Valerie Fritsch

Herzklappen von Johnson & Johnson

Roman
Cover: Herzklappen von Johnson & Johnson
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020
ISBN 9783518429174
Gebunden, 174 Seiten, 22,00 EUR

Klappentext

Alma und Friedrich bekommen ein Kind, das keinen Schmerz empfinden kann. In ständiger Sorge um ihren Jungen, ist es vor allem Alma, die ihn unaufhörlich auf körperliche Unversehrtheit kontrolliert. Jeden Abend tastet sie das Kind ab, um keine Blessur zu übersehen. Und nichts fürchtet die junge Mutter mehr als die unsichtbare Verletzung eines Organs, die ohne ein Zeichen bleibt. Halt findet Alma bei ihrer Großmutter, die jetzt, hochbetagt und bettlägerig und nach lebenslangem Schweigen, zu erzählen beginnt: vom Aufwachsen im Krieg, von Flucht, Hunger und der Kriegsgefangenschaft des Großvaters. Mit dem Kind auf dem Schoß, das keinen Schmerz kennt, sitzt Alma am Bett der Schwerkranken, die sich nichts mehr wünscht, als ihren Schmerz zu überwinden. Und in den Geschichten der Großmutter findet sie eine Erklärung für jene scheinbar grundlosen Gefühle der Schuld, der Ohnmacht und der Verlorenheit, die sie ihr Leben lang begleiten. Wie wird ein Kind zum Menschen, zu einem mitfühlenden sozialen Wesen, wenn es die Verwundbarkeit nicht kennt? Wenn es nicht versteht, wie sehr etwas wehtun kann?

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 03.08.2020

In einer Doppelrezension bespricht Marie Schmidt zwei Romane, die sich mit dem Nichtvergehen eines Leids beschäftigen, das aus der Nachkriegszeit rührt. Schmidt gefällt, wie Valerie Fritsch das Statische, beinahe Fühllose der älteren Generation, die den Krieg erlebt und gemacht hat, in Sprache gießt. Auf verhaltene Weise ist die Kritikerin überzeugt von den Metaphern des Romans - zum einen in dem tatsächlich gefühllosen Urenkel, der das tiefe Hineinragen der Verdrängung in die Generationenfolge abbilde. Zum anderen ist für die Rezensentin auch die Reise der Enkelin-Familie nach Sibirien, Ort der Kriegsgefangenschaft des Großvaters, als "elegischer" Abschluss eine kräftige Aussage.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 16.07.2020

Rezensentin Juliane Liebert schwärmt von Valerie Fritschs Sprachbegabung. Die Geschichte von Alma, die einen schmerzunempfindlichen Sohn zu behüten hat, erzählt ihr die Autorin mit viel Gefühl für Rhythmus und Klang, ohne wörtliche Rede, mit elegischem Ton und symbolträchtigen Bildern. Die daraus resultierende atmosphärische Dichte wirkt auf Liebert allerdings mitunter wie ein zu schweres Parfum. Das sprachlich raffiniert transportierte "kindliche Staunen" der Figuren ist für Liebert der "Glutkern" des Romans. Dass dieses Zentrum manchmal unter dem literarischen Gestus der Sprache zu verkümmern droht, ist eine Gefahr, der der Text nicht immer entgeht, so die Rezensentin, die alles in allem dennoch sehr beeindruckt von dem Buch scheint.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk Kultur, 29.05.2020

Rezensentin Ursula März begrüßt die Kürze und Konzentration von Valerie Fritschs Familienroman. Wie die Autorin in ihrem Buch von den innerhalb einer Familie weitergegebenen Kriegstraumata und Schuldkomplexen erzählt, findet März überzeugend. Souverän und raffiniert, meint März, bringt Fritsch in verdichteten starken Bildern statt in "erschöpfenden Charakterdarstellungen" und in epischer Breite auf den Punkt, inwieweit sich die verstörende Erkrankung eines Jungen auf die Taten des Urgroßvaters beziehen. Literarisch intensiv und sprachlich präzise, urteilt März.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 23.04.2020

Auch wenn der Roman von Valerie Fritsch für Rezensentin Miryam Schellbach "kein heilsames Buch" ist, schätzt sie die Erfahrung dieser Lektüre. Das liegt an Fritschs seltsamem Personal, zu der ein kriegstraumatisierter Großvater, eine vom Schweigen geprägte Mutter und ein schmerzunempfindliches Kind gehören, aber auch am Stil der Autorin, der Schellbach angenehm an den frühen Handke erinnert. Unterlaufen wird die Vorstellung von einem klassischen Familienroman für Schellbach durch das Thema Schmerz, das die Autorin laut Rezensentin äußerst sinnlich verhandelt, einerseits, durch den mäandernden Gang der Geschichte, der ein eindeutiges Thema vermeidet, und die leise "begriffliche Vagheit" andererseits.
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Rezensionsnotiz zu Die Welt, 29.02.2020

Rezensent Peter Praschl liest den dritten Roman von Valerie Fritsch mit Begeisterung. Die Familiengeschichte über generationsübergreifende Kriegstraumata, Schmerz und Verdrängung, die Fritsch erzählt, findet er berührend. Die Klarheit, Lakonie und Metaphorik der Sprache im Buch wirken auf ihn invasiv, fast körperlich und wie das Gegenteil des beschriebenen Verschweigens. Praschl lässt die Geschichte lange nicht los. Zum Glück, meint er.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 22.02.2020

Valerie Fritschs neuester Roman erzählt dem Rezensenten Paul Jandl zufolge vom Schmerz, der seit Generationen über der Familie des kleinen Emil liegt. Das Kind selbst kann keinen körperlichen Schmerz empfinden, weshalb seine Eltern gezwungen sind, sich mit der Natur des Schmerzes auseinanderzusetzen und sich letztlich auf eine Reise nach Kasachstan begeben, wo der familiäre Schmerz mit dem Großvater im Krieg seinen Ursprung nahm, so Jandl. Der begeisterte Kritiker bescheinigt der Autorin "Sätze und Wörter wie Mikroskope", die die Miniaturen zu den Familienmitgliedern, aus denen der Roman sich zusammensetzt, auf Genaueste sezieren - keine Wohlfühlliteratur, aber eine große Geschichte über das Elementare, lobt der faszinierte Rezensent.

Rezensionsnotiz zu Deutschlandfunk, 20.02.2020

Rezensentin Miriam Zeh bewundert Valerie Fritsch für ihre Fähigkeit, Illusionen zu schaffen. Surreal, trügerisch und mit atmosphärischer Dichte nimmt sie Fritschs zweiter Roman gefangen, erzählt von einem brüchigen Familienzusammenhang und wie Kriegs- und andere Traumata sich den Körpern einprägen. Dass die Autorin keinen ethnografischen Ansatz wählt, sondern Sprache und Wirklichkeit bewusst an ihre Grenzen führt, scheint Zeh bemerkenswert. Für die Rezensentin ein wundersamer, ganz feiner Roman.