Peter Nadas

Aufleuchtende Details

Memoiren eines Erzählers
Cover: Aufleuchtende Details
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2017
ISBN 9783498046972
Gebunden, 1280 Seiten, 39,95 EUR

Klappentext

Aus dem Ungarischen von Christa Viragh. Péter Nádas gehört zu den großen Autoren unserer Zeit. Nunmehr ergänzt er sein Romanwerk durch seine Lebenserinnerungen, ein ebenso persönliches wie zeitgeschichtliches Dokument. Während Nádas' Mutter am 14. Oktober 1942 in Budapest mit der Straßenbahn zur Entbindung fährt, liquidiert ein Einsatzkommando das Getto in Mizocz, Anne Frank zeichnet das Gewicht jedes Familienmitglieds auf, Jan Karski übermittelt in den Pyrenäen der polnischen Exilregierung Nachrichten des Widerstands, und Viktor Klemperer erhält in Dresden kein Brot. Jedes Ereignis, so Nádas, wirkt auf alle anderen Ereignisse ein - ob in der Politik oder der privaten Lebensgeschichte. Es sind jene Momente, die Geschichte fassbar machen und Erinnerung konstituieren - eben die "aufleuchtenden Details". Deren weitgespannten Verflechtungen folgen Péter Nádas' Memoiren nicht chronologisch, sondern assoziativ, wie in seinen großen Romanen. Und durch jede einzelne Episode zieht sich die geheime Frage: Wie bin ich zu dem geworden, der ich bin, wenn jede persönliche Erinnerung, jede Prägung, untrennbar mit Geschichte verstrickt ist?

Rezensionsnotiz zu Die Tageszeitung, 15.11.2017

Neben Musil und Proust möchte Tobias Schwartz Péter Nádas einreihen als monumental arbeitenden Chronisten des 20. Jahrhunderts. Kindheitserinnerungen versteht Schwartz als Understatement, wenn der Autor zwar über den Großvater und den Krebstod der Mutter schreibt, aber eben auch die antisowjetische Revolution oder das kommunistische Regime in Ungarn ausschweifend in den Blick nimmt. Moderne Erzählkunst ist das für den Rezensenten, achronologisch, assoziativ und getragen von ungeheurem Detailreichtum und Materialkenntnis. Der Ton eher Moll, die Stimmung düster, meint Schwartz.

Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 17.10.2017

Andreas Breitenstein beißt sich an diesem Wälzer von Peter Nadas fast die Zähne aus. Monumental erscheint ihm das Buch in mehrfacher Hinsicht, als enzyklopädisches Panorama der Irrtümer und Schrecken des 20. Jahrhunderts, als Kinderseelenwerk, Dokumentation des Lebens selbst, vielstimmiger Erinnerungs- und Echoraum, kluger Essay über das Herkommen, Familiensaga, Abrechnung mit dem Kommunismus. Wie der Autor Motive und Gedanken, Orte und Figuren in diesem Erzählstrom bindet, sprengt für Breitenstein den Begriff der Autobiografie wie Musils Großwerk den Begriff des realistischen Romans gesprengt hat. Ergriffen und erschüttert geht der Rezensent aus dieser Lektüre hervor.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.10.2017

Rezensent Tilman Spreckelsen taucht mit Peter Nadas' Memoiren tief ein in die Erinnerungen, die privaten und die historischen. "Urszenen", meist Katastrophen, Kriegserlebnisse, tauchen gleich mehrfach auf, meint Spreckelsen, werden von verschiedenen Seiten, aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet und mit Erfahrung angereichert. Dass dergleichen nie verschwindet, ist laut Rezensent ein deprimierender Befund des Textes. Der von Nadas memorierend abgedeckte Kern-Zeitraum zwischen 1944 und 1956 birgt viele Erinnerungen dieser Art. Zugleich greift das Buch weiter aus, meint Spreckelsen, in die Geschichte Ungarns, des Kommunismus und einer Familie. Das Ergebnis ist laut Spreckelsen eine vielstimmige, sprachlich genau geformte Chronik eines sagenhaften Beobachters.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 12.10.2017

Für Rezensentin Iris Radisch ist Peter Nadas der "bedeutendste" lebende Schriftsteller Osteuropas. Entsprechend erfreut nimmt die Kritikerin diese in den vergangenen zehn Jahren entstandenen Memoiren zur Hand, in denen Nadas einmal mehr das verschwundene osteuropäische Jahrhundert sowohl "epochal" und "essayistisch" als auch "mikroskopisch" detailverliebt betrachtet. Frei von Selbstanalyse, ohne Pathos und Ironie, dafür in beeindruckender Präzision begibt sich der ungarische Autor auf eine Tiefenbohrung in die historischen Schichten seines "verwundeten Ichs", lobt die Kritikerin, die das Werk auch als desillusionierten Abschied vom Kommunismus liest. Und wenn Nadas vom Selbstmord des Vaters erzählt oder rekonstruiert, weshalb die Partei gegen den Vater, der als Postoberkommissar zur führenden kommunistischen Nomenklatura im Nachkriegsungarn gehörte, in dessen letzten Lebensjahren ein Disziplinarverfahren eröffnete, erlebt Radisch einen Autor, der sich auf dem Gipfel des Dokumentarischen von aller "Kunstfertigkeit" befreit hat.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 10.10.2017

Rezensent Karl-Markus Gauß begegnet hundert Schicksalen in Peter Nadas' Memoirenband. Der mäandernden Selbsterforschung des Autors begegnet er mit Hochachtung für das außerordentliche Gedächtnis und die Zähigkeit Nadas' und seine traditionsreiche Familie. Nur so lässt sich das Chaos der Erinnerung bändigen, weiß Gauß. Entstanden ist laut Rezensent eine Geschichte Ungarns aus dem Geist der Familie Nadas, ohne Anfang, aber mit Tiefe und viel Sinn für die Umbrüche und Veränderungen, die Belagerung von Budapest, die kommunistische Bewegung, Schauplätze und Figuren. Ein detailliertes Panorama, das durch die ausgeprägte Neigung des Autors zur Abschweifung ins Unermessliche wächst, meint Gauß.
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