Danke für die notwendigen perspektivischen Richtigstellungen, Thierry Chervel, und da sich die Stimmen offenbar wieder mehren, die jede Form von Islamkritik desavouieren möchten, ergreife ich die Gelegenheit, ein paar Ergänzungen anzumerken, die bislang eher unter vorgehaltener Hand diskutiert werden.

1. Wenn man das von Richard Herzinger skizzierte Szenario, das schneller von der Realität eingeholt wird, als Beobachter analysieren können, weiterspinnt, so begreift endlich jeder, warum der Iran um jeden Preis am Bau oder Erwerb einer Atombombe gehindert werden muss: es war bislang einzig die Macht der nuklearen Abschreckung, die Israel in den vergangenen Jahrzehnten davor bewahrt hat, in einen gegenseitigen Vernichtungskrieg mit seinen islamischen Nachbarn verwickelt zu werden. Paradoxerweise funktionierte hier die Abschreckung asymmetrisch: die 150 Millionen Ägypter, Perser und Araber, die Israel mit konventionellen Kriegsmitteln - darunter mehr Soldaten als das kleine Land Einwohner zählt - hätten sehr wohl auslöschen können (und wollen), wurden von der unausgesprochenen Drohung der israelischen Regierung in Schach gehalten, auf die Bombe zurückzugreifen, wenn es zum Äußersten käme. Sollte der Iran seinerseits nuklear aufrüsten, wäre diese Drohung hinfällig, die Schwelle für eine "konventionelle" Auseinandersetzung von bislang noch nicht dagewesenen Ausmaßen würde gegen Null sinken. Die historisch verbürgte Logik, dass der Ausgang eines Weltkrieges die Bedingungen für den nächsten schafft - eine Logik, die nur mit unendlich viel Geschick und ein bißchen Glück in Europa erstmals 65 Jahre lang ausgehebelt werden konnte - würde sich dann ebenso bewahrheiten wie die seit langem kursierende Prognose, daß der dritte Weltkrieg im Nahen Osten beginnen wird.

Zu den bislang kaum - jedenfalls in Deutschland - nicht diskutierten Bedingungen islamischen Judenhasses gehört, dass Hitlers "Mein Kampf" sich seit den vierziger Jahren größter Popularität im arabischen (auch türkischen, auch persischen) Sprachraum erfreut, es gilt als das nach dem Koran am meisten gelesene Buch überhaupt, was den antisemitischen Furor von Muslimen, die noch nicht einmal wissen, wo Palästina liegt, aber in Pakistan und Bangladesh an jedem Kiosk die Hetztiraden des Führers erwerben können, zur Genüge erklärt. Auch diesen Zusammenhang findet man in dem zitierten Buch von Jeffrey Herf hinreichend dokumentiert. Weniger bekannt dürfte sein, dass im deutschen Sprachraum der Kulturphilosoph Jochen Hörisch bereits 2007 die "unheimlichen Verwandtschaften" von Islamisten und Faschisten in einem ebenso souveränen wie unaufgeregten Rundfunkessay analysiert hat, den es als Manuskript beim SWR2 immer noch online zu lesen (hier als rtf-Dokument).

2. Was Seyla Benhabib betrifft, so hat sie sich nicht nur aktuell diskreditiert durch die Beschwörung überholter politischer Schemata in einem Diskurs, der sich Zuschreibungen wie "rechts" oder "links" längst entzogen hat. Ihr Pseudoargument einer angeblichen "Spurenverwischung" an die Adresse der Islamkritiker erweist sich näher besehen selbst als eine vernebelnde Vorwärtsverteidigung. Denn wenn es ein epochales Versagen der Gender Studies gibt, dann doch dieses: zu dem Grund- und Hauptkonflikt in der islamischen Welt geschwiegen zu haben, der darin besteht, dass hier ein despotisches Patriarchat Amok läuft, weil es sich mit der ultimativen Drohung konfrontiert sieht, die Kontrolle über den weiblichen Körper zu verlieren.

