Längere Zeit spürte man im Blätterwald kaum einen Hauch - zumindest nicht in der Literaturkritik. Dann erschien "Imperium" von Christian Kracht, und es entbrannte ein heftiger Streit. Und nun folgen sogar einige Selbstverständigungstexte. Wir verlinken auf die wichtigsten Artikel.

Georg Diez' Vorwurf im Spiegel, Kracht sei der "Türsteher rechter Gedanken" fand viele Antworten. Zunächst nahm der Verlag Kiepenheuer & Witsch seinen Autor in Schutz. Jan Küveler verteidigte den Autor in der Welt, Felicitas von Lovenberg half in der FAZ und etwas später gesellte sich Jakob Augstein dazu. Iris Radisch und Uwe Timm kommentierten die Debatte in der Zeit, nur Timm bezog allerdings Stellung: Diez habe Figur und Autor zu sehr gleichgesetzt. In der taz war sich Jörg Magenau nicht ganz sicher. Er schrieb, dass Kracht harmlos sei, die Debatte selbst sei das Problem. Es folgte ein offener Brief namhafter Autoren an den Spiegel, darunter Elfriede Jelinek und Daniel Kehlmann, in dem sie dem Spiegel vorwarfen, die Grenze zur Denunziation überschritten zu haben. Kehlmann bezog auch in der Zeit noch einmal Stellung. Iris Radisch nahm den Ball in der Zeit wieder auf. Sie verteidigte die Kritik allgemein gegen den Eingriff der Autoren. Wenn Kritik spannend sein solle, müsse sie den Bezug zur realen Welt "hinter den Buchseiten" herstellen dürfen. Thomas Assheuer, ebenfalls in der Zeit, fand die Frage berechtigt, wer da eigentlich spreche im Roman. Schön: Thomas Zauggs kleine Zusammenstellung von Texten beim Magazin vor Krachts Lesung in Zürich. Diez entschärfte seine Aussagen nachher noch ein wenig, wofür er wiederum Kritik erntete: Roman Bucheli warf ihm in der NZZ vor, bei Gegenwind zu schnell einzuknicken - man fühlte sich an das länger zurückliegende Plädoyer in der Welt von Sibylle Lewitscharoff für mehr Kritik mit Biss erinnert - und ging die Vorwürfe nochmal durch.

Pünktlich zur Leipziger Buchmesse gewinnt die Debatte (etwas) höheres Terrain:

Helmut Böttiger führte in der SZ, von der Diez/Kracht-Debatte ausgehend, eine Spitze gegen den Literaturbetrieb, worin er sich gegen die "ständigen Bescheidwisser" wandte, die über Literatur schreiben, und gegen die Autoren, die ihr Schreiben zu sehr an deren Maschinerie ausrichteten. Der Artikel steht leider nicht online.

In der taz reagierte Dirk Knipphals und nahm die Bescheidwisser und die Autorinnen gleichermaßen in Schutz. Die Kritiker sollten sich auf den Wunsch der Autoren einlassen, die eigene Geschichte in ihren Büchern zu verarbeiten. Die Streitgespräche über die grundsätzlichen Fragen hört er, wenn überhaupt, nur hinter verschlossenen Türen und fragte sich: "Warum eigentlich?"

Ganz andere Töne schlug Burkhard Müller in der SZ an. Er wünschte sich von den Autoren mehr Mut zu lügen, mehr Erfundenes, weniger Verwurstung eigener Erlebnisse. Wenn mit dem Erstlingswerk das Pulver verschossen sei, woher dann einen gelungenen Nachfolger nehmen?, fragte er sich. Müller wünscht sich zwar mehr von unserem heutigen "Individuum" in der Literatur, aber eines, das nicht "nur" die Autorin ist, sondern sie transzendiert.

Grundsätzlicher ist auch Edo Reents' Attacke in der FAZ auf jüngere Bekenntnisbücher, die zwar nicht direkt der Belletristik, wohl aber dem "belletristischen Sachbuch" zuzuordnen seien. Ihn stört der aufdringliche Gebrauch des Wörtchens "Ich", etwa bei Carolin Emcke (hier) oder Ralf Bönt (hier) und schließt: "Und man denkt, ohne es freilich zu sagen: Was geht mich das an?"

Richard Kämmerlings fand in der Welt schon im Dezember, dass auch unsere Jungromanciers zuviel "ich" sagen und zuviel über "unser Reihenhaus in der Provinz" schreiben: "Literaturfähig scheint auch in diesem Jahr nur zu sein, was bereits durch mehrere Vollwaschgänge der Erinnerung gegangen ist und aus dem aller Schmutz der Aktualität rausgerubbelt wurde." Übrigens wundert sich Kämmerlings auch als einziger Zeitungskritiker, dass unsere Jungliteraten auch den Medienwandel nicht zur Kenntnis nehmen: "All diese sich ja nicht erst seit letzter Woche vollziehenden Veränderungen finden ausgerechnet bei Schriftstellern kaum statt, die a) jung und b) qua Medium direkt betroffen sind. Wie seltsam!"

Wiebke Porombka wendet sich in der FAZ anlässlich der Lit.Cologne den Literaturfestivals zu. Die meisten dieser Riesenveranstaltungen bewirken nur, dass große Verlage ihre Autoren besser vermarkten können, glaubt sie. Die Kleinen verlieren, die "Schere" im Literaturbetrieb gehe weiter auf. Auch fürchtet Porombka, dass dadurch der Druck auf Autorinnen wachse, markt- und massenkompatibel zu schreiben. Schön fände Porombka aber eine bessere Unterstützung für kleinere Veranstalter wie Buchhandlungen, die sich um ein Programm bemühen.

Das ist noch keine Debatte. Aber es ist ein Anfang.

Paul Knittel