Olga Martynova

Sogar Papageien überleben uns

Roman
Cover: Sogar Papageien überleben uns
Droschl Verlag, Graz 2010
ISBN 9783854207658
Gebunden, 208 Seiten, 19,00 EUR

Klappentext

Marina stammt aus Petersburg und ist zu Besuch in Deutschland, wo sie bei einem Kongress über Daniil Charms und seinen Freundeskreis spricht. Außerdem ist da ein Mann, der in Leningrad Russisch studierte und mit dem sie damals, vor 20 Jahren, eine Liebesgeschichte lebte. Die Vergangenheit ist nicht vergangen und das gilt nicht nur für diese private Geschichte: "Ich habe Angst vor den Geheimnissen der Zeit." Ein ganzes Jahrhundert (und manchmal auch mehr als das) passiert in den Assoziationen Marinas Revue, und nirgendwo sonst ist dieses letzte Jahrhundert vielfältiger, durch gewaltige Brüche im Sozialsystem fragmentierter gewesen als in Russland: vom Zarenreich über die Revolution, die Sowjetunion, die Weltkriege, die Belagerung Leningrads durch die Deutschen, die Perestrojka.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 08.07.2010

Als "Blog zwischen zwei Buchdeckel" charakterisiert beeindruckt Christoph Keller diesen ersten, auf Deutsch verfassten Roman der in Frankfurt am Main lebenden russischen Lyrikerin. Die achtzig kurzen Texte dieses Prosadebüts wirkten dabei wie "poetische Schrapnelle" auf ihn, "abgefeuert, um sich im Hirn festzukrallen". Alles dreht sich um eine Petersburger Slawistin, lesen wir, die in Berlin an einem Kongress teilnimmt, der dem Petersburger Autor und Dadaisten Daniil Charms gewidmet ist. Dort beginne sie, über alles Mögliche zu räsonieren. Die assoziative Textform mit all ihren "mentalen Links" erinnert den Kritiker an die Struktur des Internets, mit dem der Text allerdings nicht das Geringste zu tun habe. Manchmal verliert er sich ein bisschen in der Struktur, manchmal auch in der Poesie dieses Buch, dem aus Kellers Sicht trotzdem Großes gelingt: nämlich nichts weniger als das russisch-sowjetische 20. Jahrhundert zu verhandeln und dessen "osmotisches Durchdringen der Gegenwart".

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.06.2010

Wer angesichts des an Joseph Roth angelehnten Titels Sorge hat, es mit einem ganz auf endzeitliche Reflexionen konzentrierten Roman zu tun zu bekommen, den kann Jörg Plath beruhigen. Die in Sibirien geborene und mittlerweile in Frankfurt am Main lebende Autorin Olga Martynova erzählt von einem deutsch-russischen Paar, das sich 1986/87 in Leningrad kennen lernt und das 20 Jahre später nach der zeitgeschichtlich erzwungenen Trennung und anderweitigen Ehen über eine Heirat nachdenkt, fasst der Rezensent zusammen. Schlechterdings großartig findet es der Rezensent, wie frei und souverän sich die Autorin durch Raum und Zeit bewegt und mal durch die "Leningrader Intellektuellenboheme", mal zu toten Dichtern und Literaten wie Joseph Brodsky oder Daniil Charms oder gar ins 5. vorchristliche Jahrhundert mäandert. Martynovas Roman kann man an jeder beliebigen Stelle aufschlagen und zu lesen beginnen wie einen Gedichtband, versichert der begeisterte Plath, der an dieser Stelle darauf hinweist, dass die Autorin tatsächlich auch als Lyrikerin hervorgetreten ist. Nebenbei würden anstrengungslos Themen der Moderne eingeflochten, und so ist für Plath dieser Roman ein wunderbar "schwebendes Buch", in dem die "Zeit zum (Erzähl-)Raum" wird, wie er schwärmt.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 19.02.2010

Welch großen Einfluss die Vergangenheit auf die Gegenwart hat und dass wir diese auch nur aus vergangenen Ereignissen heraus verstehen können, sieht Ulrich Rüdenauer als Hauptaussage des Romandebüts "Sogar Papageien überleben uns" von Olga Martynova. In kleinen Episoden, die ständig zwischen verschiedenen Personen und Zeitebenen hin und her wechseln, erzählt die Autorin die Geschichte der russischen Literaturstudentin Marina, wie der Rezensent berichtet. "Schwerelos und gleichwohl mit einer erdenden Melancholie" gelingt es laut Rüdenauer der Autorin, sowohl das Schicksal des Schriftstellers Daniil Charms, der in den vierziger Jahren verhaftet und ermordet wurde, als auch die Geschichte von Marinas Großeltern einzuarbeiten. Für den Rezensenten ist das Buch eine "poetische Reflexion über die nicht vergehende Zeit".