Lukas Bärfuss

Hundert Tage

Roman
Cover: Hundert Tage
Wallstein Verlag, Göttingen 2008
ISBN 9783835302716
Gebunden, 197 Seiten, 19,90 EUR

Klappentext

Die Geschichte eines moralischen Irrtums, der in Ruanda eines der größten Verbrechen des Jahrhunderts ermöglichte. Der Roman zweier Menschen, die im Chaos ihrer Zeit um ihre Unschuld kämpfen. Ruanda, April 1994, in Kigali wütet der Mob. David, Mitarbeiter der Schweizer Entwicklungshilfe, hat das Flugzeug, mit dem die letzten Ausländer evakuiert wurden, abfliegen lassen. Er versteckt sich hundert Tage in seinem Haus, vom Gärtner mit Nahrung versorgt und mit Informationen über Agathe, Tochter eines Ministerialbeamten, die der Grund für sein Bleiben ist. Die vergangenen vier Jahre ihrer Liebe ziehen ihm durch den Kopf, die Zeit, die er als Entwicklungshelfer in Kigali verbrachte. Millionen wurden in ein totalitäres Regime gepumpt, das schließlich, als es die Macht an eine Rebellenarmee zu verlieren drohte, einen Genozid organisierte. Auch David wurde zum Komplizen der Schlächter, und als die Aufständischen Kigali einnehmen, flieht er mit den Völkermördern über die Grenze. Dort findet er in einem Flüchtlingslager Agathe wieder, aber es ist nicht die Frau, die er einmal liebte.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.04.2008

Der Völkermord in Ruanda ist Gegenstand des ersten Romans von Lukas Bärfuss, den Rezensent Helmut Böttiger überschwänglich lobt. Was das Kino schon mehrfach versuchte, nämlich Bilder zu finden, eine Sprache für die Realität dieses Krieges, ist Bärfuss jedoch nicht durchgängig gelungen: zu konstruiert die Geschichte, zu transparent der Einbau von Symbolen und dramatischen Mitteln, zu wenig "Eigenleben" der Sprache. Jenseits stilistischer Schwächen schätzt Böttiger vor allem die "kluge, differenzierte Darstellung des Versagens europäischer Politik" in dem Roman, dem ein letztes Lektorat vor der Drucklegung vielleicht die formalen Mängel genommen hätte, wie der Rezensent vorsichtig anmerkt.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.04.2008

Viel Recherche ist in dieses Buch eingegangen. Lukas Bärfuss, bisher vor allem als Dramatiker hervorgetreten, erzählt in seinem ersten Roman vom ruandischen Völkermord der Hutus an den Tutsi. Er schickt dafür den Schweizer Entwicklungshelfer David in die Region, lässt ihn sich in die Hutu Agathe verlieben, die sich später als rasende Mörderin erweist. Und er lässt diesen David nicht begreifen, was er erlebt, er lässt ihn, was das Unmenschlichste ist, bis zuletzt Schweizer bleiben, der auf Formalien besteht, während sich um ihn herum alles in Massakern auflöst. Darum ist das, so der Rezensent Tobias Rüther, ein "Roman über die Schweiz", jedenfalls über den Westen, der im Angesicht dieses Völkermords versagt hat. Manches findet Rüther zwar überdeutlich - er lässt aber keinen Zweifel daran, dass er dies für ein wichtiges, ein richtiges und auch ein sehr lesenswertes Buch hält.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 12.04.2008

Beeindruckt zeigt sich Rezensent Roman Bucheli von Lukas Bärfuss' Roman um einen Schweizer Entwicklungshelfer, der vier Jahre in Ruanda verbringt, eine komplizierte Beziehung mit einer Afrikanerin eingeht und schuldig wird, als der Bürgerkrieg einsetzt. Auch über den glänzenden Anfang hinaus hat das Buch auf ihn eine regelerechte Sogwirkung ausgeübt. Das liegt in seinen Augen zum einen an der unvermittelten, klaren Sprache von Bärfuss, zum anderen an der Geschichte, die das politische Weltgeschehen spiegelt und zugleich an den "existenziellen Kern" rührt, indem sie die unlösbaren Widersprüche des Lebens auf den Punkt bringt. Bucheli unterstreicht, dass die kritische Auseinandersetzung mit den Fehlern der Schweizer Entwicklungshilfe nicht als ein Plädoyer gegen die Entwicklungshilfe zu verstehen ist. Das eigentliche Thema, das Bärfuss in diesem "klug-aufwühlendem" Roman behandelt, ist seines Erachtens ohnehin ein anderes: "Wer im Leben steht, steht auch schon in der Schuld."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 05.04.2008

