Friedrich Christian Delius

Bildnis der Mutter als junge Frau

Erzählung.
Cover: Bildnis der Mutter als junge Frau
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2006
ISBN 9783871345562
Gebunden, 128 Seiten, 14,90 EUR

Klappentext

Rom, an einem strahlend sonnigen Tag im Januar 1943: Eine junge Deutsche, die kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes steht, begibt sich auf einen Spaziergang in der ihr fremden Stadt. Ihr geliebter Mann, Pfarrer in der kleinen evangelischen Gemeinde, ist an die afrikanische Front versetzt worden, der Zeitpunkt seiner Rückkehr ungewiss. Trotz der verwirrend schönen Eindrücke und all der rätselhaften Dinge, die ihr auf ihrem Weg begegnen, ist sie mit jedem Gedanken bei ihm, der doch versprochen hatte, die "römischen Freuden" mit ihr zu teilen. Doch sie beginnt zu ahnen, dass der Krieg verloren gehen könnte. In dieser Erzählung greift Friedrich Christian Delius seine eigene Familiengeschichte auf. Die junge Frau, die mit offenen Augen, bangem Herzen und nicht nachlassender Hoffnung durch die Ewige Stadt geht, ist seine Mutter.

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Rundschau, 28.02.2007

Martina Meister ist von dieser Erzählung Friedrich Christian Delius', in der er seine Mutter als Hochschwangere zu Kriegszeiten allein in Rom schildert, zutiefst berührt. Für sie ist das Buch ein literarisches Meisterwerk. Erzählt wird von einem einstündigen Lauf, den die Mutter mit ihrem ungeborenen Sohn vom Diakonissenheim bis zur deutschen lutherischen Kirche 1943 unternimmt, während sie sich ihren Ängsten, Hoffnungen und Gedanken hingibt, erklärt die Rezensentin. Nicht nur die fehlende Sentimentalität, mit der der Autor nicht nur seiner Mutter, sondern auch der Stadt Rom ein liebevolles Denkmal setzt, nimmt Meister so für die Erzählung ein. Auch die Form, die ausgehend von dem Lauf ohne Absatz oder Punkt vom Weg der jungen Frau erzählt, findet sie überaus überzeugend.

Rezensionsnotiz zu Die Zeit, 09.11.2006

Sehr angetan ist Rezensentin Katharina Döbler von Friedrich Christian Delius' "eleganter" Erzählung über seine, mit ihm schwangere Mutter. Erzählt wird ihren Informationen zufolge eigentlich nur die Geschichte eines Wegs durch die Straßen Roms, wo der Ehemann protestantischer Militärpfarrer ist. Dabei reflektiere Delius den deutschen Protestantismus und, da man das Jahr 1943 schreibe, auch dessen Haltung zu Nationalsozialismus und Krieg. Besonders die "feine, dichtgeknüpfte Prosa" dieser inneren Zustandsbeschreibung beeindruckt die Rezensentin sehr, die Art, wie Delius den Gedankenfluss seiner Protagonistin aus Sinneseindrücken, Bibelzitaten, Erinnerungen, Sehnsüchten und Selbstzweifeln vor der katholischen Kulisse Rom zu einem komplexen Grundsatztext über die Gedankenwelt deutscher Lutheraner, aber auch zu einer liebevollen Hommage an seine Mutter zusammensetzt.

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 12.10.2006

Hingerissen zeigt sich Rezensent Gustav Seibt von dieser "wundervollen Erzählung", die Friedrich Christian Delius verfasst hat. Das "Bildnis der Mutter als junge Frau", das der Autor darin zeichnet - es handelt sich um das Porträt seiner eigenen Mutter -, schildert nach Darstellung Seibts den Spaziergang einer jungen, hochschwangeren Frau an einem Samstagnachmittag im Januar 1943 durch Rom. Auf ihrem Weg zur Kirche der deutschen evangelischen Gemeinde geht der frommen Frau vieles durch den Kopf: Eindrücke von Denkmälern und Gebäuden, ihre eigene Situation, der in Afrika zum Militär eingezogene Ehemann, Heimweh nach ihrer Heimat Mecklenburg, die politische Lage. Seibt attestiert dem Autor, die "berauschende Präsenz Roms" und die Heimatliebe der jungen Frau zu einer "vielstimmigen Musik" zu vereinen. Das Resümee des Rezensenten: ein "makelloses, klassisch modernes Stück Prosa", das nicht umsonst an den Schlussmonolog des "Ulysses" mit seiner großen Bejahung des Lebens erinnert.
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Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 04.10.2006

F. C. Delius hat alles richtig gemacht mit diesem kleinen Text. Heinrich Detering jedenfalls fällt absolut kein Makel auf. Richtige Länge, richtige Balance zwischen Nähe und Distanz zur Figur, Geschmeidigkeit und stets in sicherem Abstand zum Sentimentalen - souverän eben. Detering fällt auch ein Vergleich ein: Wolfgang Koeppen, "im schönsten Sinne". Dessen Musikalität habe auch Delius. Detering überlässt sich diesem Autor bedenkenlos, wenn dieser wiederum seine Figur an die Hand nimmt und durch das Rom von 1943 führt, ganz sachte. Zeitkolorit wird "nur im Augenwinkel" eingestreut. Und im Gehen wächst die Erkenntnis der Protagonistin - über sich und die Welt. Was Delius dezent zwischen Innen- und Außensicht wechselnd in der dritten Person montiert, mit Bibelanklängen, Kirchen- und Kriegssound, was schließlich mündet in "Das Bildnis der Mutter als junge Frau", das alles hält Detering für ein "großes Zeitbild".
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 23.09.2006

Einen Satz benötigt F.C. Delius für diese 120 Seiten lange Erzählung. Einen Punkt setzt er erst am Ende, erzählt Rezensent Martin Krumbholz. Eine hochschwangere junge Frau spaziert während des Zweiten Weltkriegs durch Rom zu einem Bachkonzert und beschließt, ihrem Mann, einem Pfarrer an der Front in Afrika, in einem Brief davon zu erzählen. Deutsche und italienische Schwarzhemden tauchen auf, die Frau, ein einfaches Mecklenburger Landmädchen, macht sich Gedanken über den Unterschied zwischen dem deutschen und italienischen Adler - doch die politische Situation wird nur am Rande behandelt, so Krumbholz. Delius und der Frau geht es um etwas anderes, meint der Rezensent und zitiert eine Wendung aus dem Buch: "die ganze Wartburg im Kopf durch Rom zu tragen". Erlösung ist das Stichwort für den Rezensenten. Der Text wende sich gegen alles Opulente, auch und vor allem gegen die Katholische Kirche, deren Oberhaupt die Erzählerin an einer Stelle an den Führer in der Wochenschau erinnert. Doch wie Delius das erzählt - "nüchtern, präzise und diskret" - erkennbar sympathisch.