Seyla Benhabib, grande dame der Gender und Cultural Studies, liest den Perlentaucher. In den Blättern zitierte sie einen Artikel, den der Welt-Redakteur Richard Herzinger uns gegeben hatte, als ein "besonders krasses" Beispiel für "rechte" Denkungsart.

"Die Journalisten und Intellektuellen der europäischen Rechten haben lang und breit darüber diskutiert, ob 'Islamophobie' rassistisch ist oder nicht", schreibt sie, "nun bemühen sie sich, ihre Spuren zu verwischen, während die 'Pseudofreunde' Israels unter europäischen Konservativen vor Weltuntergangsszenarien warnen, die sie durch angeblich drohende Angriffe auf den Norden Israels seitens der Hisbollah und auf den Süden durch Ägypten im Bündnis mit der Hamas heraufziehen sehen."

Herzinger hatte in dem Artikel die israelische Perspektive auf den "arabischen Frühling" beschrieben. Ohne die ermutigenden Aspekte an den Revolten zu verschweigen, schildert er doch die Befürchtung, dass der Iran und Kräfte wie die Muslimbrüder zumindest in einer ersten Etappe von dem Aufbruch profitieren könnten, auch wenn die Jugend der arabischen Länder keineswegs von der Agenda der Bärtigen inspiriert war.

Jüngste Entwicklungen wie die Versöhnung zwischen der Fatah und der Hamas, dem palästinensischen Ableger der Muslimbrüder, geben Herzinger recht. Diese Versöhnung heißt ja auch, dass sich die weltliche Fatah mit dem Programm der Hamas offenbar abgefunden hat. Die Hamas will Israel erklärtermaßen auslöschen. In ihrem Programm bezieht sie sich auf die Protokolle der Weisen von Zion.

Nur die Götter des interreligiösen Dialoges wissen, was an der Benennung solcher Entwicklungen eigentlich "rechts" sein soll. Warum um Himmels willen ist es "konservativ" zu beobachten, dass faschistoide Kräfte sich gegen den ewigen Popanz ihrer Verschwörungstheorien - die Juden, natürlich - verbünden? Warum ist es "krass" daran zu erinnern, dass sich selbst ermächtigende Avantgarden besonders geschickt darin sind, Umbruchsituationen an sich zu reißen?

Jeffrey Herf hat in der New Republic einen sehr interessanten Artikel zu der Frage veröffentlicht: Der Antisemitismus der Muslimbrüder schadet nicht nur Israel, schreibt er, er schadet vor allem den Ägyptern. Er wurde ihnen von ihren religiösen und säkularen Eliten, die sie nun gerade abschütteln wollen, eingeimpft. Sie müssen auch ihn abschütteln: "Antisemitismus beruht auf Lügen und einer tiefen Unfähigkeit die Welt zu sehen, wie sie ist, Er bietet seinen Advokaten einen Vorwand, ihrer Verantwortung für die Probleme ihrer Nation aus dem Weg zugehen. Darum fanden ihre Diktatoren den Antisemitismus so anziehend." Herf ist ein Kenner der Gemengelage. In seinem Buch "Nazi Propaganda for the Arab World " hat er die intensive Nazipropaganda in Arabien und die frühe Kooperation zwischen Nazis und Islamisten, und zwar besonders den Muslimbrüdern, erforscht.

Hamed Abdel-Samad, Boualem Sansal, Najem Wali gehören zu den Arabern, die den befreienden Schritt aus der verzerrten Optik der Verschwörungstheorien gemacht haben. Oder gelten sie Seyla Benhabib als Reaktionäre, weil sie für die Offenheit und gegen den Hass plädieren?

Thierry Chervel


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