Bezeichnend ist insofern auch der Zeitpunkt von Benhabibs Attacke auf Richard Herzingers Artikel: denn allmählich zeichnet sich ab, wer die eigentlichen Verlierer der nordafrikanischen Aufstände sind: die Frauen. So wie in Ägypten jetzt die Scharia in die Verfassung festgeschrieben wurde (hier der Text der provisorischen Verfassung als englischsprachiges pdf-Dokument, der Bezug steht in Artikel 2), müssen sie auch in Tunesien und Libyen damit rechnen, dass ihnen selbst die minimalen Freiheiten, die ihnen in den säkularen Diktaturen gewährt wurden, wieder abgesprochen werden. Revolution sieht anders aus. Der gesellschaftspolitische Teufelskreis im Islam lässt sich so nüchtern wie fatalistisch so beschreiben: solange eine Religion sich anmaßt, als totalitäre Ideologie jeden Atemzug der in einem Land lebenden Menschen zu maßregeln und diese von Anbeginn auf Unterwerfung unter Autoritäten - Familienvater, Clan, Staat, Mullah/Imam, Allah - zu konditionieren, solange wird es weder Demokratie noch Menschenrechte geben, am allerwenigsten für die Frauen; denn das würde ja die Entmachtung des Patriarchats bedeuten, die wiederum Bedingung für die religiöse Herrschaft ist - und so weiter. Aufstände - man höre endlich auf, den historisch und utopisch hochbesetzten Begriff der Revolution zu entwerten - gab es und gibt es nur, weil die Machthaber es zu weit getrieben haben mit Korruption, Ausbeutung des Volkes und Bespitzelung, Verfolgung und Ermordung aller, die das kleptokratische System gefährden konnten. Ein bisschen Mäßigung an der Spitze, etwas mehr Umverteilung von Privilegien, rudimentäre Pressefreiheiten - und islamische Diktaturen können sich ganz entspannt auf ein weiteres Jahrtausend unter dem Schutz Allahs einrichten (wenn die Frauen nicht endlich aufwachen).

3. Ein letzes Wort in Sachen "Islamophobie". Wie der Begriff besagt, kann als "islamophob" nur bezeichnet werden, wer Angst vor dem Islam hat. Lassen wir einmal beiseite, dass Phobien grundsätzlich Ekel-, Lähmungs- und Fluchtreflexe hervorrufen und insofern mangels Agressionspotenzial nicht einmal der diffus mitgemeinte Sinn von "Islamhass" oder "Rassismus" getroffen wäre: Wenn jemand keine Angst vor dem Islam hat, dann doch wohl Publizisten, die dessen sozialen Fallout unbeirrt kritisieren, wie zum Beispiel die Protagonistinnen eines denkwürdigen Themenabends bei Arte (also einer Hochburg des massenmedial forcierten Multikulturalismus), der sich vor kurzem unter dem harmlosen Titel "Rock oder Hose" zweieinhalb Stunden lang mit dem absurden Kampf deutscher und französischer Mädchen um das Recht, in Schulen und anderswo Röcke tragen zu dürfen, beschäftigen durfte - also mit der Frage, wie es passieren konnte, dass eine religiös fanatisierte Minderheit von Jugendlichen ungehindert der Gesamtgesellschaft eine Sexualmoral aus dem Mittelalter diktiert.

Nein, wenn jemand Angst vor dem Islam hat und insofern semantisch korrekt als "islamophob" bezeichnet werden darf, dann sicher nicht die als Geisteskranke diffamierten Herzinger, Broder, Kelek, etc., sondern umgekehrt genau jene, die aus lauter Angst vor - ja wovor eigentlich? Vor der moralischen Verpflichtung unserer Grundwerte? Vor der vormodernen Unantastbarkeit einer Religion? Vor einer erstarkenden Minderheit eingefleischter Demokratiefeinde? Wie auch immer: die jede Kritik am Islam - sofern wir unter diesem Begriff einen Korpus von Einstellungen und Verhaltensweisen verstehen, die definitiv nicht zu Deutschland, Frankreich oder Europa gehören - mit infamen Unterstellungen zu diskreditieren versuchen, wenn sie sie schon nicht verbieten können.

Daniele Dell'Agli