Die Zeit schwärzt ohne Not die Mohammed-Figur in einer Comiczeichnung und verkauft das auch noch als höhere Moral.
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Letzte Woche war es uns in der Papier-Zeit glatt nicht aufgefallen. Nun steht der Text aber online, und die Illustration auch. Eine neue Gelegenheit auszurufen: Ihr alten Feiglinge!

Gero von Randow schreibt da aus unklarem Anlass über einen Mohammed-Comic von Stéphane Charbonnier, den dieser als Chefredakteur der Pariser Satire-Zeitschrift Charlie Hebdo Anfang des Jahres herausbrachte - ohne dass sich der geringste Protest der üblichen Gläubigen regte.

Aber Randow muss es doch noch mal aufgreifen. Zunächst zitiert er das Vorstrafen-Register Charbonniers: "Er druckte im Jahr 2006 die dänischen Mohammed-Karikaturen nach, zeigte im Herbst 2012 nach dem Aufruhr um das islamfeindliche Video 'Unschuld der Muslime' satirische Darstellungen des Propheten und provozierte beleidigungsbereite Muslime mit dem Argument: 'Wir verspotten alles und jeden.'"

Da möchte die Zeit auf keinen Fall mitmachen, und darum illustriert sie Randows Artikel mit einem Bild aus dem Comic - in dem die Figur des Mohammed geschwärzt ist!

Zur Erläuterung schreibt Randow mit Blick auf die verabscheuungswürdige Satire-Zeitschrift: "Der Verdacht bleibt, es gehe den Autoren nur darum, die Angehörigen einer Glaubensgemeinschaft zu provozieren. Und zwar einer, die in Frankreich diskriminiert wird. Gewiss, auch das soll im Namen der Freiheit gestattet bleiben. Aber eine Rohheit bleibt es gleichwohl. Das ist übrigens der Grund, warum wir die Karikaturen Mohammeds auf dieser Seite geschwärzt haben. Es ist nicht anständig, Menschen zu beleidigen." Dass auf die Büros der Zeitschrift im Jahr 2012 wegen ihres Eintretens für die Pressefreiheit ein Brandanschlag verübt worden war, erwähnt Randow hingegen nicht. Das erste Gebot der Zeit lautet demgemäß: Du sollst Gläubige nicht beleidigen. Und das zweite Gebot: Du sollst Gläubige nicht erwähnen, die Ungläubige abmurksen wollen.

Hier die kultursensitive Grafik aus der Zeit:



Randow stellt sich damit in eine große Tradition, die sich in der deutschen Presse eingebürgert hat, seit im Jahr 1989 der Mordaufruf gegen Salman Rushdie lanciert wurde: auf jeden Fall zurückweichen, die eigene Angst als Mut verkaufen und die paar verbliebenen Anhänger der freien Meinungsäußerung und Religionskritik als "Fundamentalisten der Aufklärung" und Rechtspopulisten verhöhnen.

Die Zeit spielte in der Etablierung dieser Traditon stets eine Hauptrolle. Als Arno Widmann von der taz nach dem Mordaufruf Khomeinis vorschlug, dass alle großen Zeitungen des Landes das erste Kapitel der "Satanischen Verse" auf ihren ersten Seiten veröffentlichen, war die taz am Ende ganz allein. Keine andere Zeitung traute sich mitzumachen. Die taz wurde am Ende gar noch vom Zeit-Kulturredakteur Ulrich Greiner angegriffen, weil sie Rushdies Urheberrechte verletzt hätte. Und überhaupt: Da "orgelt eine abgeschmackte Mut-Rhetorik übers Land".

Die Zeit ist auch das Institut, das im Jahr 2006 eine Petition herausbrachte, in der sechzig "Migrationsforscher" die Autorin Necla Kelek anschwärzten, eines der niederträchtigsten Dokumente der intellektuellen Geschichte der Bundesrepublik.

Als der Karikaturenstreit hochkochte, tat sich die Zeit ebenfalls nicht mit der Verteidigung universeller Werte hervor. Dass sie Karikaturen dokumentierte, ist mir nicht erinnerlich. Jedenfalls hat sie immer die virtuosesten Ausreden parat, es nicht zu tun. Zeit-Herausgeber Helmut Schmidt wandte sich, zusammen mit anderen ehemaligen Staatsmännern, in der Zeit gegen die Zeitung Jyllands-Posten, die es gewagt hatte, die Zeichnungen zu veröffentlichen: "Die Zeitung löste die verhängnisvolle Entwicklung im September 2005 aus, als sie zwölf Karikaturen des Propheten (auf einer trägt er eine Bombe als Turban) veröffentlichte, trotz des weit verbreiteten Konsenses unter Muslimen, dass der Prophet niemals abgebildet werden soll. Solche Klischees sind sinnlose Beleidigungen." Allen Ernstes schlugen Schmidt und die anderen Eminenzen in dem Text eine "Allgemeine Erklärung der menschlichen Verantwortlichkeiten" vor, eine Art Selbstverpflichtung zur Selbstzensur, die in der deutschen Presse heute ohnehin verinnerlicht ist und von der Zeit mit dem geschwärzten Mohammed nun also geradezu ostentativ vorgeführt wird.

Es war immer schon ein Irrtum zu denken, die Zeit sei liberal: Sie hält sich einen Herausgeber, der Verständnis für das Massaker am Platz des Himmlischen Friedens aufbringt (Deng Xiaoping hätte sonst sein Gesicht verloren, meint Helmut Schmidt) und die freie Meinungsäußerung im Namen der "menschlichen Verantwortlichkeiten" relativieren will. Gauben und Zweifeln? Glauben und Heucheln!

Thierry Chervel

twitter.com/chervel