Geh nicht so schnell in diese dunkle NachtRoman
Luchterhand Literaturverlag, München
2001
ISBN
9783630870915, Gebunden, 608Seiten, 25,46
EUR
Klappentext
Aus dem Portugiesischen von Maralde Meyer-Minnemann. In Antonio Lobo Antunes' neuem Roman spricht eine junge Frau, Maria Clara, über ihre Gefühle, während ihr Vater - vielleicht - im Sterben liegt. Sie, die sich in ihrer Familie fremd fühlt, steigt heimlich auf den Dachboden der großbürgerlichen elterlichen Villa, kramt in alten Truhen und erfindet anhand der dort entdeckten Andenken eine ganz neue Familiengeschichte.
Rezensionsnotiz zu
Die Zeit, 21.03.2002
Dieses Buch ist beileibe kein Vergnügen, beschwert sich Martin Lüdke über diesen Roman. Antunes sei absolut rücksichtslos gegen den Leser: 600 Seiten innerer Monolog, der sich auch noch vielstimmig auffächere! Aber Lüdke zieht den Hut: "Das ist Weltliteratur!". Der gelernte Psychiater Antunes erzähle eine unglückliche Familiengeschichte, die das gesamte portugiesische Drama und Trauma widerspiegele. Antunes ist damit nicht nur eine comedie humaine gelungen, meint Lüdke, sondern auch eine Chronik des portugiesischen Bewusstseins. Einen Rat hat der Kritiker noch parat für den Leser: Man solle den Roman unbedingt, aber in einem Stück durchzulesen. Denn "wenn man nicht 'dran' bleibt, muss man immer wieder von vorn anfangen".
Rezensionsnotiz zu
Neue Zürcher Zeitung, 09.01.2002
Kaum jemand hat so traurige, düstere, pessimistische Figuren entworfen wie der portugiesische Schriftsteller Antonio Lobo Antunes, schreibt Katharina Döbler, und man weiß nicht so recht, ob sie nun eher schwärmt oder stöhnt. Von einem "Gefängnis von Buch", ist bei ihr die Rede, sprachgewaltig, aber sehr hermetisch; es beschert den Lesern ein reiches Innenleben, aber jedes Wort gerät zur Chiffre, analysiert sie Antunes' Stil: "alles Erzählen ist auf diese Bedeutungen reduziert" und "beschreibt gleichzeitig ihre Entstehung". Konsequenterweise setzt sich dieser Roman aus einem inneren Monolog zusammen, den die eher ungeliebte Tochter einer einst wichtigen Familie am Krankenbett ihres Vaters hält, wo sie sich eine Biografie dieses ihr eigentlich unbekannt gebliebenen Mannes zusammenphantasiert. Erinnerungsfetzen, Träume, Ängste - keiner hat die Technik des inneren Monologes so perfektioniert, fasst Döbler zusammen, und die Sprache in solche Höhen getrieben. Aber, so schreibt sie auch, "die Luft wird dünn".
Rezensionsnotiz zu
Frankfurter Rundschau, 27.11.2001
Navid Kermani bemüht eine Vielzahl von Vergleichen, um diesem Roman gerecht zu werden: Der "Koran", ein "Bund Schnittlauch", die "Partitur eines vokalen Konzerts" und eine "akustische Collage" fallen ihm ein, um die stilistisch-formalen Eigenarten des Buches zu beschreiben. Er ist zunächst sehr einverstanden damit, dass dieses Buch "anstrengend" zu lesen ist und es mitunter Mühe macht, herauszufinden, wer in dieser Familiensaga was sagt. Doch im Lauf der Geschichte mehren sich beim Rezensenten die Zweifel, ob diese Mühe wirklich lohnt, denn er gewinnt verstärkt den Eindruck, dass der Autor so schrecklich viel nicht zu erzählen hat. Und so scheint ihm, die schwierige Erzählweise gerinne zur "Attitüde" und die Form verspreche mehr als der Inhalt letztlich hergebe. Denn Kermani findet, dass die Figuren viel zu leblos bleiben um "ins Herz zu treffen" und trotz der "handwerklichen" Meisterschaft dieses Romans einfach "zu wenig da ist", das den Aufwand lohnen würde.
Rezensionsnotiz zu
Süddeutsche Zeitung, 17.10.2001
Verena Auffermann strahlt! Nach einigen routiniert wirkenden Büchern hat der von ihr hochgeschätzte Autor wieder ein großartiges Buch geschrieben. Schreiben tut er überhaupt viel, meint Auffermann, ein fast manischer Schreiber, der seine vorzügliche Übersetzerin auf Trab halte. Dem Vielschreiber würde häufig vorgeworfen, immer das gleiche zu schreiben, erörtert die Rezensentin und scheut nicht den Vergleich: wie Proust, Brodkey oder Gaddis. Antunes' Bücher kreisten immer um zwei Themen, behauptet Auffermann: Krieg und Familie. Der neue Roman liest sich für sie wie eine klassische Fallgeschichte à la Sigmund Freud. Eine Familie bricht anlässlich des sterbenden Vaters auseinander, die Tochter spürt ihrer Geschichte nach und treibt in den Wahn. Antunes betreibt den Zerfall bildhaft genommen, setze diese Bilder aber anschließend wieder zusammen, beschreibt Auffermann sein Verfahren. Sehr eindrucksvoll, aber wenig versöhnlich.