Wichtig und interessant, aber nicht auf der ganzen Linie gelungen findet Rezensent Heribert Kuhn den ersten Roman des Schweizer Dramatikers Lukas Bärfuss. Es geht Kuhn zufolge um die Schuldanteile der Schweiz am Völkermord in Ruanda in den neunziger Jahren, und Bärfuss lege es darauf an, sein Land, das sich so gut in seiner "splendid isolation" gefalle, "in die Geschichte zu zwingen". Dies gelinge ihm auch mit seiner Geschichte des Schweizers David Hohl, den ein humanitärer Einsatz nach Afrika führt, von wo er seelisch krank und zutiefst in Schuld verstrickt zurückkehrt. Doch hat der Rezensent gewichtige Einwände. Erstens fragt er, warum der Autor die Form des Romans, also der Fiktion gewählt hat, um diese heikle Thematik zu verhandeln. Aber auch inhaltlich übt er bei allem Respekt deutliche Kritik. Besonders die Zentrierung des Plots um die Liebesaffäre des Protagonisten mit einer ruandischen Frau wirft bei dem Rezensenten Fragen auf. Es stört ihn, dass Bärfuss versucht, "Affinitäten zwischen dem sexuellen Begehren seiner Hauptperson und der Erfahrung von Gewalt herzustellen". Das findet Kuhn theoretisch zwar mutig, praktisch jedoch misslungen und mitunter gar die Grenze des Geschmacklosen streifend. Und statt sie zu erhellen, gefährden diese für den Geschmack des Rezensenten gelegentlich auch klischeehaften Darstellungen von Sexualität die Einsichten, die Bärfuss aus seinen Betrachtungen der Katastrophe zu gewinnen suche.

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 13.03.2008

Kenntnisreich, akribisch recherchiert und politisch positioniert schildert der bislang nur als Theaterautor hervorgetretene Schweizer Lukas Bärfuss in seinem ersten Roman "Hundert Tage" den ruandischen Genozid, lobt Jörg Magenau. Dies gelinge ihm, da er nicht in der großen Aufsicht, sondern aus der beschränkten Perspektive des jungen Entwicklungshelfers David Hohl erzähle. Hohl, der sich in eine Einheimische verliebt hat, bleibt im Land und versteckt sich, als die Gewalt losbricht. Dabei muss er mit ansehen, wie er in die Verbrechen hineingezogen wird, etwa wenn er von einem Mörder versteckt wird, oder wenn er miterlebt, wie die Werke der Entwicklungshilfe nun den Mördern zum Morden dienen. Die Fülle der Fakten und Hintergründe, die Bärfuss mit wissenschaftlichem Eifer zusammengetragen hat, drohen den Roman bisweilen zu erdrücken, gibt Magenau zu bedenken. Dennoch gelingt dem Autor, die handelnden Personen im Vordergrund zu halten und dem Leser nachvollziehbar zu machen, wie sie sich in den Genozid verstricken, lobt der Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 13.03.2008

Dies sei ein lesenswerter Unterhaltungsroman, "ein Reißer, eine tollkühne Mischung aus Krieg und Sex", schreibt Rezensentin Verena Auffermann über Lucas Bärfuss' ersten Roman, dem ihren Informationen zufolge der Völkermord in Ruanda des Jahres 1994 zugrunde liegt. Der Ich-Erzähler, ein junger Entwiclungshelfer, habe die hundert Tage des Mordens in seinem Haus versteckt überlebt, und erzähle nun, in die Schweiz zurückgekehrt, einem Freund von diesen Erlebnissen, während draußen der Schnee falle. Er erzählt schnörkellos und geradeaus, auch von seiner schwarzen Geliebten Agathe, die "liebte wie sie aß" und deren Liebesszenen Bärfuss mit der "Lust eines Chirurgen am kalten Schnitt" beschreibe. So kommt aus Sicht der Rezensentin ein bildstark "fruchtbares Stück Zeitgeschichte" zustande. Leider weist Bärfuss manchmal eine Spur zu demonstrativ auf Schweizer und afrikanische Missstände hin, weshalb sein Roman für den Geschmack der Rezensentin immer wieder bedrohlich nah an die "Grenzen des Gütesiegels 'Pädagogisch wertvoll' gerät - ein Gütesiegel, das sie eindeutig nicht als literarisches versteht.