Denkwürdig war der Frankfurter Kongress über "The Future Face of Media" (bei dem ich auch auf einem Podium gastieren durfte) natürlich vor allem wegen der großen Diskussion hochmögender internationaler Zeitungschefs. Die saßen da alle und freuten sich wie die Schneekönige über die Rückeroberung der Öffentlichkeit durch ihre angestammten Inhaber. Zwei Sätze bleiben aus diesem historischen Treffen in Erinnerung: "Engagement is King", sagte Rona Fairhead von der Financial Times. Und: "Das Pendel schlägt zurück", sekundierte Andrew Langhoff vom Wall Street Journal of Europe. Ich weiß nicht wie, aber irgendwie war es der Maleki Group, die die Veranstaltung betreute, gelungen, Arthur Sulzberger nach Frankfurt zu holen, also den gerade regierenden Nachfahren der New-York-Times-Dynastie - darum waren wohl auch von anderen Zeitungen so wichtige Repräsentanten entsandt worden. Von Liberation saß da noch Chefredakteur Laurent Joffrin, und vom Springer Verlag kam President Public Affairs und Chef-Lobbyist Christoph Keese.

Eine faszinierende Runde: Fairhead schien direkt einem Roman von Tom Wolfe entstiegen, eine Eisprinzessin, viel Bein zeigend, mit Glitzer-Make up und ein paar Stücken sehr teurem Schmuck, kalt bis in die Haarspitzen. Auch Langhoff hielt eine beeindruckend distinguierte Miene in den Saal und hatte mit Abstand das bedeutendste Profil unter allen Versammelten. Sulzberger hatte Gepränge nicht nötig, er strahlt mehr einen fröhlich-boshaften Schalk aus und erinnert, stark abgeschwächt, an Malcolm McDowell in "Clockwork Orange". Laurent Joffrin trat wie ein melancholisch gealterter 68er-Clown auf. In der Pause stand er allein an einem Randtisch und gabelte mit dem Rücken zum Saal sein Putengeschneltzeltes. Ein Pariser außerhalb von Paris fühlt sich ungefähr so wohl wie ein Fisch außerhalb des Aquariums. Und dann war da noch Christoph Keese, unter dessen gewaltiger Stirnglatze das Projekt der Leistungschutzrechte maßgeblich ersonnen wurde.

Die Einigkeit war groß: Die Zeit kostenloser Medieninhalte im Netz ist vorbei. Sulzberger nutzte die ihm zugefallene Eröffnungsrede, um endgültig anzukündigen, dass der Online-Auftritt der New York Times künftig Geld kosten wird. Man suche einen gemäßigten Ansatz. Vier oder fünfmal im Monat darf ein Nutzer kostenlos vorbeischauen, dann wird er aufgefordert, ein Abo zu zeichnen. Über den Preis ließ Sulzberger noch nichts verlauten. Anfang nächsten Jahres ist es so weit. (Carta bringt das Video mit Sulzbergers Rede.)

Das ist genau das, was Fairhead meinte, als sie sagte "Engagement is King": Die Leser sollen sich ab jetzt wieder für ihre Zeitungen engagieren. Im Gegenzug will man eine "emotionale Bindung" herstellen. Und sie freute sich sehr über die Smartphones und das Ipad, all diese hübschen kleinen Computer, denen man die Tatstatur amputiert hat und die darum sehr viel weniger Interaktion erlauben und den Nutzer mit sanftem Zwang in eine Konsumentenhaltung zurückdrängen. "Als das Ipad vorgestellt wurde, noch in dem Moment selbst", so rief auch Christoph Keese begeistert aus, hätten zahlreiche Medienhäuser die ersten Verträge mit Apple unterzeichnet. Man sei bereit, Millionen zu investieren. Die Frage, ob man auch eine Art Itunes für Zeitungsinhalte anstrebe - also eine medienübergreifende Plattform, auf der man nach Artikeln fahnden und sie dann kaufen kann, verneinte Sulzberger allerdings sehr streng und knapp. Jede Zeitung will für sich ganz allein abonniert werden.

Was wird aus dem Netz, wenn man nicht mehr auf die New York Times verlinken kann? Und was wird aus nytimes.com, wenn es keine Links mehr erhält? Nun ja, sie werden's beide verkraften. Lücken wachsen zu.

Das Forum markierte einen historischen Schnitt, aber vielleicht nicht ganz in dem Sinn, den die Veranstalter intendierten. Gewiss: Die Medienhäuser werden wieder zahlbar, aber es ist ja nicht das erste Mal. Die New York Times hatte vor Jahren bereits ein zahlbares Modell, das sie dann zur allgemeinen Freude fallen ließ. Nun schlägt das Pendel wie gesagt zurück. Auch FAZ und SZ sind hierzulande kostenpflichtig, ohne dass ein Hahn danach kräht. Wall Street Journal und Financial Times waren ohnehin immer schon zahlbar und genießen wegen ihrer wirtschaftlich relevanten Informationen und einer Kundschaft, die das von ihren Arbeitgebern bezahlt bekommt, einen besonderen Status. Hinzukommen kommen nun also die mobilen Geräte und die teure CD-Rom-Ästhetik ihrer Apps, die eine Befreiung aus dem struppigen Internet verheißen.

Aber da war noch etwas drittes, der eigentliche Schnitt: Man hatte den Eindruck, dass hier globale Marken über lokale triumphierten: New York Times, Wall Street Journal und Financial Times mögen den Schritt in die Zahlbarkeit und die Glitzerwelt von Multimedia 2.0 verkraften. Sie sind extrem aufwendige Maschinen, die die besten Journalisten und Techniker der Welt anziehen. Sie können auf der ganzen Welt gelesen werden.

Aber Liberation oder die Welt?

"Es war ein Fehler, unseren Inhalt kostenlos herzugeben", seufzte Laurent Joffrin und vergaß etwas zu erwähnen: dass es Liberation vor allem deshalb so schlecht geht, weil sie auch im Print nicht mehr gekauft wird. Sie ist nach ihren gloriosen Zeiten in den siebziger und achtziger Jahren der Schoßhund eines Milliardärs, der sich jederzeit entscheiden kann, sie einzuschläfern. Ob diese Zeitung existiert, ist viel mehr eine politische als eine wirtschaftliche Entscheidung. Und als Christoph Keese im Namen der deutschen Zeitungsverleger sein Projekt der Leistungsschutzrechte erläuterte, das Schwächen des deutschen Urheberrechts im Vergleich mit dem angelsächsischen Modellen kompensieren solle, wurde er von Fairhead etwa aus Mount-Everest-Höhe angeblinzelt. So etwas kommt für ihre Zeitung nicht in Betracht. "Wir finden, der Markt soll entscheiden." Das wird er ganz sicher.

Thierry Chervel
twitter.com/chervel

Hier noch einige Links zum Thema:

Das Twitterprotokoll der Veranstaltung lässt sich hier und hier verfolgen.
Moderator (und Perlentaucher) Rüdiger Wischenbart resümiert die Veranstaltung auf seinem Blog.