Juri Andruchowytsch

Das letzte Territorium

Essays
Cover: Das letzte Territorium
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2003
ISBN 9783518124468
Broschiert, 193 Seiten, 10,00 EUR

Klappentext

Aus dem Ukrainischen von Alois Woldan. Die Ukraine, der zweitgrößte europäische Staat, ist auf unserer literarischen Landkarte nicht einmal in Umrissen vorhanden. Juri Andruchowytsch nimmt die begrenzten Kenntnisse seines Publikums in Westeuropa und in den USA ernst und bringt ihm in einer Reihe Essays diese unbekannte Region nahe. Jeder, der einmal die westliche Staatsgrenze der Ukraine überquert hat, erfährt, daß hier auch zehn Jahre nach der Unabhängigkeit noch immer eine Trennlinie verläuft: "zwischen Europa und etwas Anderem". Ironisch beschreibt er die postsowjetische Realität seines Landes: Lernberg und Kiew, Spuren des untergegangenen Galiziens und die Katastrophe von Tschernobyl, aber auch die sonderbare Existenz von Künstlern, Schriftstellern und Intellektuellen in einem Land, "aus dem man weggeht".

Rezensionsnotiz zu Frankfurter Allgemeine Zeitung, 08.09.2003

Geradezu berauscht fällt das Lob Michael Jeismanns für diesen Essay-Band des ukrainischen Lyrikers und Romanautors Juri Andruchowytsch aus: Dessen Stil nämlich, befindet der Rezensent, müsste eigentlich unter die "Bestimmungen der bewußtseinserweiternden Drogen" gerechnet werden, so "halluzinogen genau" ist er. Die Methode des Juri Andruchowytsch sei "der Schwindelanfall, ein phantasmagorischer Stil", in dessen Medium Gegenwart und Vergangenheit verschmolzen werden bis zum "glühend heißen Moment einer wahren Anschauung". Dabei könne es, erklärt Jeismann weiter, zwar "durchaus bedächtig und rational zugehen", immer wieder aber würden Andruchowytsch "Durchbrüche" gelingen, also "eine schnelle Wendung hier, eine angetäuschte Richtung dort", und erst nach und nach begreife der Leser, dass hier die Situation des heutigen Europa verhandelt werde. Wenn der Autor etwa "voller Sarkasmus" bemerke dass er zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts kein Visum benötigt hätte, um sich mit Rilke zu treffen.
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Rezensionsnotiz zu Neue Zürcher Zeitung, 19.08.2003

Die Rezension von Ilma Rakusa beginnt mit einer kleinen Landeskunde in Sachen Ukraine, denn dort lebt der Romancier und Essayist Juri Andruchowytsch (Jahrgang 1960), genauer gesagt: in Iwano-Frankiwsk, dem ehemals galizischen Stanislau, eine Gegend, über die hierzulande kaum jemand etwas weiß und das wenige Wissen klischeegeschwärzt ist, wie Rakusa anmerkt: Mädchenhandel, Zigarettenschmuggel, soziale Rückständigkeit. Andruchowytsch, der in seinen Essays ein engagiertes Plädoyer für seine beargwöhnte periphere Region halte, ginge die Klischees teilweise gezielt und geschickt mit seinen "Desinformationsversuchen" an, meint Rakusa, indem er mit geschichtlichen Zusammenhängen und persönlichen Erfahrungen dagegenhalte. Gleichzeitig scheut der Autor das Erzählen nicht, schwärmt Rakusa, er schöpfe gerne aus dem vollen und prallen Leben, ohne die harten und oft bitteren Fakten zu verschweigen, zu beschönigen oder zu dämonisisieren. Andruchowytsch ist einer, der Klartext redet, findet Rakusa. Am besten gefallen haben ihr die Städteportraits von Lemberg und Kiew, die Hommage an Stanislau und eine fiktive "Carpathologia Cosmophilica".

Rezensionsnotiz zu Süddeutsche Zeitung, 30.06.2003

Die Karpatologie ist "eine besondere Metawissenschaft von der Zukunft", erklärt uns Lothar Müller. Vieles in Juri Andruchowytsch's Essayband werde den hiesigen Lesern erst einmal reichlich fremd vorkommen, meint Müller, doch nach der Lektüre der Essays betrachte man diesen Teil Osteuropas mit neugierigeren Augen. Und da erscheine die Frage gar nicht mehr so abwegig, ob sich entlang der Karpaten tatsächlich die neue Ostgrenze bilden wird, wo ja die Karpaten schon einmal die Grenzlinie zwischen der römisch-westlichen und östlich-byzantinischen Welt dargestellt haben. Juri Andruchowytsch stammt aus Galizien, wo auch Joseph Roth und Paul Celan herkamen, in seiner Jugend war das Gebiet sowjetisch, heute gehört es zur Ukraine. Bei diesem Autor, Jahrgang 1969, nehmen die Landschaften, die Städte dieser Region, die Andruchowytsch wie ein Archäologe der eigenen Jugend absuche, regelrecht wieder physisch Gestalt an, hält Müller fest. Daneben erkunde der Autor eifrig die neuen Grenzen und Grenzziehungen, die Grenzüberschreitungen von Ost nach West, die Abgrenzungen von Ost gegen West, auch da erweist er sich eben als ein echter Karpatologe, schreibt Müller, ein Grenzwissenschaftler und -tüftler der alten und neuen Verhältnisse.
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