Axel Doßmann, Susanne Regener

Fabrikation eines Verbrechers

Der Kriminalfall Bruno Lüdke als Mediengeschichte
Cover: Fabrikation eines Verbrechers
Spector Books, Leipzig 2018
ISBN 9783959050340
Gebunden, 250 Seiten, 38,00 EUR

Klappentext

Bruno Lüdke wurde - fälschlich - als der 'größte Massenmörder in der Kriminalgeschichte' bezeichnet. Der im Nationalsozialismus geheim gehaltene Fall bot seit den 1950er Jahren Stoff für Enthüllungsgeschichten und filmische Fiktionen. Die Akteure beriefen sich auf die Wahrheit der Archivakten: medizinische Gutachten, Protokolle der Polizei, Fotografien, Körperabformungen und Lüdkes Sterbeurkunde. Dieses Buch entwirft zu den wissenschaftlichen und populären Imaginationen vom Bösen eine Medien- und Wissensgeschichte vom 19. Jahrhundert bis in unsere Gegenwart. Analysiert werden stereotype und rassistische Menschenbilder, Visualisierungen des Verbrechers als Typus, Wahrheits- und Trophäenproduktionen und die vergangenheitspolitischen Dimensionen von Medienpraxis.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 31.10.2018

Rezensent Ronald Düker staunt: Postfaktisch und Fake News gab's schon vor dem Internet, Vermessung einer Person auch, inklusive Erhebung der intimsten Daten. Gelesen hat er das in einem aufschlussreichen Band über Bruno Lüdke, einen offenbar etwas zurückgebliebenen Gelegenheitsarbeiter, der einige kleinere Diebstähle begangen hatte, bevor ihn sich 1943 der Kriminalkommissar Heinrich Franz schnappte und ihn zum Geständnis von 53 bislang unaufgeklärten Morden überredete. Die Verhörmethoden waren so obskur, dass der Fall gar nicht erst vor Gericht kam, erzählt Düker. Stattdessen wurde Lüdke auf Anweisung Himmlers ins Kriminalmedizinische Zentralinstitut Wien eingewiesen, wo er vermessen wurde und schließlich für Experimente herhalten musste, an denen er vermutlich qualvoll starb. Noch mehr als diese Geschichte - davon gab's viele, meint Düker etwas kaltschnäuzig - empört den Rezensenten, dass Lüdke noch 1950 vom Spiegel als Massenmörder verleumdet wurde, um den Ruf der deutschen Kriminalpolizei zu retten. In Filmen, Zeitungsartikeln und sogar noch in der Wikipedia wurde Lüdke immer wieder als Mörder hingestellt. Ein Medienskandal, ruft der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 26.07.2018

Bruno Lüdke war kein Mörder - das weiß man heute und das wusste man wahrscheinlich auch damals in den 40ern, als dem Köpenicker Tagelöhner 84 ungeklärte Morde angehängt wurden und genauso etwas später in den 50ern, als man diejenigen, die im Fall Lüdke ermittelt hatten, als "politisch unabhängiges Spitzenpersonal" darstellen wollte. Axel Doßmann und Susanne Regener haben sich des Falls Lüdke angenommen um zu untersuchen, wie die Rassenpolitik der Nazis bis heute die Mediendarstellung des Kriminalfalls Bruno Lüdke und generell rassistische und stigmatisierende Beschreibungen tatsächlicher und angeblicher Straftäter formte, erklärt Rezensentin Claudia Lenssen. Sie ist sichtlich aufgebracht, dass Lüdke auch nach der Nazizeit noch derart von Medien verunglimpft wurde, ungeachtet der Tatsache, dass der Mann nie vor Gericht stand und vermutlich bei medizinischen Versuchen 1944 in Wien ermordet wurde.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 11.05.2018

Franziska Schubert erfährt die Wahrheit über das fürchterliche Schickal des fälschlicherweise als geisteskranker Massenmörder verurteilten Bruno Lüdke in Axel Doßmanns und Susanne Regeners Buch. Die Arbeit der beiden Wissenschaftler mit mannigfachen Quellen (Zeitungsartikel, Fotos, Verhörprotokolle, Geheimdokumente) ermöglicht es der Rezensentin, sich ein eigenes Bild von dem Fall zu machen. Wie die Vorstellung vom Bösen im Nationalsozialismus (und weiterhin) konstruiert wird, darüber gibt der Band Aufschluss, meint Schubert.