Rudolf Borchardt

Weltpuff Berlin

Roman
Cover: Weltpuff Berlin
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2018
ISBN 9783498006914
Gebunden, 1088 Seiten, 35,00 EUR

Klappentext

Auf über tausend Druckseiten ein Roman, der im Berlin der Kaiserzeit spielt, der im Italien der 1930er Jahre verfasst wurde. Ein Erstdruck, wegen seiner Freizügigkeit seit Jahrzehnten von den Erben des Autors zurückgehalten. Vor dem Leser entfaltet sich ein Panorama der deutschen Kulturgeschichte von anspruchsvoller stilistischer Eleganz. Rudolf Borchardt schildert im Alter seine wirklichen und phantasierten Erlebnisse als verbummelter Student im Berlin der Jahrhundertwende - eine tour de force zwischen Wohnungen, Hotels, Restaurants und bei Ausflügen zu Landsitzen des Adels in der Mark und in Mecklenburg, eine Fülle erotischer und sexueller Begegnungen mit dem Dienstpersonal, 'Masseusen', Ladenmädchen, Künstlerinnen und Damen der besten Gesellschaft.
Mehr als siebzig Jahre nach dem Tod dieses produktiven Autors, der als Bewahrer des humanistischen Bildungsgutes geehrt, als Lebenskünstler bewundert und von einem kleinen engagierten Kreis editorisch aufgearbeitet wird, geschieht etwas Unerwartetes. Den Leser erwartet ein Zeitroman, zugleich ein Märchen aus dem Berlin des Fin-de-siècle: "Ja ja mein Sohn, und nun denke wieviele es heimlich für Geld tun, wieviele Du einfach ansprechen und mitnehmen kannst, wieviele es aus blosser Liebe und aus Geilheit tun, dann haste ne Ahnung von Berlin wie es weint und lacht. Rede mal mit Ausländern. Für die ist Berlin der Weltpuff, na Deutschland überhaupt. Paris nischt mehr dagegen."

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14.03.2019

Helmuth Kiesel warnt eindringlich vor der Lektüre dieses Buches von Rudolf Borchardt. Wer nicht auf rücksichtsloses Begehren und derbe Pornografie steht, soll besser die Finger davon lassen, wer den sexistischen Blick auf die Frau nicht aushält, ebenso. Auch lässt sich Borchardts 1938 verfasster Text ohne weiteres als Eskapismus verstehen, allerdings auch als Protest, meint der Rezensent, der sich trotz allem auf den Roman einlässt und mit dem Erzähler ins Jahr 1901 eintaucht, in die Welt der Bordelle, der Ladenmädchenerotik, des Fürstinnensex und der erotischen Mythologie. Das Obessive und Hypertrophistische des Unternehmens steht für Kiesel außer Frage, und eine gesellschaftliche und soziale Wirklichkeit wie in Döblins Berlin-Roman kommt bei Borchardt schlicht nicht vor, erklärt er. Ließe sich die vom Helden geschätzte Hingabe der Frau nicht auch als Pointierung des weiblichen Emanzipationsdiskurses verstehen?, fragt Kiesel.
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Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 11.10.2018

Rezensent Ijoma Mangold weiß nicht ein noch aus mit diesem Nachlassfund aus dem Werk Rudolf Borchardts. Dass der konservative Sprachvirtuose sein Talent an einen autobiografischen Porno verschleudert haben soll, kann er kaum glauben. So sucht er nach dem Faszinierenden daran, labt sich an präkoitalen Wortgeplänkeln a la Choderlos de Laclos, einem Romanbeginn, der von Kleist stammen könnte, und staunt über die Präzision der Beschreibung, anatomische Details und höchst modernes sexuelles Vokabular. Erregend findet er den Text durchaus, nur nicht allzu lange, da der sich durch das Berlin um 1900 vögelnde Protagonist sein Ziel stets ohne Widerstände erreicht. Als triebgesteuertes, soziologisch gut informiertes Sittengemälde aber taugt das Buch allemal, meint Mangold, der offenbar oft lachen musste beim Lesen. Und das Borchardt mit diesem Buch jetzt neben Oscar Wilde in der "ersten Reihe der ästhetisch-pathologischen Exzentriker", freut ihn auch.