zu sehen und Altes neu zu entdecken. Selbst vor aktuellen Kontroversen scheut Waldenfels nicht zurück, der im letzten Kapitel das "leiblich-pathische Feld" bestellt, das sonst die Biotechnik und Bioethik beackern. Auch dabei gerieten feste Frontlinien in Bewegung, freut sich Sommer.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 31.10.2002

Eine nicht ganz leicht zu lesende Besprechung von Andreas Cremonini, die einiges an Kenntnis zum Diskussionszusammenhang von Phänomenologie und Psychoanalyse - oder ein sehr genaues Lesen - verlangt: wahrscheinlich ein angemessener Einstieg für das Buch selbst. Gleich zu Anfang lobt Cremonini, dass sich Bernhard Waldenfels mit "'frankfurterisch funkelnder Apodiktik" einen "gedanklichen Fluchtpunkt" schafft, der im Titel eigentlich schon ausgesprochen ist. Der Rezensent zitiert: "Erfahrung, die sich ihrer Brüchigkeit zu entledigen trachtet, verleugnet sich selbst." Einfühlsam zeichnet Cremonini die Wege nach, die der Autor mit seinem Instrument eines "leibhaften Zwischen" durch das Dickicht der Erfahrung und der Wissenschaften von ihr schlägt. Immer wieder besteht er, so Cremonini, auf einer nicht auflösbaren Spannung, einer Kluft, zwischen "Pathos" und "Response". Die Welt, an der sich das Selbst in dieser Spannung erfährt, ist zudem eine der "Technik", das heißt eine höchst Vermittelte und Vermittelnde, die allzu oft Kritikern zum Buhmann gerät. Cremonini hebt hervor, dass und wie Waldenfeld sich in einem "von esoterischem Expertentum, finanziellen Interessen und politischer Nervosität zerklüfteten Terrain" mit Präzision und Eleganz bewegt. Nicht einverstanden ist er, dass Waldenfels sich "ausschließlich Freud als psychoanalytischen Gesprächspartner" zuwendet und auf Lacan verzichten will, obwohl der Autor in seinen Ausführungen um die Lacanschen Kategorien von "Ich, Anderer, Subjektivität und Intersubjektivität" eben doch nicht herumkomme. Aber Cremonini findet das letztlich nicht ausschlaggebend. Am Schluss urteilt er, dass der "substanzielle Beitrag" dieser "bemerkenswerten Studie", in ihrer "ethischen Ausrichtung" besteht.